Trotz Krieg: Kirchenvertreter harren mit Menschen in Ukraine aus
Trotz des Krieges in der Ukraine bleiben viele Vertreter der katholischen Kirche weiterhin in den Kriegsgebieten. Der römisch-katholische Bischof von Charkiw-Saporischschja, Pawlo Honczaruk, und der orthodoxe Bischof der Region etwa haben Zuflucht in einem Bunker von Charkiw gefunden. Dort harrten die beiden seit ein paar Tagen mit mehreren Familien aus, berichtete "Kirche in Not" am Dienstag in München. Inmitten des Bombardements habe Honczaruk eine Dankesbotschaft an alle Mitarbeiter, Freiwilligen und Wohltäter geschickt. "Ich wünsche mir, dass dieser entfesselte Krieg so schnell wie möglich endet." Die Nachricht schloss mit den Worten: "Meine Botschaft ist kurz und ich muss Schluss machen, weil ständig Bomben fallen. Gott segne Sie!"
Eine Bombe traf am Dienstagmorgen auch das Bischofshaus der römisch-katholischen Kirche in Charkiw. Sie habe aber wie durch ein Wunder nur ein Loch im Dach verursacht, teilte der Dompfarrer und Ordinariatskanzler Gregorio Semenkov dem italienischen Pressedienst SIR mit. 40 Menschen, vor allem Mütter mit ihren Kindern, hätten kurz vor dem Angriff Zuflucht im Kellergeschoss gefunden und seien unverletzt. Anderswo in der Stadt seien bei den Angriffen Zivilisten ums Leben gekommen. Das ukrainische Innenministerium meldete mindestens 10 Tote und 35 Verletzte.
"Wir leben von Tag zu Tag, die Situation ist kritisch"
In der strategisch wichtigen Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer kam es laut "Kirche in Not" am Wochenende wiederholt zu Raketen- und Bombenangriffen. In den ersten beiden Kriegstagen sei es in der Stadt zu Mangel an Grundnahrungsmittel wie Brot, aber auch von Treibstoff gekommen. Der dortige römisch-katholische Bischof Stanislaw Schyrokoradjuk bestätigte, dass inzwischen Hilfe aus den Nachbarländern eingetroffen sei, "aber wir leben von Tag zu Tag, die Situation ist kritisch. Wir bleiben hier und bitten um Ihr Gebet!" Der österreichischen Presseagentur Kathpress sagte Szyrokoradiuk, dass die russische Invasion aus den Ukrainern eine "große Einheit" gemacht habe. Die Menschen seien fest entschlossen, ihr Land zu verteidigen.
Zugleich sei die Hoffnung auf Frieden durch einen Sieg über Russland oder durch Verhandlungen stark, so der Bischof. Landesweit gingen auch viele Zivilpersonen auf die Straße, um russische Panzer und Militärkonvois zu blockieren. Etliche hätten Molotowcocktails vorbereitet und warteten darauf, diese gegen die Angreifer einzusetzen. "Russland führt einen Krieg nicht gegen die ukrainische Armee, sondern gegen das ganze Volk", betonte Szyrokoradiuk. Es sei aber "unmöglich", die Ukrainer zu besiegen.
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Auch der Apostolische Nuntius in der Ukraine, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, will Kiew trotz anhaltender Gefechte nicht verlassen. "Es wäre widersprüchlich, wenn ich nun abreisen und die Menschen im Stich lassen würde", sagte er dem Sender Radio Horeb (Dienstag). Die Lage sei "wirklich sehr besorgniserregend", so der 47-Jährige. "Wir müssen immer wieder in die Luftschutzkeller, in die Bunker fliehen, um uns zu schützen." Er selbst habe immer einen Rucksack mit dem Allernötigsten dabei. "Denn ich weiß nicht, was in den nächsten Sekunden passieren kann." Die katholische Kirche versuche derweil alles zu tun, um sich für Frieden in der Ukraine einzusetzen, so der Diplomat. Zuversichtlich stimme ihn dabei die Anteilnahme aus aller Welt. "Ich erhalte so viele Nachrichten, ich kann sie gar nicht alle lesen. Alles Nachrichten, die mir mitteilen, dass die Menschen im Gebet und in Solidarität miteinander verbunden sind." Dies sei inmitten der Kriegswirren ein "positiver Aspekt".
