"Vertrauenskrise": Kölner Mitarbeitervertretungen schlagen Alarm
Die kirchlichen Beschäftigten im Erzbistum Köln haben sich kritisch zur aktuellen Lage in Deutschlands mitgliederstärkster Diözese geäußert. "Die Mitgliederversammlung erkennt in der derzeitigen Situation eine Vertrauenskrise der Gläubigen und der Mitarbeitenden", erklärte die Diözesane Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen im Erzbistum Köln (Diag MAV Köln) am Mittwoch. Die Arbeitsgemeinschaft bündelt eigenen Angaben zufolge die Interessen von rund 75.000 Beschäftigten bei Kirche und Caritas in der Erzdiözese.
Im Erzbistum Köln gebe es keinen ausreichenden Aufklärungs- und Reformwillen, um bestehende Strukturen nachhaltig zu verändern und sexualisierte Gewalt im Sinne der Opfer aufzuarbeiten, so die Diag MAV Köln. Sie forderte einen "toleranten Umgang mit allen Kolleginnen und Kollegen unabhängig von deren persönlicher Lebenssituation". Ausdrücklich unterstütze die Arbeitsgemeinschaft die Initiative "#OutInChurch", bei der 125 Kirchenmitarbeitende öffentlich über ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität gesprochen hatten.
Die Diag MAV warnte davor, die aktuelle Situation könne zu einem weiteren Fachkräftemangel führen und die "qualitativ gute Arbeit" in den Einrichtungen von Kirche und Caritas gefährden. Die Mitarbeitenden stünden unter "moralischem Druck", sich wegen ihres Arbeitgebers rechtfertigen zu müssen. Die Arbeitsgemeinschaft forderte eine Reform von Entscheidungs- und Beteiligungsstrukturen sowie Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht.
Kirchenaustritte dramatisch angestiegen
Unterdessen sind nach Recherchen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Donnerstag) im Erzbistum Köln im Jahr 2021 mehr Katholiken aus der Kirche ausgetreten als jemals zuvor. Insgesamt haben laut Bericht zwischen Januar und Dezember des vergangenen Jahres rund 62.000 Personen ihre Kirchenmitgliedschaft beendet. Das sind etwa 20.000 oder 48 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019. Das ergab eine Anfrage bei den für Kirchenaustritte zuständigen 25 Amtsgerichten in NRW sowie den sechs Standesämtern in Rheinland-Pfalz, deren Bezirke zum Erzbistum Köln gehören. Die Zahlen von 2020 lassen sich demnach wegen der Pandemie-bedingt eingeschränkten Tätigkeit der Gerichte nicht mit denen von 2019 und 2021 vergleichen.
Zwar schlüsseln die meisten Amtsgerichte die Austritte nicht nach Konfessionen auf. Dennoch spricht alles dafür, dass der sprunghafte Anstieg auf die Austritte von Katholiken zurückzuführen ist und der prozentuale Zuwachs hier deutlich über 50 Prozent liegt. In den neun Amtsgerichtsbezirken, deren Zahlen nach Konfessionen getrennt ausgewiesen werden, haben die Austritte aus der katholischen Kirche um insgesamt 60 Prozent zugenommen.
Am stärksten ist der Anstieg laut Bericht in Köln. Hier verdoppelte sich die Zahl der Kirchenaustritte annähernd, von 10.073 im Jahr 2019 auf 19.209. Davon betrafen nach vorläufigen Zahlen nur 4.867 Austritte die evangelische Kirche. Auch im nahe gelegenen Bonn wurden 84 Prozent mehr Kirchenaustritte verzeichnet. Das Plus der katholischen Austritte beträgt 106 Prozent.
Der Massenexodus ist nicht nur ein großstädtisches Phänomen. Im ländlich geprägten Amtsgerichtsbezirk Rheinbach bei Bonn hat die Zahl der ausgetretenen Katholiken gegenüber 2019 um 97 Prozent zugenommen, im Amtsgerichtsbezirk der Kreisstadt Siegburg waren es 89 Prozent.
"Diese Zahlen sind der dokumentierte Vertrauensverlust gegenüber Kardinal Woelki und führen das Erzbistum in die Kernschmelze, wenn sich nichts ändert", sagte der Vorsitzende des Diözesanrats, der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach, der Zeitung. Wer jetzt nichts tue, der sei verantwortlich dafür, dass Gläubige aus "der Mitte der Gemeinde" der Kirche den Rücken kehrten, so der Vertreter des obersten Laiengremiums im Erzbistum.
Pfarrer: Hauptgrund ist Kardinal Woelki
Dass der Hauptgrund für die Austrittszahlen Kardinal Rainer Maria Woelki heißt, ist laut Bericht auch Konsens unter den Pfarrern im Erzbistum: "Briefe und Rückfragen unserseits zeigen sehr deutlich, dass die meisten in Bonn ihren Austritt mit der Amtsführung von Kardinal Woelki und der Vertrauenskrise in Verbindung bringen", sagte Bonns Stadtdechant Wolfgang Picken. Die Unzufriedenheit habe alle Kreise und Schichten der Gesellschaft erfasst.
Auch aus der Statistik der Kirchenaustritte für alle Amtsgerichte des Landes Nordrhein-Westfalen, die der Zeitung vorliegt, geht hervor, dass es sich um ein spezifisch kölnisches Phänomen handelt. Die Zahl der Austritte, die gegenüber den rund 100 Amtsgerichten außerhalb des Erzbistums Köln erklärt wurden, erhöhte sich "nur" um knapp zwanzig Prozent, von 78.000 im Jahr 2019 auf 93.000 im Jahr 2021.
Im Erzbistum Köln hat vor allem die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen zu einer Vertrauenskrise geführt. Papst Franziskus erklärte nach einer Untersuchung, Woelki habe in diesem Zusammenhang "große Fehler" vor allem in der Kommunikation gemacht, aber keine Verbrechen vertuschen wollen. Der Kardinal befindet sich seit Oktober in einer geistlichen Auszeit. Am Aschermittwoch soll er seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen. (tmg/KNA)