Jugendreferent aus Bistum Osnabrück fordert Segnung gleichgeschlechtlicher Paare

"#OutInChurch"-Teilnehmer: Queeren Menschen Angst vor Kündigung nehmen

Veröffentlicht am 26.01.2022 um 15:00 Uhr – Lesedauer: 

Haselünne ‐ Die Aktion "#OutInChurch", bei der sich 125 queere Kirchenangestellte geoutet haben, hat in den vergangenen Tagen hohe Wellen geschlagen. Im katholisch.de-Interview verrät einer der Teilnehmer, warum er seine Homosexualität öffentlich gemacht hat – und wie sein Bischof darauf reagierte.

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Bei der Aktion #OutInChurch haben sich 125 Priester, Ordensleute und Laien, die für die Kirche arbeiten, als queer geoutet. Einer von ihnen ist Sven Diephaus. Der 40 Jahre alte Jugendreferent ist beim Bistum Osnabrück angestellt und hat sich im Rahmen der Initiative seine Homosexualität öffentlich gemacht. Im Interview erzählt Diephaus, warum er diesen Schritt gewagt hat.

Frage: Herr Diephaus, Sie haben sich bei der Aktion #OutInChurch als queerer Mitarbeiter in der katholischen Kirche geoutet. Welche Reaktionen darauf haben Sie erreicht?

Diephaus: Ich habe fast ausschließlich positive Rückmeldungen erhalten. Viele drücken darin ihren Dank für die Aktion und ihren Respekt mir und den anderen Teilnehmern gegenüber aus. Sie sind dankbar, dass wir den queeren Menschen in der Kirche ein Gesicht geben. Es melden sich natürlich Freunde und Bekannte, aber auch Menschen, die ich schon viele Jahre nicht mehr gesehen habe, oder auch Fremde.

Frage: Gab es auch negative Rückmeldungen?

Diephaus: Das ist wirklich nur in ganz wenigen Fällen so. Der Tenor ist dann: "Die Kirche schafft sich selbst ab". Aber bislang hält es sich noch in Grenzen und die Aussagen sind nicht beleidigend. Ich kenne auch Kommentare im Internet wie "Homosexualität ist Sünde" und ähnliches. Das macht mich betroffen, auch wenn sich solche Reaktionen auf die Initiative nicht persönlich an mich wenden.

Frage: Sie arbeiten als Jugendreferent in einer Kirchengemeinde, also direkt an der "Basis" der Gläubigen. Ist es für die Jugendlichen ein Problem, dass Sie sich jetzt als homosexuell geoutet haben?

Diephaus: Das ist überhaupt kein Problem. Die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, wissen das schon etwas länger. Ich habe mich vor einiger Zeit in der Kirchengemeinde geoutet und dort wurde es sehr positiv aufgenommen. Besonders die Jugendlichen haben meine Homosexualität als Teil von mir akzeptiert.

Frage: Das hört sich nach einem sehr "normalen" Umgang mit dem Thema an.

Diephaus: Ja, genau. Ich glaube, für die junge Generation ist Homosexualität ein normales Thema und kein Tabu mehr. Viele kennen auch queere Menschen aus der Schule oder dem Sportverein. Es ist für sie eine Selbstverständlichkeit, dass es Homosexualität gibt. Viel wichtiger ist für die Jugendlichen der persönliche Umgang mit der Person, also die Frage: Ist er sympathisch? Komme ich mit ihm klar?

Sven Diephaus
Bild: ©KNA/Harald Oppitz/privat

Sven Diephaus ist Jugendreferent in einer katholischen Kirchengemeinde im niedersächsischen Haselünne (Bistum Osnabrück). Er ist 40 Jahre alt und homosexuell.

Frage: In der Kirche ist Homosexualität keine Selbstverständlichkeit. Wie geht Ihr Arbeitgeber, das Bistum Osnabrück, mit dem Outing um?

