ZdK-Mitglied Ani: Konservativ genannt zu werden, ist eine Abstempelung
Emeka Ani stammt aus Nigeria und lebt seit 24 Jahren in Deutschland. Der Psychotherapeut ist Geschäftsführer des Bundespastoralrats der Katholiken anderer Muttersprachen und bringt die Anliegen der Katholiken mit Migrationshintergrund als Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ein. Im Interview berichtet er davon, warum die Mitglieder muttersprachlicher Gemeinden in der Kirche oft für konservativ gehalten werden und wie sich Alltagsrassismus in der Gesellschaft äußert.
Frage: Herr Ani, afrikanisch-stämmige Menschen haben es in Deutschland meist nicht leicht und sind oft Alltagsrassismus ausgesetzt. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Ani: Ja, ich kenne das leider auch. Ein Beispiel sind etwa meine Haare: Sie werden regelmäßig wegen ihres Aussehens als Teppich bezeichnet und Menschen wollen sie anfassen. Und manchmal ist es fraglich, wie ernst man wegen seines Aussehens etwa im Berufsleben genommen wird. Teilweise zeigt sich Alltagsrassismus in der allgemeinen Körpersprache, ganz abgesehen vom üblichen explizit rassistischen Umgang. Aber ich muss dazu sagen: Es gibt kein Volk, kein Land und keine Kultur auf der Welt, in der es keinen Rassismus gibt. Die Europäer haben kein Monopol darauf. Insofern bin ich etwas vorsichtig bei den kleinen Anzeichen von dem, was man gemeinhin Rassismus nennt. Vielen Menschen, die meine Haare angefasst und als Teppich bezeichnet haben, nehme ich ihr Verhalten nicht übel. Ich glaube den allermeisten, dass sie ganz ehrlich ihren Eindruck schildern wollen. Dabei geht es meist nicht darum, mich zu verletzen. Viele haben keine rassistischen Hintergedanken. Aber gerade, weil Rassismus die grundlegende Substanz unseres menschlichen Daseins verletzt, muss er überall bekämpft werden, wo er vorkommt. Rassismus tritt in verschiedenen Formen auf. Man kann sogar einen ehrlichen Eindruck beispielsweise rassistisch missbrauchen, um dem Gegenüber weh zu tun. Rassismus ist nichts, das verallgemeinert werden sollte.
Frage: Vielleicht ist vielen einfach nicht bewusst, was sie sagen?
Ani: Genau, denn man kann rassistisch handeln, ohne rassistisch zu denken. Deshalb versuche ich, dieses Handeln von rassistischen Motiven zu trennen. Aber das ist auch gefährlich, denn es bedeutet, dass es viele latente Rassisten gibt, die gar nicht wissen, dass ihr Handeln eigentlich rassistisch ist. Aber das ist es natürlich – und gefährlicher als der explizite Rassismus, der ja ein Frontalangriff auf die Würde eines Menschen ist.
Frage: Warum ist der latente Rassismus Ihrer Ansicht nach gefährlicher?
Ani: Er ist gefährlicher, weil man nicht weiß, dass man dem anderen wehtut. Dadurch, dass man das nicht weiß, kommt man gar nicht darauf, sich zu entschuldigen. Außerdem füttert der latente Rassismus den expliziten Rassismus. Ein Beispiel: Vor einigen Monaten stand folgende Schlagzeile in einer Zeitung: "Virus aus Afrika kommt zu uns". Das Bild zu dieser Überschrift zeigte eine Frau aus Afrika mit ihrem Baby. War es eine bewusste Gleichsetzung von Afrikanern mit einer Krankheit oder nicht? In jedem Fall freuen sich die expliziten Rassisten, so etwas zu sehen, weil es automatisch zur Ausgrenzung der afrikanischen Bevölkerung führt, da sie als Schuldfaktor für das gefährliche Covid-19-Virus dargestellt werden. Nicht einmal eine öffentliche Entschuldung seitens der Redaktion kann den angerichteten Schaden ungeschehen machen.
