Grundordnung im Ausnahmezustand – Flickenteppich kirchliches Arbeitsrecht?
Manchmal geht es schnell: Nach Jahren stiller Gremienarbeit kam mit der Initiative "#OutInChurch" das kirchliche Arbeitsrecht plötzlich in Bewegung. Bistum um Bistum erklärten Bischöfe und Generalvikare, dass keinen Mitarbeitenden aufgrund ihrer persönlichen Lebensführung mehr gekündigt werden soll, etwa weil katholische Beschäftigte nach einer Scheidung noch einmal heiraten oder eine gleichgeschlechtliche Ehe eingehen. Elf Generalvikare riefen in einem Brief zu schnellen Reformen auf.
Ganz ambitionierte Stimmen wie die des Paderborner Generalvikars Alfons Hardt kündigten gar an, dass schon im Juni eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts möglich wäre. Bei der Eröffnungs-Pressekonferenz der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am Montag stellte der DBK-Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing, immerhin eine erste Lesung im Ständigen Rat im Juni in Aussicht. Warnend meldete sich zuvor der Leiter des Katholischen Büros Nordrhein-Westfalen, Antonius Hamers, zu Wort. Nicht mit grundsätzlichen Bedenken gegen eine Änderung des einheitlichen Arbeitsrechts – sondern aufgrund der Furcht vor einem arbeitsrechtlichen Flickenteppich, wenn jede Diözese auf eigene Faust vorangeht. Alleingänge im kirchlichen Arbeitsrecht würden die weltlichen Arbeitsgerichte nicht akzeptieren.
Die "Grundordnung des kirchlichen Dienstes" wird zwar bundeseinheitlich von den deutschen Bischöfen beschlossen. Die Bischofskonferenz und ihre Gremien haben auf diesem Gebiet aber keine Gesetzgebungskompetenz. Eine Reform der Grundordnung müsste daher von den jeweiligen Diözesanbischöfen jeweils einzeln als bischöfliches Gesetz mit Geltung für das eigene Bistum in Kraft gesetzt werden. Dass bei der letzten Reform 2015 drei bayerische Bistümer die Änderung zunächst wenige Monate lang nicht mitgemacht hatten, war damals schon ein ungewöhnlicher Vorgang – und schließlich setzten auch die Bischöfe von Eichstätt, Passau und Regensburg die Grundordnung wie im Rest Deutschlands in Kraft.
In der aktuellen Debatte ist noch kein Bischof vorgeprescht. Trotz vieler mehr oder weniger deutlicher Ansagen wurde der Verzicht auf Kündigungen aus Gründen der Lebensführung noch nirgends in ein bischöfliches Gesetz gegossen. Formal gibt es also immer noch eine einheitliche Grundordnung in allen deutschen Diözesen – inklusive des hoch umstrittenen Artikels 5, in dem die Kündigungsgründe wegen Verstößen gegen die Loyalität aufgeführt sind.
Der Rechtslage auf dem Papier nach müssen katholische Beschäftigte also immer noch mit einer Kündigung rechnen, wenn sie kirchlich nicht anerkannte Zivilehen eingehen – überall. Dass aber solche Kündigungen momentan überhaupt noch ausgesprochen werden, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Kein Bischof, kein Generalvikar spricht sich deutlich für die Kündigung aus – auch in den Bistümern, die nicht so enthusiastisch eine Änderung der Grundordnung mit ihren Loyalitätsobliegenheiten betreiben wie etwa Würzburg. Dort hat Bischof Franz Jung als erster eine klare Selbstverpflichtung zum Kündigungsverzicht ausgesprochen. Auch Limburg ist reformfreudig, wo Bischof Georg Bätzing die Zusicherung auch auf die Religionslehrkräfte ausgeweitet hat, die nicht im Kirchendienst sind: Künftig wird in Limburg die Unterrichtserlaubnis, die Missio canonica, nicht mehr an partnerschaftliche Aspekte der persönlichen Lebensführung geknüpft. Am Montag veröffentlichte Limburg auch als erstes eine Erklärung im Amtsblatt, mit der die Selbstverpflichtung amtlich gemacht wurde.