Diephaus: Ich hatte gemeinsam mit zwei Kolleginnen, die auch bei #OutInChurch teilgenommen haben, im Vorfeld der Aktion ein Gespräch mit unserem Bischof Franz-Josef Bode. Wir wollten ihn gerne vorher informieren, dass wir dabei mitmachen und als Bistumsangestellte erkennbar sind. Natürlich haben wir auch nachgefragt, ob wir durch unsere Teilnahme dienstrechtliche Konsequenzen zu befürchten hätten. Der Bischof sagte aber klar, dass das nicht der Fall sein wird. Es gibt im Bistum Osnabrück ein gutes Verhältnis zwischen ihm und den Mitarbeitern. Ich merke jetzt, dass zwischen uns wirkliches Vertrauen herrscht. Es war ein schönes Zeichen, dass Bode uns da so unterstützt hat.

Frage: Wie wird mit Ihrem Outing seitens des unmittelbaren Vorgesetzten, also des Pfarrers umgegangen? Gibt es da ein ähnliches Vertrauen?

Diephaus: Bisher ja. Mein Pfarrer wusste schon länger von meiner Homosexualität und war zu Anfang kurz verwundert, aber er hat gleich gezeigt, dass er sie als Teil von mir akzeptiert und sie kein Problem darstellt.

Frage: Sie können sich im Bistum Osnabrück recht frei äußern, aber gab einige Priester aus der gleichen Diözese, die bei der Aktion mitgemacht haben und lieber anonym bleiben wollen. Passt das zusammen?

Diephaus: Ich nehme an, das hängt für die Priester damit zusammen, dass man nie genau weiß, wie die Kirchengemeinde zu dem Thema steht, in der man vielleicht nach einer Versetzung arbeitet. Mein Eindruck ist, dass es für queere Priester etwas problematischer werden kann als für Laien im pastoralen Dienst oder Jugendreferenten wie mich. Ein Geistlicher steht mehr im Vordergrund und in einem anderen Verhältnis zum Bischof. Es ist sehr schade, dass sie sich anscheinend nicht trauen, ein Outing zu machen, aber ich kann es nachvollziehen.

Frage: Andere Teilnehmer haben in Ihren Statements von jahrzehntelanger Angst und Belastung aufgrund ihres Arbeitsverhältnisses bei der Kirche berichtet. Sie haben zwar sehr positive Erfahrungen gemacht, aber können Sie die Befürchtungen Ihrer Kollegen aus anderen Bistümern nachvollziehen?

Diephaus: Ich kann das sehr gut nachvollziehen, denn nach Abschluss des Studiums habe ich lange überlegt, ob ich mich überhaupt als homosexueller Mann bei der Kirche bewerben sollte. Ich entspreche nicht dem Idealbild, das die Lehre der Kirche zeichnet, und das war für mich eine große Hürde. Letztlich habe ich mich aufgrund der positiven Erfahrungen mit der kirchlichen Jugendarbeit in meiner Heimatgemeinde Twistringen für den Arbeitgeber Kirche entschieden. Ich kannte auch einige queere Personen, die bei uns im Bistum arbeiten und denen dort keine Steine in den Weg gelegt wurden. Mir war und ist aber auch klar, dass ich theoretisch immer damit rechnen muss, Gegenwind zu bekommen und schlimmstenfalls gekündigt zu werden, wenn ich offen mit meiner sexuellen Ausrichtung umgehe – auch wenn mir vom Bistum signalisiert wird, dass das nicht passiert. Ich habe mir vorher sehr gut überlegt, ob ich bei #OutInChurch mitmachen soll, denn mit einem mehrminütigen Video in der Mediathek der ARD aufzutauchen ist etwas anderes, als in einem Zeitungsartikel oder ein paar Sekunden im Radio von meiner Homosexualität zu sprechen. Aber ich wollte dem Thema mein Gesicht geben und allen, die hadern, ob sie sich outen sollen, Mut zusprechen. Ich gehöre nun zu denen, die diesen Schritt schon gemacht haben, und die den anderen versprechen, sie aufzufangen, wenn sie es uns gleichtun.