Frage: Was muss sich mit Blick auf das Thema Rassismus in der deutschen Gesellschaft verändern?
Ani: Es wird sich einiges ändern müssen, etwa in unserer Verfassung. Dort steht ganz zu Anfang, dass alle Menschen die gleiche Würde haben. Ironischerweise liest man im Grundgesetz nur einige Sätze später das Wort Rasse. Ich wünsche mir, dass man diesen Begriff aus der Verfassung entfernt, denn er entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft und fördert Rassismus. Noch vor wenigen Jahren hat man gesagt, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist. Heute wissen wir, dass Deutschland aber doch stark von Migration geprägt ist – und das nicht erst seit wenigen Jahren. Es ist wichtig, dass in die Köpfe der Menschen eindringt, dass unser Land ein pluraler und vielfältiger Staat ist, und das so auch gut ist. Leider ist das bei vielen Deutschen noch nicht angekommen.
Frage: Haben Sie ein Beispiel dafür?
Ani: Unsere afrikanische Bekleidung. Im Sommer trage ich immer gerne die leichten Hemden aus meiner Heimat. Sie sind gar nicht so verschieden zu europäischer Kleidung. Doch man nennt sie interessanterweise nicht "Hemd", obwohl es praktisch genauso geschnitten ist wie ein europäisches Hemd, sondern "Tracht". Auch bei der Bezeichnung anhand der Hautfarbe muss sich einiges ändern: Wenn man einen ganzen Menschen nur nach einer Farbe bezeichnet, relativiert man ihn damit. Zumeist werden Menschen mit schwarzer Hautfarbe einfach "Afrikaner" genannt. Keiner interessiert sich dafür, wie er oder sie eigentlich heißt. Viele denken: Der Name ist bestimmt sehr kompliziert, also sagen wir einfach Afrikaner. Wenn man jemanden als Schwarzfarbigen bezeichnet, ist das eine Erläuterung über sein Aussehen. Wenn ich ihn auf diese Weise bezeichne, sage ich damit jedoch, dass das Einzige was ich an ihm sehe, die Färbung seiner Haut ist. Die Bezeichnung eines Menschen aufgrund seiner Hautfarbe ist aber zudem sehr primitiv und weist auf gewisse mentale Lücken hin. Genauso wie es falsch ist, jemanden als "Schwarzen" zu bezeichnen, ist es auch falsch, jemand anderen einen "Weißen" zu nennen.
Frage: Sehen Sie an diesem Punkt auch bei der Kirche in Deutschland Veränderungsbedarf?
Ani: Es gibt jede Menge Veränderungsbedarf. Gerade wenn man bedenkt, dass der deutsche Katholizismus aktuell zu mehr als 15 Prozent aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht, ist es unpassend, dass sie nur von drei Menschen im ZdK vertreten werden. Bei rund 230 ZdK-Mitgliedern bedeutet das eine extreme Unterrepräsentation. Noch schlechter ist die Situation bei der Synodalversammlung, mit nur zwei Vertretern aus dem Bundespastoralrat der Katholiken anderer Muttersprachen, Kulturen und Riten. Wir haben in Deutschland knapp drei bis vier Millionen Katholiken anderer Muttersprachen. Das entspricht zahlenmäßig zwei oder drei Diözesen. Ich möchte bitten, das nicht unbedingt als negative Kritik zu verstehen, denn auch im ZdK gibt es hier Veränderungen. Das Statut des ZdK wurde vor acht Jahren geändert und seitdem ist die Vertretung der muttersprachlichen Gemeinden immerhin mit drei Leuten belegt. Die Meinung, dass wir noch mehr Vertreter ausländischer Katholiken im ZdK brauchen, wird langsam populärer. Es tut sich also etwas.
Frage: Sie sehen bei diesem Punkt also einen Willen zur Veränderung in der deutschen Kirche?
