Standpunkt

Der kirchliche Missbrauch des schlechten Gewissens

Veröffentlicht am 28.03.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Die Frau, der ein schlechtes Gewissen gemacht wurde, weil sie einen Protestanten heiratete. Der abgelehnte Pfarrgemeinderatskandidat. Solche Diskriminierungen gebe es in der Kirche zuhauf, schreibt Peter Otten – und fordert mehr Aufmerksamkeit.

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Vor ein paar Tagen hat mich eine Frau angerufen. Sie hat mir erzählt, dass es für sie schwer sei, "der Kirche treu zu bleiben". Ihre Mutter habe einen "andersgläubigen Mann" geheiratet. Einen Protestanten. Damals habe der Pfarrer öffentlich im Gottesdienst gepredigt, wer so etwas tue lebe in schwerer Sünde. Das könne sie dem Pfarrer bis heute nicht verzeihen. Ihre Mutter habe nach diesen Worten tagelang geweint. Und kurz vor ihrem Tod habe sie ihr noch einmal gesagt, wie schlimm die Äußerung des Pfarrers für sie gewesen sei. Denn die Mutter sei davon überzeugt gewesen, der Pfarrer habe als Vertreter Christi ja die Wahrheit gesagt. "Und meine Mutter hat sich schuldig gefühlt, weil sie die Heirat zugelassen hat." Die Frau, die mich angerufen hat, war 90 Jahre alt. Erschütternd, wie dieses Thema sie ein Leben lang nicht loslässt.

Als ich anderen von diesem Gespräch erzähle, bricht es aus vielen heraus. Sie erzählen ähnliche Geschichten: Diskriminierung durch den Pfarrer, weil sie selbst, ihre Eltern oder Großeltern evangelische Partnerinnen und Partner geheiratet haben. Menschen, die erst nach dem Tod des Partners wieder zur Kommunion gehen, weil ihnen eingebläut worden ist, sie leben in schwerer Sünde. Ein Gemeindepraktikant, der in die Schweiz gehen musste, weil das Bistum seine konfessionsverschiedene Ehe nicht akzeptierte. Aber auch die Ablehnung der Kandidatur für den Pfarrgemeinderat, weil dem Pfarrer die Lebenssituation nicht gepasst hat. Kolleginnen, die berichten, sie müssen ihre Gottesdienstentwürfe dem Pfarrer vorzeigen. Gemeindereferentinnen, die sich als minderwertig erleben, weil sie in der Liturgie übersehen werden. Pastoralreferentinnen, denen ihre Berufung als Leiterinnen einer Gemeinde abgesprochen wird.

Wo ist eigentlich der Platz für diese Geschichten von Machtmissbrauch, Diskriminierung und geistlichem Missbrauch? Wann und wo werden sie erzählt? Wer hört sie sich an? Was passiert mit den Menschen? Ein achselzuckendes "Damals waren die Zeiten halt so" oder "Es gibt doch auch die guten Pfarrer" ist auch hier nicht ausreichend. Auch nicht, dass der Zufall entscheidet, ob Geschichten wie diese gehört werden. Sie brauchen ein kirchliches Forum, das diese Geschichten aktiv recherchiert und aufarbeitet. Weil die Menschen ein Recht darauf haben, dass sich die Kirche für sie interessiert.

Von Peter Otten

Der Autor

Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.