„Die Art der Liebe ist bei homo- und heterosexuellen Menschen genau die gleiche Liebe. Deshalb müssen wir doch auch alle segnen können.“

—  Zitat: Sven Diephaus

Frage: Warum ist es Ihnen wichtig, in der Kirche zu arbeiten, wenn sie es Ihnen doch nicht leicht macht?

Diephaus: Als im letzten Jahr im März der Vatikan Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare verboten hat,, habe ich ein paar Tage gebraucht, um das zu verdauen und damit umgehen zu können. Ich habe mich gefragt, ob mein Platz wirklich in der Kirche ist. Aber ich habe mich darauf besonnen, für wen ich meinen Job mache. Die Antwort: die Menschen hier in der Kirchengemeinde. Weil sie mich akzeptieren und meine Arbeit wertschätzen, bin ich geblieben. Außerdem fände ich es sehr bedauerlich, wenn alle, die queer sind, die Kirche verlassen würden. Dann gäbe es niemanden mehr, der die sexuelle Vielfalt in der Kirche repräsentiert. Das wäre fatal, denn eigentlich zeichnet Diversität die katholische Kirche aus. Viele queere Menschen arbeiten wegen der Botschaft des Evangeliums gerne in der Kirche, obwohl sie dort oft diskriminiert werden. Das geschieht meist weniger vor Ort, sondern seitens der Kirchenleitung.

Frage: Glauben Sie, dass es in naher Zukunft von der Kirche gestattete Segnungsgottesdienste für alle Paare geben wird?

Diephaus: Mich macht bei der Diskussion traurig, dass kaum danach gefragt wird, was Liebe im christlichen Verständnis bedeutet. Es gibt Menschen, die diese Segnungen ablehnen und andere, die sie befürworten. Aber unser aller Verständnis von Liebe ist doch wahrscheinlich sehr ähnlich. Wir müssen nur den Ersten Korintherbrief lesen, um zu sehen, wie der christliche Glaube die Liebe versteht. Die Art der Liebe ist bei homo- und heterosexuellen Menschen genau die gleiche Liebe. Deshalb müssen wir doch auch alle segnen können. Es geht dabei schließlich auch nicht um ein Sakrament.

Frage: Ist das auch der wichtigste Punkt der sieben Forderungen, die bei der Aktion gemacht werden?

Diephaus: Aus meiner Sicht wäre es besonders wichtig, schnell das Arbeitsrecht zu ändern und queeren Menschen die Angst vor einer Kündigung zu nehmen. Aber natürlich auch die Segnung aller Paare, denn die Liebe ist für alle gleich.

Frage: Wie haben sich die Teilnehmer von #OutInChurch eigentlich gefunden?

Diephaus: Infolge der Verlautbarungen aus dem Vatikan im März kam kurz danach eine Mail mit dem Aufruf, sich der Initiative anzuschließen, die damals noch nicht #OutInChurch hieß. Das Vorbild dazu war die Aktion #ActOut, bei der sich im Februar 2021 mehr als 180 Schauspielerinnen und Schauspieler in der Süddeutschen Zeitung als queer geoutet haben. Ich weiß nicht mehr von wem genau die Mail zum Mitmachen kam, aber man sollte sie auch an queere Personen in der Kirche oder an "Allies" weiterleiten, also Unterstützer im Kampf gegen die Diskriminierung von LGBT-Menschen. Wie man auf mich gekommen ist, weiß ich bis heute nicht, aber ich hatte mich damals schon in der Lokalpresse zum Thema Homosexualität und Kirche geäußert. So hat sich langsam eine Gemeinschaft aufgebaut, die sich einige Zeit danach auch zu einer Online-Sitzung getroffen hat. Zuerst war nur ein Manifest mit Reformforderungen angedacht, aber dann hat es sich zu etwas sehr Großem mit Internetseite, Film, Video-Statements und Buch entwickelt.

Von Roland Müller