"Wir legen unser Leben in die Hände von Gott, dem Vater und Schöpfer."
Auch die Missionare der Oblaten von der Makellosen Jungfrau Maria (OMI) halten sich in der Krypta einer Kirche in Kiew auf. "Es geht uns gut, aber wir befinden uns in einer prekären Lage und leben in Unsicherheit", sagte Pater Pawel Vyshkovskyj dem Nachrichtendienst "fides": "Wir verbringen jede Nacht in dem unterirdischen Bunker und schöpfen vor allem Mut, indem wir diese schrecklichen Momente im Gebet verbringen. Wir legen unser Leben in die Hände von Gott, dem Vater und Schöpfer." Die kleine Gemeinschaft der drei Missionare in der ukrainischen Hauptstadt sei Papst Franziskus dankbar "für seine Aufmerksamkeit und seelsorgerische Fürsorge, wir fühlen uns ihm in diesen schrecklichen Momenten sehr nahe", so Vyshkovskyj. "Es ist ein großer Trost für uns, die Solidarität und brüderliche Liebe des Papstes und der Getauften in der ganzen Welt zu spüren." Papst Franziskus hatte an Aschermittwoch zu einem Fastentag für den Frieden aufgerufen, dem sich auch andere Kirchenvertreter wie der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, und der Erzbischof von York, Stephen Cottrell, angeschlossen haben.
Die Ortskirche setzt laut "Kirche in Not" auch in Lwiw (Lemberg), nahe der Grenze zu Polen und außerhalb der Kampfzone, ihre Arbeit zur Unterstützung der Bevölkerung und vielen Flüchtlingen fort, hieß es. "Wir helfen Flüchtlingen, rüsten Luftschutzbunker aus, empfangen die Menschen, ganz besonders Frauen und Kinder. Die meisten gehen ins Ausland weiter, aber sie haben die Möglichkeit, sich bei uns auszuruhen. Und wir beten gemeinsam. Danke für alles", schrieb eine Ordensfrau der griechisch-katholischen Kongregation der Heiligen Familie.
Ein "berührendes" Foto, das das Hilfswerk erreicht habe, zeige einen jungen Mann in der Kathedrale von Charkiw. Er habe sich dort kurz vor seiner Einberufung in die Armee taufen lassen und die Erstkommunion empfangen. Die Einberufung aller Männer zwischen 18 und 60 Jahren sei für viele Familien traumatisierend, heißt es. "Mein Mann und meine beiden Söhne, beide Familienväter, wurden einberufen. Das ist jetzt unser Leben. Vielen Dank für Ihre Gebete und Ihre Unterstützung", schrieb die Projektleiterin einer der Eparchien, die sich mit "Kirche in Not" in Verbindung gesetzt habe.
Derweil kritisierte der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben, Erzbischof Vincenzo Paglia, die Rolle der EU im russischen Angriffskrieg als "schwach und energielos". Bereits zum zweiten Mal seit den 1990er Jahren und den Balkankriegen habe mangelnde Einigkeit in der Außenpolitik einen Konflikt nicht verhindern können, beklagte der Erzbischof im Interview mit der Zeitung "Il Mattino" (Dienstag). Es sei das zweite Mal, dass "die besorgniserregende Leichtfertigkeit und eine Verzögerung beim Festlegen gemeinsamer Ziele" zu einer humanitären Katastrophe führten, so Paglia weiter.
"Meine Angst ist, dass jetzt nur aus einem emotionalen Impuls heraus reagiert wird, mit irrationalen Entscheidungen." Entscheidend sei es, der Invasion ein Ende zu setzen. Hierfür müsse ein Dialog begonnen werden; die Lösung dürfe nicht den Waffen überlassen werden. Er träume davon, so Paglia weiter, dass Papst Franziskus gemeinsam mit den Patriarchen der verschiedenen ostkirchlichen Riten wie im März 2020 auf den Petersplatz gehe, um das Gewissen aller aufzurütteln – in Empörung und Liebe. (cbr/KNA)