Himmelklar – Der katholische Podcast

Frings: Argument "Evangelisierung" ist nur Vorwand, nichts zu ändern

Veröffentlicht am 23.02.2022 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 
Thomas Frings
Bild: © privat

Köln ‐ 2016 sorgte Thomas Frings für Aufsehen, als er sein Amt als Pfarrer ruhen ließ. Im Interview blickt er auf die aktuelle Lage der Kirche – und wirft manchen vor, das Argument "Evangelisierung" als Vorwand gegen Reformen zu benutzen.

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Vor sechs Jahren löste seine Ankündigung, aus allen Ämtern im Bistum Münster auszuscheiden und vorläufig in eine Benediktinerabtei zu gehen, ein großes öffentliches Echo aus. Thomas Frings begründete diesen Schritt mit dem unaufhaltsamen "Bedeutungsverlust vom in der Kirche gelebten Glauben". Seit 2018 arbeitet er wieder in der Seelsorge in Köln. Früher, sagt er im Interview, sei er "sehr, sehr konservativ" gewesen – heute kann er nicht mehr verstehen, warum Frauen vom Priesteramt ausgeschlossen werden.

Frage: Schon 2016 haben Sie aus Protest über den Bedeutungsverlust und die Zustände in der katholischen Kirche Ihre Amtsgeschäfte als Priester des Bistums Münster niedergelegt. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate betrachten?

Frings: Ich sitze nicht am Spielfeldrand und habe Schadenfreude. Überhaupt nicht. Ich bin das 37. Jahr im Dienst der Kirche und es tut verdammt weh, wenn Sie gegen Ende Ihrer Dienstzeit – ich bin über 60 – sehen, wie das, wofür Sie sich eingesetzt haben und wovon Sie wirklich überzeugt waren und auch noch sind, so dermaßen sich selbst zerlegt. Und das kam ja nicht dadurch, dass von außen etwas die Kirche unter Druck gesetzt hat, sondern es kam von innen. Darauf waren wir nicht vorbereitet und darauf hatten wir keine Antwort. Ich habe damals mit pastoralen Gründen meine Auszeit begründet, mit einem Festhalten an einer Pastoral der Vergeblichkeit. Dass die Kirche so sehr eingeholt wurde durch eine Praxis, eine mangelnde Kommunikation und schlechtes Reagieren – das schmerzt.

Gleichzeitig sehe ich auch Positives, wie zum Beispiel die Folgen der Aktion "#OutInChurch". Das wäre vor vier oder fünf Jahren noch nicht denkbar gewesen. Da gehen Menschen hin, outen sich und in der Woche darauf solidarisieren sich viele Generalvikariate und Bischöfe und sagen: In unserem Bistum werden wir die Praxis verändern. Wir werden diesen Menschen, die anders empfinden, anders leben, andere Lebensentwürfe haben, nicht mehr arbeitsrechtlich in irgendeiner Weise deswegen Nachfragen stellen oder sie belangen. Das freut mich – und gleichzeitig hat diese Reaktion doch auch einen leichten Beigeschmack. Da denke ich mir: Warum habt das nicht 24 Stunden vor der Aktion gesagt? Da entsteht wieder der Eindruck von: Wir geben zu, was wir nicht leugnen können, und wir begrüßen, was wir nicht verhindern können. Immer wieder ist Kirche nur in Reaktion, aber nicht in Aktion. Und das ist nicht die richtige Haltung. Wir sollten aktiv werden und nicht nur immer reagieren.

Frage: Das ist ja auch eine Kritik, die beim Thema Missbrauch immer ankommt, immer nur den Schritt zu gehen, der nicht mehr vermeidbar ist.

