Passionskrippen: Eine (fast) vergessene Tradition mit Tiefgang
An Weihnachten gehört neben dem Christbaum auch die Krippe zum alljährlichen Brauchtum fest dazu. Immerhin gibt es die szenischen Darstellungen der Geburt Jesu mittlerweile in abertausenden Variationen. Und bei einem Weihnachten ohne Krippe würde doch auch die Hauptsache irgendwie fehlen.
Anders sieht es bei den Passions- oder Fastenkrippen aus. Im Gegensatz zu ihrem weihnachtlichen Pendant sind sie weniger weit verbreitet und meist auch gar nicht im heimischen Wohnzimmer anzutreffen. Viele Menschen wissen sogar überhaupt nicht, dass es auch die Tradition gibt, in der Passions- und Osterzeit Krippen aufzustellen. Entstanden jedenfalls sind sie aus demselben Grund, wie auch die Weihnachtskrippen: Als viele Menschen noch nicht lesen oder schreiben konnten, wollten ihnen die Geistlichen auf diese Art und Weise die Geschichten der Bibel nahebringen. Solche Krippendarstellungen waren gewissermaßen eine "Bibel zum Anschauen". Die einzelnen Ereignisse rund um die Passion Jesu wurden nun nicht mehr nur mit Worten verkündigt, sondern mit allerlei Figuren szenisch nachgestellt. Dem Reichtum der Darstellungsformen war keine Grenze geboten: Viele der alten Krippen bestanden aus einer großen Bühne mit einem reichhaltigen Aufbau; manchmal wurden auch mehrere Szenen parallel aufgebaut, man sprach dann auch von sogenannten Simultankrippen".
Da die Menschen zumeist auch einen Einblick in die ganze biblische Heilsgeschichte wollten und nicht nur in das Weihnachtsgeschehen, wurde schon früh begonnen, auch andere Perikopen aus der Bibel auf diese Weise zu präsentieren. Zentral waren natürlich die Geschehnisse rund um Ostern: Als höchstes Fest im Kirchenjahr kam den Ereignissen rund um die Passion Jesu natürlich ein besonderes Gewicht zu. Neben den Weihnachtskrippen entstand so die Tradition der Passionskrippen.
Die große Vielfalt möglicher Szenen hatte ihren Preis
Die Themen, die in den Passionskrippen dargestellt werden, sind vielfältig, doch stehen alle Ereignisse im Zusammenhang mit dem Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu. Klassische Szenen der Passionskrippen zeigen zum Beispiel das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern oder die Fußwaschung. Themen sind die Gefangennahme Jesu, seine Geißelung durch die römischen Soldaten und natürlich die Kreuzigung. Im Blick auf Ostern werden vor allem der Gang der Frauen zum Grab oder der Weg der beiden Jünger nach Emmaus häufig dargestellt. Aber auch andere Perikopen wie das Verhör Jesu vor dem Hohen Rat oder die Kreuztragung durch die Gassen Jerusalems werden präsentiert.
Das Spektrum der möglichen Szenen ist sehr breit, deswegen waren Passionskrippen in der Anschaffung auch immer recht kostspielig. Bei einer Weihnachtskrippe hat man ein festes Figurenensemble mit dem man die wichtigsten Szenen darstellen kann. Bei den Szenen aus der Passion Jesu braucht man schon wesentlich mehr Figuren und Arrangements. Dies führte dazu, dass man in früheren Jahrhunderten zwar billige, aber dennoch sehr ausdrucksstarke Papierkrippen produzierte. Auf solchen großen Papierbögen fanden sich die wichtigsten Szenen, die man selbst ausschneiden musste. Anschließend konnte man diese Papierfiguren mit etwas Pappe verstärken und in einer entsprechenden Landschaft arrangieren. In der heutigen Zeit werden solche Papierkrippen, wohl auch aufgrund der geringen Nachfrage, nur noch in sehr überschaubarer Menge produziert.
Passionskrippen sind eindrucksvolle Glaubenszeugnisse, denn sie machen deutlich: Gott hat in seinem Sohn Jesus wirklich das ganze Leben eines Menschen angenommen. Eines Menschen mit allen Facetten des Lebens und auch mit dessen Schattenseiten. Die Weihnachtskrippen zeigt meist nur die schönen Seiten: Die Geburt, die Anbetung der Hirten und Sterndeuter, die Hochzeit zu Kana. Es sind Szenen, an denen sich die Betrachter erfreuen können. Passionskrippen laden hingegen zum Nachdenken und zur Besinnung ein. Eine solche Krippenszene zeigt zum Beispiel Jesus, wie er im Garten Getsemane Blut und Wasser schwitzt und mit seinem Schicksal ringt. Eine andere Darstellung zeigt den gegeißelten Heiland, der zusammengekauert und verlassen in einer Ecke seines Gefängnisses sitzt.