Artikel 5 – die Norm des Anstoßes
[…] (2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Verstöße gegen die Loyalitätsobliegenheiten […] als schwerwiegend an:
[…] 2. Bei katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: […]
c) den kirchenrechtlich unzulässigen Abschluss einer Zivilehe, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen; eine solche Eignung wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet,
d) das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft; bei diesem Loyalitätsverstoß findet Ziff. 2c) entsprechende Anwendung. [Anm. d. Redaktion: Zum Zeitpunkt der Verabschiedung gab es noch keine gleichgeschlechtlichen Ehen. Diese werden aber durch die Erwähnung unzulässiger Zivilehen in Buchstabe c) erfasst]
(Quelle: Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse in der Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015, Artikel 5, Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten; Hervorhebungen durch die Redaktion.)
Vorwiegend reformfreudig im Südwesten
Schon kurz nach der dritten Synodalversammlung teilte der Bischof von Rottenburg-Stuttgart Gebhard Fürst mit, "dass kein Mitarbeitender in unserer Diözese aufgrund seiner sexuellen Orientierung Repressalien oder gar eine Kündigung zu befürchten hat". Das Nachbarerzbistum Freiburg zeigt sich zurückhaltender und verweist auf Anfrage auf die Reform der Grundordnung, mit der dort spätestens im Herbst gerechnet wird. "Sollten dennoch bereits in den nächsten Wochen Situationen eintreten, in denen sich die Diözesanleitung mit dem Sonderkündigungsrecht befassen muss, würde kein Automatismus greifen. Vielmehr würden wir, wie bisher, den jeweiligen Einzelfall prüfen", so ein Sprecher auf Anfrage. Erzbischof Stephan Burger sei es wichtig, dass Mitarbeitende keine Angst haben müssen, und dass es ein einheitliches kirchliches Arbeitsrecht gibt.
Die südwestdeutschen Diözesen sind mehrheitlich klar im reformorientierten Lager, nicht nur in Limburg, dem Bistum des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. In Speyer hat sich der Generalvikar Andreas Sturm als einer von elf Generalvikaren deutlich für Reformen ausgesprochen. Der Bischof von Fulda Michael Gerber kündigte mit Blick auf "#OutInChurch" an, dass es keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen geben werde, in Trier sicherte Generalvikar Ulrich von Plettenberg zu, bis zu einer Grundordnungsreform die aktuellen Regelungen auszusetzen. Zurückhaltender äußerten sich der Bischof von Mainz Peter Kohlgraf und sein Generalvikar, Weihbischof Udo Bentz. Kohlgraf könne sich jedoch der Haltung anschließen, "dass jeder Aspekt des Privatlebens ohne dienstrechtliche Relevanz sei – wie es zumindest in manchen öffentlichen Beiträgen rezipiert wird". Es brauche eine sorgfältige Überarbeitung des Arbeitsrechts, die den Mitarbeitenden Klarheit und Rechtssicherheit verschaffe.
Vorhut und Vorsicht in Bayern
Die drei Bistümer Eichstätt, Passau und Regensburg, die bei der letzten Reform Bedenken hatten, zeigen sich jetzt deutlich offener. Zwar gibt es in keinem dieser Bistümer eine formelle Selbstverpflichtung. In Eichstätt wurde aber versprochen, dass nicht mit dienstrechtlichen Konsequenzen zu rechnen sei, "sofern die Beteiligten nicht kirchenfeindliches Verhalten damit verbinden". In Passau hat Bischof Oster queeren Mitarbeitenden Gespräche angeboten. Man könne und werde das kirchliche Arbeitsrecht nicht mehr buchstäblich auslegen, kündigte Ostern an. Der Regensburger Generalvikar Roland Batz ging am weitesten und begrüßte Grundordnungsänderungen, "weil sie auf der einen Seite die Rechtssicherheit verbessern werden und weil auf der anderen Seite die Loyalitätspflichten in ein angemessenes Maß zur Lebenswirklichkeit vieler Menschen zu rücken sind". Schon jetzt würden fast alle Loyalitäts-Herausforderungen im "persönlichen und vertraulichen Gespräch" gelöst.
