"Nicht mit mir"
Beim ärztlich assistierten Suizid liefen selbst eng umgrenzte Regelungen im Ergebnis darauf hinaus, "ein angeblich 'menschenwürdiges Töten' zu organisieren", sagte Marx mit Blick auf die bevorstehenden Beratungen des Bundestages zum Thema Sterbehilfe. Ein ausdrückliches Verbot aller Formen der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung sei "überfällig". "Mir geht es um das menschenwürdige Sterben. Wenn diese Differenz verwischt wird, dann ist eine abschüssige Bahn betreten, auf der es kein Halten mehr gibt", erklärt Marx seine Position. Es müsse alles getan werden, damit Sterbende möglichst schmerzfrei begleitet werden könnten.
In Deutschland wird sorgfältig über Sterbehilfe diskutiert
Der Kardinal, der zu den engsten Beratern von Papst Franziskus gehört, hob lobend hervor, dass in Deutschland sehr sorgfältig über dieses Thema diskutiert werde, "vielleicht so sorgfältig wie in keinem anderen Land". Zusammen mit vielen anderen in der Gesellschaft müssten die Kirchen laut Marx sagen: "Gebt uns die Sterbenden, denn wir sind ganz besonders für die Leidenden und Sterbenden da. Wir kümmern uns. Wir tun alles, was in unserer Macht steht, dass Menschen nicht alleine und mit Schmerzen sterben. Das ist unsere Botschaft. Und das sollte auch unser Angebot sein."
Es sei "illusorisch", davon auszugehen, dass ein Sterbender nicht unter Druck stehe, sagte der Erzbischof von München und Freising weiter, sei es durch Angehörige oder das "Schreckensszenario Apparatemedizin" im eigenen Kopf. "Wie weit man in extremen Situationen Personen, die Beihilfe zum Suizid leisten, strafrechtlich verfolgt, ist eine andere Frage", fügte der Kardinal hinzu. Schließlich lasse sich die Grenze zwischen aktiver und sogenannter passiver Sterbehilfe kaum eindeutig ziehen.
Neues Einzugsverfahren kein Grund für einen Kirchenaustritt
Der Kardinal sprach in dem Interview auch über aktuelle innerkirchliche Probleme. Die automatische Einziehung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge ist für Marx demnach kein Grund, aus der Kirche auszutreten. Es werde schließlich keine neue Steuer erhoben. "Es ist allein eine Frage der Gerechtigkeit, nicht nur die Steuer auf Arbeitseinkünfte, sondern auch auf Kapitalerträge einzubehalten", so der Erzbischof. "Alles andere wäre unsozial." An den neuesten Austrittszahlen gebe es nichts schönzureden, aber auch nichts zu dramatisieren. "Wir sollten nicht denken, dass wir von dem säkularen Trend hin zu einer auch religiös immer pluraleren Gesellschaft nicht erfasst würden", erklärte er.
Des Weiteren bekräftigte der Vorsitzende der Bischofskonferenz auch das katholische Verständnis von der Unauflöslichkeit der Ehe. Die Kirche sei in dieser Frage an das Wort Jesu gebunden. Zugleich räumte Marx ein, dass die Kirche sich der Tatsache stellen müsse, dass Ehen scheitern und Familien zerbrechen könnten. "Wir müssen das Schweigen angesichts des Scheiterns überwinden", sagte Marx. So stelle sich die Frage, was die Kirche zu einer zweiten Beziehung zu sagen habe, die auch eine "eigene sittliche Qualität" haben könne.
Eine sakramentale Anerkennung solcher Partnerschaften ist nach den Worten des Kardinals jedoch "ausgeschlossen". Wohl aber seien "andere Formen der Anerkennung" noch nicht genügend bedacht worden, so Marx. Nähere Details nannte der Kardinal nicht. Er wolle der von Papst Franziskus einberufenen Weltbischofssynode zu Fragen von Ehe und Familie nicht vorgreifen. Im Oktober treffen sich die Bischöfe im Vatikan, um über diese Themen zu beraten. Eine zweite Zusammenkunft ist für kommendes Jahr vorgesehen.
Marx warnt vor einer Resignation in der katholischen Kirche
Einzelne Theologen verweisen mit Blick auf den Umgang der katholischen Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen auf die Praxis der Ostkirchen, in denen zwar keine zweite Ehe eingegangen, die zweite Beziehung als Verantwortungsgemeinschaft aber gesegnet werden kann. Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang ist die Zulassung zu den Sakramenten. Nach geltendem Verständnis sind wiederverheiratete Geschiedene etwa vom Kommunionempfang ausgeschlossen.
Kardinal Marx warnt auch vor einer Resignation in der katholischen Kirche. "Es gibt nur einen Faktor, den wir selbst verändern können: Die Qualität unserer Arbeit in der Seelsorge und in der Caritas, die Kultur der Gottesdienste, das Klima an unseren Schulen, der Umgang mit Tod und Leid in unseren Krankenhäusern." Kirchliche Einrichtungen müssten die besten sein. Dabei sei die Frage nicht, wie alles wieder so werden könne wie früher. Vielmehr müsse die Kirche daran arbeiten, dass "Menschen kommen und sagen: 'Starke Truppe, da will ich dazugehören, da gehe ich mit.'" Marx fügte hinzu: "Aufgeben, weg damit, wir sind nur noch eine kleine Schar? Kirche im Nischendasein? Nicht mit mir." (bod/KNA)