Kritik ohne Kontext: Strategie zur Delegitimierung des Synodalen Wegs?
Um eine Aussage zu verstehen, ist es unerlässlich, den Kontext zu bedenken, aus dem heraus sie getätigt wurde. Wer den Kontext nicht kennt, missversteht einen Satz leicht; wer ihn gar wissentlich verschweigt, kann dem Gegenüber allzu leicht das Wort im Munde herumdrehen. Passiert das gerade bei den Angriffen auf den Synodalen Weg?
Ausgangspunkt und Anlass des Synodalen Weges ist die Aufdeckung tausendfacher sexualisierter und spiritueller Gewalttaten durch Kleriker sowie deren Vertuschung. So formulieren die ersten Worte der Satzungspräambel: "Die Katholische Kirche in Deutschland macht sich auf einen Weg der Umkehr und der Erneuerung. Wir stellen uns der schweren Krise, die unsere Kirche, insbesondere durch den Missbrauchsskandal, tief erschüttert." Aufgabe und Ziel des Synodalen Weges ist es somit, die systemischen Ursachen und Risikofaktoren für Gewalt und Vertuschung anzugehen.
Kontext verleiht Initiativen Dringlichkeit
Das ist der diskursive Kontext des Synodalen Weges. Nur so lassen sich die Initiativen verstehen, die vom Synodalen Weg beraten und verabschiedet werden. Dieser Kontext verleiht ihnen ihre Grundlage und ihre Dringlichkeit.
Ein Beispiel: Die Vorlage zum Pflichtzölibat, die in Frankfurt in erster Lesung (inklusive vieler Änderungswünsche) angenommen wurde, nennt als Argument natürlich auch die sakramentale Versorgungsunsicherheit aufgrund des Priestermangels. Der gewichtigste Punkt in der Argumentation aber ist die Einsicht, dass eben jene Pflicht zur Ehelosigkeit anziehend auf Männer mit gefährlich-unreifer persönlicher und sexueller Entwicklung wirken kann, weil ihre Ehelosigkeit oder gar Beziehungsunfähigkeit nicht begründet werden muss; sie wird sogar noch spirituell aufgeladen und gewürdigt. Wie real und fatal diese Gefahr wirken kann, ist in der MHG-Studie nachlesbar.
In zahlreichen öffentlichen Beiträgen machen die Synodalen den Zusammenhang zur systemischen Missbrauchsprävention immer wieder klar und auch die Synodaltexte enthalten mannigfaltige Verweise darauf. Warum aber bleibt dieser Kontext bei Kritikern des Synodalen Weges so oft ungenannt?
Synodale wie Betroffene sexualisierter und spiritueller Gewalt waren mehr als irritiert, als Nuntius Nikola Eterović in seinem Redebeitrag auf der dritten Synodalversammlung zum wiederholten Male Kritik an den Diskussionen und Zwischenergebnissen äußerte, ohne jedoch ein Wort über Gewalt und Vertuschung zu verlieren. Auch der jüngst verfasste öffentliche Brief von Stanisław Gądecki, dem Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz, an seinen Amtsbruder Georg Bätzing blendet diesen Zusammenhang (bewusst oder unbewusst) aus. Und es ließen sich viele, viele weitere Beispiele für diese auffällige Leerstelle nennen.
Bewusstes Reißen aus Zusammenhang?
Drängt sich da nicht der Verdacht auf, dass hier durch gezielte De-Kontextualisierung eine De-Legitimierung des Synodalen Weges betrieben wird? Werden die Reformbemühungen bewusst aus dem Zusammenhang zu Missbrauch und Vertuschung gerissen, um sie als zeitgeistlicher Wiedergänger abgedroschener Alt-68er-Forderungen hinzustellen? Dieser Eindruck entsteht seit einiger Zeit und scheint sich durch immer neue Aussagen von „synodalkritischer“ Seite zu bestätigen.
Eine vernünftige und faire Debattenkultur, ein echter geistlicher Dialog braucht den Widerspruch und die Kritik. Er braucht aber zuerst das ernsthafte Verstehen und Ernstnehmen der anderen Position, inklusive ihres Kontextes. Wenn also bewusst eine Strategie der De-Kontextualisierung verfolgt würde, wäre das ein grobes Foul im kirchlichen Diskurs. Sie käme einer bewussten Falschdarstellung und Diskreditierung der Ziele und der Arbeit des Synodalen Weges gleich.
Aber auch ein unbewusstes Ausblenden hat fatale Folgen für unsere geistlichen Dialoge, denn es macht echte Verständigung unmöglich. Und es wird sich fragen lassen müssen, ob dadurch nicht sogar dem eigentlichen Anliegen, sexualisierte und spirituelle Gewalt zu verhindern, geschadet wird.