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick erklärte, dass persönliche Lebensverhältnisse von Mitarbeitenden wie die sexuelle Orientierung oder das Beziehungsleben "kein Grund für die Beendigung eines Arbeitsverhältnis sind". In Augsburg mahnte Bischof Bertram Meier, dass "eventuelle Aktualisierungen dieser Rechtsquellen" gemeinsam diskutiert und beschlossen werden, sagte ein Sprecher des Bistums auf Anfrage. "Sicher ist, dass - sollten konkrete Handlungserfordernisse erkennbar werden - das Bistum Augsburg sich im Gespräch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in jedem Fall um eine gute Lösung bemühen wird", so der Sprecher weiter. In München und Freising habe es seit Jahren keine Kündigungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder des Beziehungslebens gegeben, das sei auch nicht geplant, teilte ein Sprecher der Erzdiözese mit.
Am reformfreudigsten zeigt sich Würzburg: Bischof Franz Jung hofft auf eine Reform der Grundordnung dergestalt, "dass Entscheidungen für eine gesetzlich geregelte oder nicht verbotene Partnerschaftsform nicht mehr als Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten gefasst werden und entsprechend eine Einstellung in den kirchlichen Dienst nicht mehr verhindern beziehungsweise eine Beendigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht mehr herbeiführen", so der Bischof in seiner Selbstverpflichtung. Auch bei Klerikern werde es hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung bei ihm keine kirchen- oder disziplinarrechtlichen Maßnahmen geben.
Vier von fünf in Nordrhein-Westfalen
Mitte Februar war klar: Vier der fünf nordrhein-westfälischen Bistümer verzichten auf Kündigungen aufgrund der persönlichen Lebensführung. Nach Essen, Münster und Paderborn erklärte der stellvertretende Aachener Generalvikar Rolf-Peter Cremer für sein Bistum, dass jeder, der in der Kirche arbeite, "frei und ohne Angst über sich und seine Person sprechen könne, ohne befürchten zu müssen, dass er deswegen eine Kündigung erhält".
Keine entsprechende Zusage gibt es aus dem Erzbistum Köln – dort ist allerdings erst seit Aschermittwoch Kardinal Rainer Maria Woelki als Erzbischof wieder im Amt. Woelki ist es auch, der die bischöfliche Arbeitsgruppe leitet, die in der Bischofskonferenz die Grundordnung überarbeitet.
Keine Konsequenzen im ganzen Norden
In Hamburg hat sich Erzbischof Stefan Heße in einem Brief an die Mitarbeitenden gewandt. Darin sicherte er zu, bis zur Novellierung der Grundordnung im Erzbistum Hamburg keine arbeits- oder disziplinarrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen bei persönlichen Lebensverhältnissen, die im Widerspruch zur Grundordnung stehen. Das gelte auch für verkündigungsnahe Berufsgruppen.
Einen Brief hat auch der Hildesheimer Generalvikar Martin Wilk geschrieben: "Wir leben in einer Kirche, […] in der Menschen, aus Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen, ihr eigenes Ich verstecken müssen. Vor diesem Hintergrund kann ich gut verstehen, dass für manche von Ihnen die Identifikation mit unserer Kirche eine Herausforderung darstellt", heißt es darin. Mitarbeitende des Bistums Hildesheim müssten aufgrund ihrer sexuellen Identität keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen fürchten. Dass Menschen im Dienst der Kirche aus Sorge um ihren Arbeitsplatz zu einem Versteckspiel gezwungen würden, sei unhaltbar.
Für das Bistum Osnabrück gaben Generalvikar Ulrich Beckwermert und Diözesan-Caritasdirektor Johannes Buß eine Selbstverpflichtungserklärung ab, auf arbeits- und disziplinarrechtliche Konsequenzen aufgrund der persönlichen Lebensführung hinsichtlich Partnerschaften, der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität bis zur Verabschiedung einer neuen Grundordnung zu verzichten.