Ani: Ja, doch wie schnell man das umsetzen möchte, daran habe ich meine Zweifel. Schnelles Handeln wäre wichtig, denn vom ZdK aus spiegelt sich die Vertretung in andere Gremien, wie etwa die Synodalversammlung des Synodalen Wegs. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das ZdK immer wieder daran erinnern, dass wir viel zu wenig repräsentiert sind. Die Demographie des deutschen Katholizismus wird sich zudem stark verändern. Ich bin kein Statistiker, aber nach meiner Wahrnehmung werden wir in den kommenden Jahrzehnten mehr Katholiken anderer Muttersprachen in Deutschland haben als deutschsprachige Gläubige. Das gilt es für die Zukunft zu berücksichtigen.
„Die Strukturen der deutschen Kirche gehören zu den Hindernissen, weil sie die Kirche manchmal zu stark bürokratisieren – und das ist gerade angesichts der weniger werdenden Kirchgänger in Deutschland sehr schade.“
Frage: In Deutschland gibt es einen sehr aktiven Laienkatholizismus, der sich in Gremien und Verbänden organisiert. Katholiken anderer Muttersprachen kennen das aus ihren Herkunftskulturen meist eher nicht. Sind sie nicht auch deswegen weniger in Diözesanräten und im ZdK vertreten?
Ani: Das ist sicherlich ein Teil des Problems, denn der Verbands- und Gremienkatholizismus in Deutschland ist etwas weltweit Einmaliges. Es gibt zwar ähnliche Verbandsstrukturen in anderen Ländern, die aber bei weitem kaum mit denen in Deutschland vergleichbar sind. Deshalb muss man schauen, wie man Menschen mit Migrationshintergrund mit diesen Strukturen vertraut machen und sie einbinden kann. Es gibt bei einigen sicher auch gewisse Hemmungen, weil sie etwa nicht so gut Deutsch sprechen und sich deshalb eine Mitarbeit in diesen Gremien nicht zutrauen. Doch wir müssen Katholiken anderer Muttersprachen ermutigen, ihre Sichtweise einzubringen. Die Sprachkenntnisse oder auch die berufliche Situation dürften in der Kirche eigentlich keine Rolle spielen. Also ja, die Strukturen der deutschen Kirche gehören zu den Hindernissen, weil sie die Kirche manchmal zu stark bürokratisieren – und das ist gerade angesichts der weniger werdenden Kirchgänger in Deutschland sehr schade.
Frage: Gilt das auch für die ausländischen Priester, die in Deutschland eingesetzt sind?
Ani: Bei den Seelsorgern gibt es prozentual sogar mehr Menschen mit Migrationshintergrund als bei den Gläubigen. Die deutsche Kirche verlässt sich darauf, dass Priester und Ordensleute aus Afrika, Indien und Lateinamerika hier ihren Dienst tun. Aufgrund dieses hohen Anteils wäre es wichtig, dass die ausländischen Geistlichen in den Priesterräten und anderen Gremien entsprechend vertreten sind. Mein Eindruck ist, dass die meisten ausländischen Priester keine Chance bekommen, in diesen Gremien mitzuwirken oder auch auf Führungspositionen aufzusteigen. Das muss sich auf jeden Fall ändern. Es gibt auch rassistische Übergriffe in verschiedenen Formen gegen ausländische Seelsorger. Zuletzt wurde sogar ein Afrikanischer Priester im Bistum Speyer, Pfarrer Asomugha, mit einer Morddrohung, nach etlichen rassistischen Übergriffen, aus seiner Gemeinde verjagt. Für ein Land, das zunehmend auf ausländische Seelsorger angewiesen ist, ist das sehr schlecht.
Frage: Manchmal wird behauptet, dass Katholiken mit Migrationshintergrund konservativer seien als in Deutschland sozialisierte Gläubige. Stimmen Sie dem zu?