Frings: Ich bin nie missbraucht worden, ich habe nicht missbraucht und ich habe nicht vertuscht, aber ich habe das auch nicht für möglich gehalten. Und das ist der Fehler, den ich mir natürlich ankreiden muss. Bis ich verstanden habe, was in meinem eigenen Laden möglich war, hat es sehr lange gedauert, weil ich es einfach nicht wahrhaben wollte. Das ist etwas, wofür ich mich dann entschuldigen und sagen muss: Das ist mein Anteil. Ich kann es nicht nur irgendwo anders hin delegieren, sondern ich bin auch Teil von etwas.

Bild: ©KNA/Klaus Nelissen (Symbolbild)

Eine Aktion wie "#OutInChurch" wäre vor wenigen Jahren in der Kirche noch undenkbar gewesen, so Thomas Frings.

Frage: Zum Thema #OutinChurch: Was dem Ganzen ja auch noch vorläuft, ist die Aktion "#liebegewinnt". Letztes Jahr, als sich eine große Zahl von Priestern gegen den Willen des Vatikans für die Segnung homosexueller Menschen ausgesprochen hat und das konkret auch angeboten hat, haben Sie sich auch selber daran beteiligt. Hat das auch Überwindung gebraucht, so explizit dem Willen der Hierarchie zu widersprechen? Zum Priestersein gehört ja auch der Begriff Gehorsam.

Frings: Nein, das hat überhaupt keine Überwindung gebraucht, weil ja auch in mir über die letzten Jahre eine Veränderung stattgefunden hat: im Empfinden, im Sehen, im Wahrnehmen, auch im Lernen. Und diese führt dann dazu, dass es zum Beispiel hier bei "Kirche für Köln", wo ich mitarbeite, im Belgischen Viertel an St. Michael, gar keine Diskussion war, dass wir mitmachen bei "Liebe gewinnt". Ich will nicht nur sagen, dass zweieinhalbtausend Seelsorgerinnen und Seelsorger diese Aktion unterstützt haben, sondern sieben Diözesanbischöfe sich öffentlich dazu bekannt haben und gesagt haben: Ein reines Verbot von Rom ist wenig hilfreich. Können Sie sich vorstellen, dass vor zehn Jahren auch nur ein deutscher Diözesanbischof das so gesagt hätte?

Frage: Dabei hat sich die Grundsituation ja nicht so wirklich verändert in den letzten Jahren. Warum gewinnt das jetzt so eine Dynamik? Ist es einfach ein Fass, das zum Überlaufen kommt? Oder steckt da noch mehr dahinter?

Frings: Ich habe das Gefühl, das ist wie eine Lawine, die einfach immer mehr mitnimmt, aber auch freilegt. Das spielt alles ineinander. Zum Beispiel der Veränderungswille und die Bereitschaft bei Kirchenvertretern ist doch auch ausgelöst dadurch, dass Hunderttausende von Menschen aus der Kirche austreten. Würden die das nicht tun, glauben Sie, dass da so viel an Veränderungsbereitschaft wäre? Der finanzielle Druck und das Weglaufen der Mitglieder führen zu Veränderungen massiver Art. Davon bin ich überzeugt.

Frage: Da ist die Frage, ob das jetzt etwas Positives ist, etwas Negatives oder beides zugleich?

Frings: Es ist beides. Ich begrüße deswegen keinen Austritt. Aber ich muss denen, die gehen, auch sagen: Euer Schritt führt zu einer Reaktion, die es ohne euren Schritt leider nicht geben würde.

Frage: Aber ich könnte mir vorstellen, Priester sein in der aktuellen Lage wird nicht einfacher, weil man ja quasi die Identifikationsfigur des Systems ist.

Frings: Es war mal leichter, Priester zu sein und es hat schon mal mehr Freude gemacht. Doch ich sehe auch etwas Positives darin, dass das Ideal, mit dem auch ich gestartet bin, sich zerlegt. Das führt auch zur Freiheit, weil man nicht mehr einem Ideal entsprechen muss. Man muss nicht mehr auf dem Sockel stehen, auf den man gehoben wurde, auf dem man auch gar nicht mehr stehen will.

