Was wurde aus der geplanten Einebnung des Priester-Grabs in Heidenau?
Als vor einem Jahr bekannt wurde, dass wohl zum ersten Mal überhaupt in Deutschland das Grab eines des Missbrauchs überführten Priesters eingeebnet werden sollte, sorgte dies bundesweit für Schlagzeilen. Konkret ging es um die Grabstätte des Priesters Herbert Jungnitsch, der in den 1960er Jahren im sächsischen Heidenau mindestens vier Mädchen im Alter zwischen vier und acht Jahren sexuell missbraucht hatte und nach seinem Tod 1971 auf dem Südfriedhof der Stadt begraben worden war.
Der Seelsorgerat der Heidenauer Pfarrgemeinde St. Georg hatte die Einebnung des Grabes als Teil des Aufarbeitungsprozesses nach eigenen Angaben bereits im Januar 2019 und noch einmal im Juli 2020 beschlossen; öffentlich bekannt wurde der Beschluss dann im Februar vergangenen Jahres durch einen Bericht der "Sächsischen Zeitung". Indes: Heute, ein Jahr nach Bekanntwerden der Pläne, existiert das mit dem Bibelspruch "Ich lebe und ihr sollt auch leben" (Joh 14,19) verzierte Grab des Täters immer noch.
Hat die Gemeinde von der Einebnung Abstand genommen?
Hat die Pfarrgemeinde von der geplanten Einebnung in der Zwischenzeit also Abstand genommen? Keineswegs, beteuert der mit dem Fall beschäftigte Gemeindereferent Benno Kirtzel im Gespräch mit katholisch.de. Die Auflösung der Grabstätte des Priesters sei weiterhin geplant. Neben Corona-bedingten Verzögerungen müsse man aber auch noch den im vergangenen September angekündigten Vaterschaftstest abwarten, für den die sterblichen Überreste Jungnitschs exhumiert werden sollen. "Wir wollen schließlich nicht durch eine vorzeitige Einebnung des Grabes mögliche Spuren verwischen und den geplanten Vaterschaftstest dadurch verhindern", so der Gemeindereferent.
Der Hintergrund: Eine nicht näher genannte Person hatte sich im Herbst vergangenen Jahres an das Bistum Dresden-Meißen gewandt und um Hilfe bei einem Verfahren zur Feststellung einer möglichen Vaterschaft von Jungnitsch gebeten. Das Bistum hatte damals erklärt, keinerlei Einwände gegen einen entsprechenden Test zu haben und der Person nach eigenen Angaben einen Rechtsanwalt genannt, der in einem solchen Verfahren helfen könne. Danach war lange Zeit unklar geblieben, ob die Person das Verfahren tatsächlich angestrengt hatte.
Kirtzel bestätigt im Gespräch mit katholisch.de nun jedoch, dass das Verfahren zur Feststellung einer möglichen Vaterschaft Jungnitschs im Gange sei und die Pfarrgemeinde die Person bei diesem Prozess unterstütze. "Wir sind derzeit noch dabei, einige bürokratische Hürden zu überwinden, weil bei so einem Verfahren schließlich viele Beteiligte zusammenspielen müssen", so der Gemeindereferent. Die geplante Exhumierung der sterblichen Überreste des Priesters habe noch nicht stattgefunden, weil noch nicht alle notwendigen behördlichen Rückmeldungen vorlägen. "An der Pfarrei und dem Bistum liegt diese Verzögerung aber nicht", betont Kirtzel.
Mit Blick auf die derzeitige Situation in der Pfarrgemeinde erklärt der Gemeindereferent, dass der Fall Jungnitsch weiterhin "sehr präsent" sei. Vor allem wirke der Gemeindeabend vom vergangenen September immer noch nach. Damals hatte die Pfarrei zwei Stunden lang mit Betroffenen und Vertretern des Bistums – darunter auch Bischof Heinrich Timmerevers – über den Fall gesprochen. Im Zentrum stand dabei das Schicksal der Betroffenen. Eine von ihnen, Christina Meinel, gab bei dem Treffen Einblicke, was der Missbrauch mit ihr und ihrer Familie gemacht hatte. Ruhig schilderte sie, wie sie "Onkel Pfarrer" verehrt und wie sie später ein nach außen hin "normales" Familienleben geführt habe. Doch in ihr sei eine tiefe Traurigkeit und Erstarrtheit gewesen, die sie sich lange nicht habe erklären können. An den Missbrauch habe sie damals keine Erinnerungen gehabt; die seien erst später wieder gekommen.
„Einen Schlussstrich setzen wir nicht.“
Nach Kirtzels Eindruck hat der Auftritt Meinels vieles in Bewegung gebracht: "Dadurch, dass sie an dem Abend damals so eindringlich geschildert hat, was sie erlebt hat und wie der Missbrauch ihr Leben geprägt hat, konnten sich weite Teile der Zuhörer aus der Gemeinde mit ihrem Schicksal identifizieren." Nach dem Abend habe niemand mehr sagen können, dass die Betroffenen Störenfriede von außen seien. "Im Gegenteil: Durch die Schilderungen von Frau Meinel wurde endgültig klar, dass die Missbrauchsfälle Teil unserer Geschichte sind und auch immer bleiben werden", so der Gemeindereferent. Seit dem Gemeindeabend im September habe es in der Pfarrei viele weitere Gespräche gegeben – "da hat sich einiges getan".
Pfarrei will angemessen an Taten und Betroffene erinnern
Der nächste Schritt sei nun, eine angemessene Form der Erinnerung an die Taten Jungnitschs und an die bekannten und unbekannten Betroffenen zu entwickeln. "Eine mögliche Idee ist die Schaffung eines frei zugänglichen Erinnerungsortes, der an das Leid der Kinder erinnert und es uns immer wieder neu ins Gedächtnis ruft", so Kirtzel gegenüber katholisch.de. Klar sei in jedem Fall, dass das Leid der Betroffenen nie aufhöre. "Und deshalb hört diese Sache für uns als Gemeinde auch nie auf. Einen Schlussstrich setzen wir nicht."
Konkrete Fortschritte gibt es laut dem Gemeindereferenten beim Präventionskonzept der Pfarrei. Dieses sei "mit Priorität" erarbeitet worden und inzwischen "nahezu fertig". Mit dem so entstandenen Regelwerk hoffe man, Missbrauch in Zukunft zu verhindern oder ihn zumindest frühzeitig zu erkennen und ihm wirksam zu begegnen.