DBK-Seelsorgepapier: Kriterien für das Herz kirchlichen Handelns
"Bisher hat es so ein Wort nicht gebraucht", räumt der Rottenburger Weihbischof Matthäus Karrer ein. Er ist Mitglied der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz und einer der federführenden Autoren des neuen Dokuments der deutschen Bischöfe, das am Dienstag im Rahmen der Vollversammlung in Vierzehnheiligen vorgestellt worden ist. Es trägt den Titel "In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche". Drei Jahre lang hat eine Arbeitsgruppe von Bischöfen und Experten daran gearbeitet, herausgekommen ist ein rund 60 Seiten starker Text. Seelsorge ist seit jeher das Kerngeschäft der Kirche. Warum braucht es also gerade jetzt ein Wort der Bischöfe dazu?
Dass es bei dem Thema Nachholbedarf gibt, scheint auch den Oberhirten klar zu sein. Das Dokument selbst spricht davon, dass die Erwartungen von Katholiken gegenüber ihren Seelsorgern signifikant abgenommen haben. "In Lebenskrisen, bei existenziellen Fragen oder mit persönlichen Anliegen wendet man sich heute eher an die beste Freundin, an Geschwister oder Eltern, an den Hausarzt, Therapeuten oder man spricht sich aus beim Taxifahrer oder Friseur", heißt es darin. Der Kontakt etwa zum Pfarrer vor Ort sei für viele "eine unüberwindbare Hürde".
Kein Monopol (mehr)
Seelsorge ist an sich kein geschützter Begriff. Doch es ist auch längst keiner mehr, den die Kirche monopolartig für sich in Anspruch nehmen könnte. Inzwischen gibt es zahlreiche außerkirchliche "Player", die Seelsorgeangebote machen. Außerdem stellt sich immer mehr die Frage, wie Seelsorge unter sich rapide verändernden kirchlichen Rahmenbedingungen – immer weniger Gläubige, immer weniger Kirchlichkeit, immer weniger Hauptamtliche, immer größere Seelsorgeeinheiten – und in einer immer pluraleren Gesellschaft gelingen kann. Hier braucht es also eine Klärung: "Menschen in und außerhalb der Kirche sollen verstehen können, was damit gemeint ist, welche Ziele eine kirchliche Seelsorge zu erreichen sucht und welchen Standards sie sich verpflichtet weiß", heißt es in dem Dokument. Die Bischöfe wollen also einerseits das kirchliche Kerngeschäft besser in den Blick nehmen – und formulieren gleichzeitig Qualitätskriterien für seelsorgliches Handeln der Kirche. Diese sollen nun in den Diözesen in konkrete Konzepte für die verschedenen Bereiche der Seelsorge umgesetzt werden.
Weihbischof Karrer weist in diesem Zusammenhang auf die dringlichsten Aufgaben hin: die Stärkung der Gemeinden vor Ort durch kommunikative und kooperative Leitungsformen, die Entwicklung einer neuen und zeitgemäßen Ehrenamtskultur sowie die "Förderung eines diakonischen Perspektivwechsels, in dem wir uns von den Sorgen und Nöten der Menschen in unserer Gesellschaft bewegen lassen".
So wird im Dokument betont, dass pastorale Arbeit heutzutage nur noch im Team geschehen könne. Durch sie könne die Vielfalt der pastoralen Dienste besser vernetzt, verteilt und koordiniert werden. Darüber hinaus schaffe Seelsorge im Team Raum für das Zueinander der verschiedenen Charismen und Dienste, für gegenseitige Ergänzung, Kritik und Korrektur, aber auch für Ermutigung und Anerkennung. "Wo Seelsorge im Team gelingt, wächst eine neue Kultur der Leitung und des Miteinanders von Priestern und Laien, Frauen und Männern, Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen in der Kirche." Mit Blick auf die Seelsorge durch Ehrenamtliche betont Weihbischof Karrer, dass sich im Zueinander mit diesen auch die Rolle der Hauptamtlichen verändere – und zwar im Sinne der Begleitung des Ehrenamts. Es sei auch Aufgabe von Hauptamtlichen, Begabungen von Gläubigen zu fördern und sie für das Ehrenamt zu gewinnen.
