Dogmatiker mahnt Blick auf Schrift und Tradition an

Essen: Absage ans Priestertum auf Grundlage der Bibel "unhistorisch"

Veröffentlicht am 14.03.2022 um 15:20 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Braucht das Christentum Priester? Der Bonner Exeget Martin Ebner glaubt das mit Blick aufs Neue Testament nicht. Dem widerspricht der Berliner Dogmatiker Georg Essen: Wer so argumentiere, ignoriere den Reichtum der Tradition.

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Der Berliner Dogmatiker Georg Essen sieht einen rein aus der Bibel gewonnenen Blick auf die Frage nach der Notwendigkeit des Priestertums in der Kirche als "unhistorisch" an. Gegenüber katholisch.de wies er die Position des Bonner Exegeten Martin Ebner zurück, dass sich aus dem Neuen Testament eine klare Absage an die Notwendigkeit eines speziellen Priestertums ergebe. Ebner hatte in einem Interview mit der Zeitschrift "Publik Forum" auf dieser Grundlage eine Abschaffung der "Ständegesellschaft" in der Kirche gefordert.

Essen sieht in Ebners Argumentation ein "verfallstheoretisches Grundmuster", demzufolge jede Weiterentwicklung in der Zeit Entfremdung und Verfall sei. "Das aber ist unhistorisch gedacht. Es wird nicht in Rechnung gestellt, dass in neuen historischen Konstellationen späterer Zeit Fragen auftauchen, die sich so unmittelbar nicht durch biblisches Referat beantworten lassen", betonte der Dogmatiker. Ebner verkenne, wie reich und komplex die Tradition sei. Wenn man die Innovationskraft und den Reichtum der Tradition nicht würdige, befinde man sich in einer Sackgasse: "Wir benötigen eine Traditionshermeneutik, die die Überlieferung auf ihre Kontingenzen, Umbrüche und kontextsensiblen Fortschreibungen hin befragt", betonte der Dogmatiker.

Statt einer reinen Betrachtung des biblischen Befunds sei der Blick auf Schrift und Tradition zu schärfen, um dann festzustellen, "dass jedwede Zeit die Freiheit für sich in Anspruch nehmen musste und durfte, offen zu sein für die 'Zeichen der Zeit'", so Essen weiter. Die Analyse der Kirche als einer Ständegesellschaft teile er aber. Sie gründe in einer Erfindung von Tradition, die vor allem eine Frucht des 19. Jahrhunderts sei. Hier liege auch ein Grund für die Krise der Gegenwart, an dem Essen als Dogmenhistoriker den Ansatzpunkt sieht. Über die  normativen Festlegungen des 19. Jahrhunderts komme man aber nicht hinaus. "Das ist die Tragik des Zweiten Vatikanischen Konzils und das Drama gegenwärtiger Reformbemühungen", erläuterte Essen. 1870 hatte das Erste Vatikanische Konzil den Jurisdiktionsprimat und die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes dogmatisiert. (fxn)