Wenn man sich unseren jetzigen Papst ansieht, der lebt ja nun wirklich nicht mehr auf einem Podest oder auf einem Sockel – nicht mal auf einem Kleinen, nicht mal mehr auf Schuhen mit höheren Absätzen. Und? Hat es dem Amt geschadet? In keiner Weise.

Linktipp: Gott funktioniert nicht. Und jetzt?

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Frage: 1987 sind Sie zum Priester geweiht worden, also vor knapp 35 Jahren. Gab es da bei Ihnen persönlich irgendwann ein Umdenken, dass Sie gesagt haben: Ich möchte anders behandelt werden, als ich es als Priester, als Pfarrer werde?

Frings: Das Umdenken setzte sehr früh ein, schon als Kaplan. Als ich Priester wurde, war ich sehr, sehr konservativ. Ich habe dann schon in der Jugendarbeit gemerkt, dass die Jugend Respekt hatte nur vor Persönlichkeit, aber nicht von der Kleidung und nicht vor dem Amt.

Damit setzte bei mir, vielleicht nicht reflektiert und bewusst, aber doch eine Veränderung ein. Ich hatte einen hervorragenden Pfarrer als ich Kaplan war, der mir ganz viele Freiheiten gewährt hat und große Lernbereitschaft ermöglichte. Ich wurde schon nach vier Jahren dann selber Pfarrer. Gemeinde kann der ideale Lehrmeister sein, wenn man ihr zuhört.

Frage: Es gibt aber auch die Argumentation, dass gerade in der Jugendarbeit klare Strukturen gebraucht werden, dass Menschen sich heute der Kirche zuwenden, weil das was Entweltlichtes ist, wo es halt nicht so funktioniert wie im Rest der Welt. Das hören wir ja zum Beispiel auch als Gegenargument zum Synodalen Weg immer wieder, dass man ja nicht den Mangel verwalten sollte, sondern versuchen sollte, durch Evangelisierung die Menschen zu begeistern und mit Überzeugung von diesem System zu sprechen. Wo liegt darin der Widerspruch? Geht vielleicht auch beides?

Frings: Es gibt keinen Widerspruch, wohl eine Veränderung. Vor 35 Jahren bin ich geweiht worden. Seitdem hat vieles geändert. Und die, die jetzt Jugendarbeit machen, wollen vielleicht etwas ganz anderes – und vielleicht mit gutem Recht. Manche wollen klare Ansagen und manchmal auch etwas sehr Konservatives. Während wir früher lieber Meditationen machten, wollen die heute vielleicht Messe – und dann ist das ihr gutes Recht, auch das zu wünschen.

Kirche darf und muss auch sogar für etwas Unzeitgemäßes stehen. Wenn die Hochzeitspaare kommen: Viele können noch so liberal sein, sobald sie die Kirche betreten, wollen sie das Alte haben.

Und die, die jetzt von Evangelisation sprechen, denen kann ich nur ins Stammbuch schreiben: Ich weiß, warum unsere Kirche so den Bach runtergegangen ist, weil euch die Idee von Evangelisation leider ein bisschen spät gekommen ist. Was meinen Sie denn, was ich in den letzten 35 Jahren gemacht habe? Wer erst jetzt auf die Idee kommt, ist aber auch die Schlafmütze der letzten 50 Jahre gewesen. Ich habe den starken Verdacht, dass das Argument der Evangelisation missbraucht wird, um den Status Quo zu wahren.

Frage: Das heißt, es ist jetzt so einfach das letzte Argument, was man bringen kann, um gegen den Strom der Reformen zu schwimmen?

