Honecker im Kirchenasyl: Wie der DDR-Grande bei einem Pfarrer unterkam
Die Honeckers (Barbara Schnitzler, Edgar Selge) stehen vor seiner Tür. Noch kann es Kornelius Holmer (Ilja Bultmann) nicht fassen. Das einst mächtigste Paar der DDR findet sein neues Zuhause ausgerechnet im Pfarrhaus seiner Eltern (Steffi Kühnert, Hans-Uwe Bauer) in dem kleinen brandenburgischen Örtchen Lobetal. Die vielköpfige Familie Holmer gewährt dem einstigen Parteichef der SED und Staatschef der DDR Kirchenasyl in den Hoffnungstaler Stiftungen. Es war vor knapp 100 Jahren für Berliner Obdachlose gegründet worden.
Die erste gemeinsame Mahlzeit verdeutlicht den Unterschied der beiden Lebenswelten. Als die Honeckers mit dem Essen beginnen wollen, spricht die Familie erst ein Tischgebet. Mit solch kleinen Details würzt Jan-Josef Liefers sein Regiedebüt "Honecker und der Pastor", das auf wahren Begebenheiten aus ersten Monaten des Jahres 1990 beruht. Die DDR-Regierung suchte damals fieberhaft nach einem sicheren Ort für die Honeckers und hatte sich auch an die Evangelische Kirche gewandt.
Das Drehbuch schrieb Fred Breinersdorfer. Er bewies bereits ein gutes Händchen für die Übersetzung historischer Ereignisse und Biografien in fesselnde fiktionale Filme, unter anderem mit "Sophie Scholl – die letzten Tage" und "Elser – er hätte die Welt verändert". Das ZDF strahlt den Film am 21. März um 20.15 Uhr aus. Bei Arte ist er bereits am Freitag, 18. März, um 20.15 Uhr zu sehen.
Forderung nach Rache für Unrecht
Nach dem Zusammenbruch des DDR-Regimes forderten viele Bürger eine Rache für erlittenes Unrecht. Liefers Spielfilm um das Ringen um Vergebung unterscheidet sich wohltuend von anderen Filmen, in denen aus westlicher Sicht über das untergegangene Land geurteilt wurde. Liefers liegt dies fern. Er bettet die Geschichte der Begegnung zwischen den Familien, deren Erfahrungen in der DDR und in ihrem Blick auf die Welt nichts gemein haben, realistisch und ohne Verurteilungen ein in die aufgeheizte Atmosphäre jener Übergangszeit: Demonstranten versammeln sich vor dem Haus der Holmers und fordern eine Gefängnisstrafe für Honecker. Journalisten belagern das Haus und durchsuchen sogar den Müll.
Im Zentrum des Films stehen die Motive der Holmers, deren Kinder wie Hunderttausende Gleichaltrige unter den Repressalien litten. Diese drohten allen Heranwachsenden in Margot Honeckers Bildungssystem, wenn sie sich nicht dem ideologischen Druck beugen wollten. Während dies eher beiläufig erzählt wird, lässt Liefers einer jungen Frau breiten Raum, die viele Monate in einem Jugendwerkhof litt. Liefers Konzentration auf die Ungerechtigkeiten im DDR-Bildungswesen sind ein kluger Schachzug. Denn fast jede Familie im Land war von ihnen betroffen.
Die Opfer der Politik der langjährigen DDR-Bildungsministerin Margot Honecker konfrontieren sie und den Geistlichen mit der Frage, wann und ob es Vergebung für erlittenes Unrecht geben kann. Holmer und seine Frau stellen sich der Gewissensprüfung und dem Gebot der christlichen Nächstenliebe. Die Honeckers müssen sich die beklemmende Geschichte der jungen Frau anhören. Aber der sichtbar von seiner Krebserkrankung gezeichnete Honecker zeigt keine äußere Regung auf die wütende Rede, und seine Frau reagiert mit der Kälte einer Eisernen Lady.
Vergebung ist möglich
Edgar Selge spielt den vergreisten Honecker großartig. Die eigentliche Entdeckung für den Zuschauer wird aber Hans-Uwe Bauer sein, seit Jahren einer der besten Schauspieler des Landes. Er gibt Pastor Uwe Holmer als in sich ruhenden Menschen, der fest davon überzeugt ist, dass Vergebung möglich ist. Zum brillanten Ensemble gehören in Nebenrollen renommierte Kollegen, die Liefers' Karriere begleiteten: Jörg Gudzuhn, neben dem er als Schauspieleleve auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin stand; Axel Prahl, seit 20 Jahren sein Ermittlungspartner im Münsteraner "Tatort". und Liefers' Ehefrau, die Schauspielerin und Sängerin Anna Loos.
Liefers und Breinersdorfer legen mehr vor als eine Erinnerung an eine Episode der Zeitgeschichte, in der Menschen wie Holmer zum Verzeihen aufriefen. Seine Frau geht diesen Weg mit ihm. Ihren Schlusssatz im Film über die Folgen von fehlendem Vertrauen und wachsendem Misstrauen, das alles zerstöre, weist weit über die Historie hinaus.
TV-Tipp: "Honecker und der Pastor"
Regie: Jan-Josef Liefers, Buch: Fred Breinersdorfer. ZDF, Mo 21.03., 20.15 - 21.45 Uhr. Arte, Fr 18.03., 20.15 - 21.45 Uhr. Ab sofort in der Mediathek.