Die Stimmung bei den Passionskrippen ist eine andere als bei den weihnachtlichen Szenen. Sie präsentieren etwas, an dem man nicht ohne Weiteres vorübergehen kann. Sie zeigen das bittere Leiden und Sterben eines Menschen und sie stellen einen Menschen dar, der verlassen von allen freiwillig sein Kreuz auf sich nimmt. Das kitschig-romantische Element, das man häufig bei Weihnachtskrippen findet, geht ihnen ab.
Schmerz, Leid und Sterben: Bei Passionskrippen stehen schwierige Themen im Mittelpunkt
Während sich das Aufstellen der Weihnachtskrippen einer immer größeren Beliebtheit erfreut, verschwinden die Passionskrippen immer mehr aus dem Bewusstsein der Bevölkerung. Das mag einerseits mit der besonderen Bedeutung von althergebrachten Traditionen im Blick auf die Gestaltung des Weihnachtsfestes zu tun haben. Andererseits aber ist das Thema der Passionskrippen auch häufig nicht so zugänglich: Es geht hier eben nicht um die Geburt eines Kindes und seine möglichst romantische Darstellung. Der Tod eines Menschen und seine grausame Hinrichtung sind Thema der Passionskrippen. Daher sind sie auch mit einer gewissen Strenge behaftet, für die viele Menschen nicht sofort zugänglich sind. Es gehört schon ein bisschen Bibelfestigkeit dazu, um das Gezeigte auch einordnen und interpretieren zu können. Doch gerade auch für Menschen, die wieder einen Zugang zu den biblischen Erzählungen suchen, können die Passionskrippen hilfreich sein, sich neu mit religiösen Themen auseinanderzusetzen.
Da Passionskrippen nur noch in wenigen Kirchen aufgestellt werden, haben es sich vor allem viele Krippenvereine zur Aufgabe gemacht, dieses Brauchtum zu bewahren und weiterzugeben. In Bamberg zum Beispiel wird Jahr für Jahr in der Maternkapelle von den Krippenfreunden eine reiche Auswahl an Passionskrippen ausgestellt. Seit Anfang der 1990er Jahre haben es sich die Krippenfreunde sprichwörtlich auf die Fahne geschrieben, die Passionskrippen der Öffentlichkeit wieder bekannter und zugänglicher zu machen. Aufgrund der erschwerten Pandemie-Bedingungen fällt die Ausstellung allerdings auch in diesem Jahr aus. Im fränkischen Forchheim dagegen findet man ab dem Palmsonntagswochenende in der Marienkapelle eine reiche Zahl an Passionskrippen. Sie stammen aus der Werkstatt von Krippenbaumeister Karl-Heinz Exner, der in Bischberg heimisch ist. Eine große Zahl von Passionskrippen hat Exner bereits geschaffen: Neben dem Abschied von seiner Mutter (einer Szene, die neutestamentlich nicht überliefert ist), über die Vertreibung der Händler aus dem Tempel bis hin zur Himmelfahrt Jesu hat der Krippenbaumeister alles in seinem Repertoire.
Ein spiritueller Türöffner für die Kar- und Ostertage
Wer eine solche Ausstellung mit Passionskrippen besucht, wird gedrängt, sich mit dem Leiden und Sterben eines Menschen auseinanderzusetzen. Aber gerade deshalb bilden Passionskrippen auch eine gute Möglichkeit, sich auf die Kar- und Ostertage einzustellen. Sie öffnen den Blick für das Geheimnis, das wir Christen in diesen Tagen wieder feiern wollen: Dass Gott für uns Mensch geworden ist und dass er unser Menschsein ernst nimmt – bis hinein in größtes Leid, bis hinein in die Nacht des Todes und durch sie hindurch zum Ostermorgen. Die Passionskrippen stellen das dar. Sie wollen nicht die Stimmung verschönern oder zu einer größeren Romantik beitragen. Sie sind vielmehr eine Einladung, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Und mehr noch: Das eigene Leben im Licht dieses Glaubens zu sehen und vom Ostertag her eine andere Perspektive auf Kreuz und Leiden zu gewinnen.