Ani: Das wird uns Katholiken anderer Muttersprachen tatsächlich immer wieder unterstellt, und im Gegenzug werden die Deutschen als sehr liberal gekennzeichnet. Wenn man von der Kraft der Sakramente spricht, wird man meist als konservativ bezeichnet. Im deutschen Katholizismus haben etwa die Beichte oder Segnungen keine große Bedeutung mehr. Ist man aber beispielsweise in einer polnisch-sprachigen Pfarrei, dann sieht man, wie wichtig dort die Sakramente sind, etwa die Beichte. Man verwendet dafür leider nicht das Wort Frömmigkeit, denn das würde ich gerne akzeptieren. Konservativ genannt zu werden, ist in Deutschland eine Abstempelung. Auf der anderen Seite ist es auch unfair zu meinen, dass sich die Gläubigen, die sich für die Caritas, für Menschenrechte und Umweltschutz einsetzen, ausschließlich theologisch liberal seien. Mit diesen Labels macht man es sich sehr einfach und flüchtet ein Stück weit vor der Realität. Man sollte sich langsam von diesen Bezeichnungen verabschieden, denn wir sind alle Katholiken und damit Geschwister auf dem Weg zu Gott.
Frage: Woher kommt es, dass die Katholiken anderer Muttersprachen oft in die konservative Ecke gestellt werden?
Ani: Migrantische Katholiken haben meist ihren Schwerpunkt auf der Spiritualität. In Deutschland ist aber die Caritas das Hauptaugenmerk der Kirche, was die Entwicklungen der vergangenen Jahre bestätigen. Das ist mir bei vielen Debatten deutlich geworden. Es wird gesagt, dass man vor allem Nächstenliebe und Caritas mit der Kirche verbindet. Dabei wird jedoch das spirituelle Leben in den Hintergrund gedrängt, das ebenfalls ein bedeutender Teil unseres Glaubens ist. Beides ist gleich wichtig. Wenn man eine größere Kombination zwischen dem karitativen Schwerpunkt in Deutschland und dem spirituellen Wunsch der Migranten-Katholiken wagen würde, dann hätten wir vielleicht sogar einen umfassenderen Katholizismus in Deutschland. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass man die muttersprachlichen Gemeinden, auch in ihren Strukturen, weiterhin aufrechterhält. Aber natürlich immer auf einem gemeinsamen und sich ergänzenden Weg mit den deutschen Katholiken.
Frage: Es gibt die Kritik in Richtung der muttersprachlichen Gemeinden, dass die Gläubigen dort nur unter sich bleiben. Wie stehen Sie dazu?
Ani: Das weise ich entschieden zurück. Muttersprachliche Gemeinden sind vielmehr Anlaufstelle für Integration in Kirche und Gesellschaft. Ich persönlich bezeichne mich und meine Familie als voll integriert in der Kirche in Deutschland, ohne dabei meine afrikanischen Wurzeln im Glauben zu verlieren. Dabei lasse ich mich weder von der deutschen Gesellschaft noch von der Kirche in Deutschland assimilieren; denn sonst haben sie nichts von mir als Afrikaner. Ich lebe hier sehr gerne und fühle mich wenigstens zur Hälfte als deutsch. Wenn wir Neulinge haben, die nach Deutschland kommen, ist es wesentlich einfacher, wenn ich meine Geschwister aus Afrika hier integriere als ein Deutscher. Dabei geht es auch um einfache Dinge, wie etwa die richtige Kleidung für das kalte Wetter in Deutschland, oder um ein besseres Verständnis für die deutschen Angewohnheiten und Erwartungen. Ein Deutscher könnte da sicher nicht die gleichen Tipps geben. Es ist wichtig, diese Integrationsstrukturen zu fördern. Außerdem engagieren sich viele Katholiken anderer Muttersprachen auch in ihren Territorialgemeinden. Es ist gut, dass Katholiken anderer Muttersprachen eigene Strukturen haben, die ergänzend zu den Pfarreien existieren.