Reformfreude in Berlin, keine Kündigungen im Osten
Auch in den ostdeutschen Bistümern braucht sich anscheinend niemand um die Stelle zu sorgen. Bis auf das Bistum Görlitz, das sich auch auf Anfrage nicht zum Thema geäußert hat, geben alle Bistümer an, mindestens vorerst auf Kündigungen aufgrund der Lebensführung zu verzichten. In Dresden-Meißen werde grundsätzlich eine Einzelfallprüfung vorgenommen. Nur wegen des Abschlusses einer kirchenrechtlich unzulässigen Zivilehe werde im Bistum aber niemand gekündigt, dasselbe gilt in Erfurt. Der Magdeburger Generalvikar Bernhard Scholz hat den Brief der elf Generalvikare unterzeichnet – das schließe ein, dass auch in Magdeburg auf Kündigungen verzichtet werde, bestätigte die Sprecherin des Bistums.
Das deutlichste Bekenntnis zur Reform kommt aus Berlin. Erzbischof Heiner Koch setze sich im Rahmen der Überarbeitung der Grundordnung für den kirchlichen Dienst dafür ein, "Aspekte, die sich auf die persönliche Lebensführung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beziehen, zu streichen", teilte der Sprecher der Erzdiözese mit. Bis dahin bleibt es dabei, dass betroffene Mitarbeitende, die nicht gemäß der Grundordnung leben, "nach einem Gespräch mit dem Erzbischof oder dem Generalvikar im Regelfall im Dienst verbleiben können".
Die Zeit der Angst scheint vorbei
Der Überblick über alle 27 Diözesen zeigt: Einen Flickenteppich gibt es nicht. Dem Buchstaben des Gesetzes nach gilt überall nach wie vor einheitlich die Grundordnung des kirchlichen Dienstes mit ihren harten Regeln vor allem für katholische Beschäftigte. De facto wird sie aber selbst dort, wo es keinen großen Reform-Enthusiasmus gibt, dem Vernehmen nach so flexibel angewandt, dass es unwahrscheinlich scheint, dass noch jemand nur aufgrund der persönlichen Lebensführung gekündigt wird.
Die Zusicherungen sind von unterschiedlicher Qualität – vom unverbindlichen Gesprächsangebot bis zur förmlichen Selbstverpflichtung ist alles dabei. Nur zum rechtsverbindlichen Gesetz hat noch kein Bischof gegriffen. Für den Tübinger Arbeitsrechtler Hermann Reichold, der die Bischöfe bei der Reform der Grundordnung berät, steht dennoch fest, dass es eine gewisse Rechtssicherheit gibt. "Wenn ein Bischof so etwas kommuniziert, dann ist das zwar nur eine freiwillige Selbstbeschränkung, die nicht in legislativer Form erfolgt. Aber es spricht exekutiv eine eindeutige Sprache." Reichold rechnete im Gespräch mit katholisch.de damit, dass derartige Zusagen auch vor Gericht Stand halten würden.
Kritik kommt unterdessen aus der Kirchenrechtswissenschaft. Die Tübinger Kanonistin Sarah Röser, die sich auf kirchliches Arbeitsrecht spezialisiert hat, kritisierte im Online-Magazin "Feinschwarz" bischöfliche "Lippenbekenntnisse". "Wenn jetzt manche diözesanen Verantwortlichen in Aussicht stellen, die entsprechenden Artikel der Grundordnung im Augenblick nicht anzuwenden, mag das auf den ersten Blick für viele erfreulich klingen", urteilt sie. Ohne eine verbindliche rechtliche Festschreibung der Erklärungen könnten diese aber jederzeit wieder revidiert werden. "Lippenbekenntnisse sind schnell gemacht – es wird sich zeigen, ob ihnen rechtsverbindliche Taten folgen", so Röser.