Auch Missbrauch von Erwachsenen im Blick
Doch der Text reflektiert nicht nur die aktuellen Herausforderungen von Seelsorge. Erstmals nimmt eine Verlautbarung der Bischofskonferenz das Thema sexueller und geistlicher Missbrauch von Erwachsenen in den Blick. Gerade dieses geriet in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus. 2021 widmete sich eine Tagung, an der auch Bischöfe teilnahmen, ausführlich dem Phänomen des geistlichen Missbrauchs. Die Arbeitsstelle für Frauenseelsorge und die Arbeitsstelle für Männerseelsorge versuchen beide, das Thema Missbrauch an Erwachsenen im Kontext der Kirche stärker ins Bewusstsein zu rücken. Zeitnah ist eine weitere Tagung geplant. Das Papier der Bischöfe versucht nun, Kriterien für die Aufklärung und Prävention zu formulieren und Maßnahmen zum Schutz vor Missbrauch in der Seelsorge zu ergreifen. Diese Grundlagen sollen in diözesane Richtlinien zum Schutz vor geistlichem und sexuellem Missbrauch in allen Seelsorgekontexten sowie in die Aus- und Fortbildung der Seelsorger aufgenommen werden. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, Vorsitzender der Pastoralkommission, betonte, dass es bei der Aufarbeitung des Missbrauchs im Kontext der Seelsorge um die Glaubwürdigkeit kirchlicher Seelsorge gehe. Das Wort der Bischöfe setze dafür die Maßstäbe.
Zudem unterstrich Kohlgraf, dass es für sexualisierte Nähe und Kontakte in seelsorglichen Kontexten keine Toleranz gebe. Hier brauche es verschärfte kirchen-, aber auch strafrechtliche Regelungen. Kohlgraf forderte, Seelsorge müsse ähnlich wie eine Beratungs- und Therapiesituation vonseiten des Gesetzgebers betrachtet werden. Nach dem Strafrecht sind bisher Missbrauchshandlungen an Erwachsenen etwa in einer medizinischen oder psychologischen Behandlung, nicht aber in einem seelsorgerlichen Verhältnis strafbar.
"In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche"
Unter folgendem Link können Sie das Wort der deutschen Bischöfe zur Seelsorge "In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche" online lesen oder als PDF-Datei herunterladen.
Eine der Grundlagen für gelingende Pastoral ist eine gute Ausbildung der Seelsorger. Der Fuldaer Bischof Michael Gerber, Vorsitzender der Kommission für pastorale Dienste, betonte, dass sich auf Bundesebene alle pastoralen Berufsgruppen auf einen gemeinsamen Prozess verständigt hätten, der erstmals gemeinsame Ausbildungsstandards für alle pastoralen Berufsgruppen formulieren soll. Er erinnerte auch daran, dass sich der Prozess zur Neuordnung der Priesterausbildung, das Synodalforum "Priesterliche Existenz heute" und die eine DBK-Arbeitsgruppe intensiv mit der Priesterausbildung befassten. Maßgebend sei dabei die Orientierung am Kandidaten.
Immer wieder war bei der Vorstellung das Papiers davon die Rede, dass Seelsorge zu einer persönlichen Haltung werden müsse. "Seelsorge als Haltung erwächst aus und wächst mit der eigenen Berufung. Eine solche Seelsorge überfordert darum nicht und findet zu ihrem persönlichen Maß in der Orientierung am Leben Jesu, an seinen Worten und Taten", heißt es im Dokument. Kirchliche, katholische Seelsorge müsse, so heißt es ganz am Anfang des Wortes der Bischöfe, immer auch das Heilshandeln Jesu erfahrbar machen. Das ist – neben allen anderen wichtigen Aspekten – das, was zeitgemäße katholische Seelsorge ausmachen müsse und dessen sich die Seelsorger stets zu vergewissern hätten.