Frings: Das letzte Argument vermute ich mal, um nichts zu verändern. Wenn mir Leute bei Fragen nach dem Zölibat oder der Priesterweihe für Frauen sagen: Da könne man auch gleich evangelisch werden, antworte ich: Ihr habt noch nie mit Andacht an einer Eucharistiefeier teilgenommen. Wenn für euch Eucharistiefeier daraus besteht, dass ein unverheirateter Mann zelebriert, dann habt ihr den Inhalt dieses Sakramentes anscheinend noch nicht richtig erfasst. Beschäftigt euch mal mit ihrem Sinn, bevor ihr solch eine provozierende, dümmliche Aussage macht, man solle doch evangelisch werden, wenn man nicht für den Zölibat und gegen das Priestertum der Frau ist. Als ob das Wesen dieser Feier von Tod und Auferstehung Jesu daran hängen würde.

„Ich habe den starken Verdacht, dass das Argument der Evangelisation missbraucht wird, um den Status Quo zu wahren.“

—  Zitat: Pfarrer Thomas Frings

Frage: Es ist ja immer die Frage, ob da vielleicht zwei Sachen vermengt werden, die gar nicht unbedingt miteinander zu tun haben. Es ist ja legitim, sich eine konservative Kirche zu wünschen, eine liturgisch konservative Kirche zum Beispiel. Aber das muss ja eigentlich nichts zu tun haben mit missbräuchlichen Machtstrukturen und einem veralteten Gesellschaftsbild - und dass zum Beispiel ein zölibatärer Mann die Messe leitet. Kann man diese zwei Sachen auch voneinander trennen? Das wäre ja eigentlich angebracht.

Frings: Ich kann die voneinander trennen. Nehmen Sie einmal an einer Eucharistiefeier teil, der ich vorstehe als Priester. Ich halte mich sehr an die Form, ich halte mich sehr an den Inhalt, weil es etwas Gewachsenes ist, in dessen Dienst ich stehe, aber das nicht in meinem Dienst steht. Wer als Priester vollkommen frei vagabundierend durch so eine Feier durchgeht, der setzt die Gemeinde auch sehr seiner Persönlichkeit aus.

Frage: Kann es denn eine evangelisierende Kirche geben, die am Kern ihrer Botschaft steht, ohne die problematischen, missbräuchlichen, überholten Strukturen, gegen die wir im Moment versuchen, etwas zu unternehmen?

Frings: Die Strukturen müssen geändert werden. Wenn wir festgestellt haben, dass man in dieser Kirche eigentlich erst ab der Weihe als richtiger Christ gilt, dann stimmt da was nicht bei uns. Das Evangelium gilt nicht erst ab der Priesterweihe. Das Evangelium gilt mit seinen Ansprüchen und Zusprüchen ab der Taufe.

Doch gilt das für unsere Kirche fast nicht mehr, weil wir eine Struktur hervorgebracht haben, in der es heißt: Du darfst erst richtig mitentscheiden, wenn du geweiht worden bist, und du kannst nur geweiht werden, wenn du Mann bist, und du wirst nur geweiht, wenn du auch nicht heiratest. Da hängt zu viel zusammen, was nicht zusammenhängen muss.

Frage: Aber können wir das trennen? Schaffen wir es raus aus diesen Strukturen? Wenn man doch wirklich realistisch ist, wird man aus diesen Grundstrukturen, die seit Jahrhunderten existieren, von heute auf morgen nicht rauskommen?

Frings: Wir reden nicht mehr über Veränderungen von heute auf morgen. Wir haben nicht fünf vor zwölf, wir haben fünf nach zwölf. Die Diskussion in der evangelischen Kirche, ob Frauen Pastorinnen werden dürfen, hat es auch sehr lange gegeben. Und als man die Hoffnung fast aufgegeben hatte, wurden die Ämter für Frauen doch geöffnet. Elisabeth Haseloff war 1958 die erste Pfarrerin in Deutschland, doch das Zölibatsgebot, das ausschließlich für Pastorinnen galt, fiel erst 1979.

Wir diskutieren doch weder um die Aussagen der Evangelien, noch um Inhalte des Glaubensbekenntnisses oder von Dogmen. Und bei dem Rest muss doch Veränderung möglich sein!

Von Renardo Schlegelmilch