SPD-Politiker: Kirche bei Aufarbeitung stärker in die Pflicht nehmen
Der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci will Kirchen und andere Institutionen bei der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs stärker in die Pflicht nehmen. "Die Institutionen, in denen die Taten geschehen sind, müssen auch selber tätig werden, weil es sonst kein Lernen gibt. Wir dürfen sie nicht aus der Verantwortung und gleichzeitig nicht alleine lassen", sagte der Beauftragte seiner Fraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag). Neue Aufarbeitungs- oder Wahrheitskommissionen brauche es dafür aber nicht.
So könne man staatliche Einrichtungen stärken, die es schon gebe, allen voran die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (UAK). Würde deren Leitfaden für Aufarbeitung für verbindlich erklärt, müssten auch in der Kirche Mindeststandards eingehalten werden, sodass nicht jeder Bischof machen könne, was er wolle, sagte Castellucci. Die UAK müsste jedoch in die Lage versetzt werden, diese Prozesse zu überprüfen und zu bewerten. Der SPD-Politiker sprach sich auch dafür aus, belastbare Informationen über Art und Umfang sexueller Gewalt zu gewinnen. "Man könnte die regelmäßigen Studien des Robert-Koch-Instituts (RKI) über die Gesundheit der Bevölkerung nutzen, um eine Einschätzung zu bekommen, wie viele Menschen in der Republik überhaupt davon betroffen sind", sagte der Sozialdemokrat.
Auch die Betroffenen bräuchten eine eigene Organisationsform, die "erst mal ihre ist, in der sie stark sind, in der sie auch Unterstützung haben, also Supervision, Beratung oder sonstige Dinge, die da vonnöten sind". Derzeit würden einzelne Betroffene rausgepickt und in Zusammenhänge gestellt, in denen "sie dann möglicherweise ihr Elend nochmals durchleben. Deswegen brauchen wir mehr Unterstützung für die Selbstorganisation der Betroffenen".
Im neuen Bundestag habe sich viel bewegt
Es bestehe die Gefahr, dass die Gesellschaft, aber auch die Politik das Tabuthema sexualisierte Gewalt wegdränge. Dem müsse mit einer "Kultur des Hinsehens" begegnet werden – "ganz gleich, wo und wann und von wem sexualisierte Gewalt ausgeübt wird, ob im Sport, in der Schule, in Heimen, in der Familie oder eben in der Kirche". Nicht nur durch den Koalitionsvertrag, auch im neuen Bundestag habe sich viel bewegt. Im neuen Parlament sei eine neue Generation vertreten, die "diese Dinge unbefangener und frischer anpackt".
Die ehemalige Vorsitzende der UAK, Sabine Andresen, sagte der Zeitung, es stimme zuversichtlich, wenn Aufarbeitung auch als innenpolitisches Thema diskutiert werde. "Das eröffnet dringend nötige neue Perspektiven, und niemand wird aus der Verantwortung entlassen." Wie Andresen begrüßte auch das Kommissionsmitglied Matthias Katsch die Vorschläge, an bestehende Strukturen anzuschließen und ein etabliertes Befragungsinstrument für die Klärung des Dunkelfeldes zu nutzen: "Das wäre wegweisend für die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung."
In einer Stellungnahme der Aufarbeitungskommission heißt es, die Stärkung des Gremiums "wäre ein wichtiges politisches Zeichen und wegweisend für die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung, die eine klare Haltung von uns allen braucht: hinschauen, es wissen wollen und Verantwortung übernehmen". Und weiter: "Wie wir beispielhaft an der katholischen Kirche immer wieder sehen, kann eine Institution die eigene Gewaltgeschichte glaubwürdig und mit der notwendigen Beteiligung der Betroffenen nicht alleine aufarbeiten". Dafür sei eine unabhängige Aufarbeitung und ein starker politischer Rückhalt notwendig. (KNA)