Tübinger Kanonistin kritisiert Umgang mit Grundordnung

Kirchenrechtlerin: Arbeitsrecht zeigt Mangel an Rechtskultur in Kirche

Veröffentlicht am 28.03.2022 um 13:25 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Tübingen ‐ Niemand, der in der Kirche arbeitet, muss aufgrund seiner Lebensform eine Kündigung fürchten – das haben die meisten Bischöfe und Generalvikare zugesichert. Die Tübinger Kirchenrechtlerin Sarah Röser vermisst dabei aber echte Rechtssicherheit.

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Die Tübinger Kirchenrechtlerin Sarah Röser beklagt im Umgang mit kirchlichem Arbeitsrecht einen Mangel an Rechtskultur in der Kirche. In einem Beitrag für die Monatszeitschrift "Herder Korrespondenz" (April-Ausgabe) kritisierte die Expertin für kirchliches Arbeitsrecht die Selbstverpflichtungen von Bischöfen und Generalvikaren, auf Kündigungen aufgrund von Verstößen gegen ausgewählte Loyalitätspflichten der Grundordnung des kirchlichen Dienstes zu verzichten. "Sie kommen leicht über die Lippen, eine Arbeitsplatzgarantie ist damit nicht verbunden – wenngleich natürlich ein Zuwiderhandeln in der medialen Öffentlichkeit kaum einzufangen wäre", so Röser. Dabei ließe sich Rechtssicherheit leicht herstellen: "Ein Erlass im Amtsblatt, der die bestehenden Artikel der Grundordnung außer Kraft setzt, würde ausreichen."

Bisher hat zwar die überwiegende Mehrheit der Bistümer in Deutschland als Reaktion auf die Initiative "#OutInChurch" und den Beschluss des Synodalen Wegs zur Reform der Grundordnung angekündigt, auf Kündigungen aufgrund der Lebensform zu verzichten. Eine rechtssichere Gestaltung dieser Zusage sei aber bisher durchweg ausgeblieben. Auch in Limburg, wo der Generalvikar eine entsprechende Selbstverpflichtung im Amtsblatt veröffentlicht hatte, sei keine Rechtssicherheit gegeben, so Röser: "Kirchenrechtlich ist ein Generalvikar aber unfähig, Gesetze zu erlassen oder außer Kraft zu setzen (can. 135 § 2 u. 391 § 2 CIC). Aus kanonistischer Sicht: Möglicherweise gut gemeint, aber rechtlich schlecht gemacht." Hier zeige sich erneut, dass es um die kirchliche Rechts- und Rechtssetzungskultur nicht sonderlich gut bestellt sei. Fraglich sei auch, warum in Bistümern wie München und Freising sowie Passau mitgeteilt wurde, dass es ohnehin keine Kündigungen auf Grundlage der bestehenden Rechtslage gegeben habe. "Wenn die Regelungen nicht angewendet werden, wofür werden sie dann gebraucht? Rechtsnormen, die nicht angewendet werden, können auch beseitigt werden – das ist Ausdruck guter Rechtskultur und schafft zugleich Rechtssicherheit", so Röser weiter.

Institutionenschutz statt Arbeitnehmerschutz

Für die Arbeitsrechtsexpertin hat fehlende Rechtssicherheit zu Lasten der Beschäftigten im kirchlichen Arbeitsrecht Kalkül: Auch nach der auf einem Kompromiss zwischen den Diözesanbischöfen aufgebauten letzten Reform der Grundordnung im Jahr 2015 gebe es weiterhin ausreichend Spielraum für arbeitsrechtliche Sanktionen, "sollte der Dienstgeber sie für nötig halten". Das stehe im Widerspruch zu dem, was Arbeitsrecht nach staatlichem Verständnis vorwiegend sei, nämlich ein Arbeitnehmer-Schutzrecht. "Demgegenüber betreibt das kirchliche Arbeitsrecht Dienstgeber- beziehungsweise Institutionenschutz", urteilte Röser.

Eine erneute Reform der Grundordnung des kirchlichen Dienstes wird noch in diesem Jahr erwartet. Nach der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) Mitte März kündigte der DBK-Vorsitzende und Limburger Bischof Georg Bätzing an, dass voraussichtlich bei der Sitzung des Ständigen Rates im Juni eine erste Lesung stattfinden könne. Sollte es noch eine zweite Lesung brauchen, werde diese voraussichtlich im Rahmen der DBK-Vollversammlung im Herbst stattfinden. Die Beratungen sollen "priorisiert vorangebracht" werden, dabei müsse man aber die "vorgesehenen Schritte" einhalten. Inhaltlich seien nicht nur die Fragen der Loyalitätsobliegenheiten bei der Reform im Blick. Es gehe darum, den Blick nicht vor allem auf persönliche Lebensführung der in der Kirche tätigen Personenzu richten. Dazu sollen insbesondere die "positiven und bereichernden Aspekte der Arbeit im kirchlichen Dienst" gegenüber dem bisher "überwiegend sanktionierenden Charakter" in den Blick genommen werden. (fxn)