104-jährige Ordensfrau: Nur Gott weiß, wie weit meine Kraft reicht
Maria Nopp sitzt in einem großen Stuhl in ihrem Zimmer, als ich sie anrufe. Sie trägt ein dunkelblaues Ordenskleid mit weißer Bluse und Schleier. Wir können einander sehen, denn wir telefonieren über die Videofunktion des Handys. Sie lacht mich an. Ihre Pflegeassistentin, Andrea Klemensek, hält der 104-Jährigen das Mobiltelefon vors Gesicht. Weil die betagte Ordensfrau nicht mehr so gut hören kann, wiederholt die Pflegerin jede meiner Fragen laut.
Wie es ihr gehe, will ich wissen. Gut, antwortet die Ordensfrau, sie werde hier im Konvent der Ursulinen in Klagenfurt umsorgt wie eine alte Großmutter. Sie lacht schon wieder. Die Pflegerin hat Schwester Maria im Vorgespräch als fröhliche und humorvolle Ordensfrau beschrieben. Sie sei auch ungewöhnlich fit für ihr Alter. Dieses Jahr im Dezember wird sie ihren 105. Geburtstag feiern. Nun schwenkt die Pflegerin das Mobiltelefon, damit ich das Zimmer von Maria Nopp genauer betrachten kann. Ich erkenne ordentlich sortierte Bücher im Regal und etliche schwarz-weiße Fotos an der Wand.
"Ich dachte, die Welt geht unter"
1917 wurde Maria Nopp als drittes von fünf Kindern in Linz geboren. Ihr Vater war Schulwart, die Familie wohnte im Schulgebäude. Sie könne sich noch gut daran erinnern, wie sie als kleines Mädchen abends laut singend durch die Flure gelaufen ist, erzählt die Ordensfrau nachdenklich. Die Schule habe dann immer ganz ihr gehört. Sie verbrachte eine glückliche Kindheit, bis ihr Vater verstarb. Genau einen Tag nach ihrem 17. Geburtstag sei er gestorben, erinnert sich die Schwester. "Das war schlimm für mich. Mein Vater hatte Speiseröhrenkrebs und wäre fast verhungert", sagt sie. "Ich dachte, die Welt geht unter."
Schon damals spürte sie eine besondere Hinwendung zu Gott. "Ich wollte ihm ganz gehören." Nach dem Abitur an der Lehrerinnenbildungsanstalt in Linz, das war 1938, wollte Nopp ins Kloster. "Ich habe mir zum Abitur gewünscht, dass ich Ordensfrau werden darf. Aber meine Mutter war dagegen. Ich musste ihr und meinen jüngeren Geschwistern nach dem Tod des Vaters eine Stütze sein", erklärt Nopp. Weil sie keine eigene Mitgift besaß, das brauchte man damals noch für einen Klostereintritt, wollte sie zuerst einen Beruf erlernen. Sobald ich Lehrerin bin, gehe ich ins Kloster, beschloss sie damals. "Ich habe mich schon bei den Karmelitinnen hinter den Mauern gesehen", sagt sie. Dann aber habe sie während ihrer Ausbildung ein Jahr bei den Ursulinen verbracht und gespürt, dass dies genau der richtige Ort für sie sei.
"Du wirst dort das Lachen verlernen", prophezeite ihr daraufhin ein Lehrer. Andere wetteten sogar, dass sie bestimmt bald wieder austreten würde. "Sie hatten alle nicht Recht", lacht Nopp, die seit 81 Jahren im Kloster lebt. "Für mich war das der richtige Weg."
"Ich bleibe halt am Ball"
Wir unterbrechen das Gespräch, denn Schwester Maria möchte jetzt zum Rosenkranzgebet in die Hauskapelle. Die ist im Klausurbereich des kleinen Konvents untergebracht, der mitten im Schulgebäude der Ursulinen liegt. Zum Mittagsgebet kommen auch ihre sechs Mitschwestern. In Klagenfurt, im österreichischen Bundesland Kärnten, betreiben die Schwestern seit dem 16. Jahrhundert Bildungseinrichtungen. Bis heute. Nach dem Mittagessen tankt Schwester Maria Nopp noch etwas Sonne im Garten. Dann telefonieren wir noch einmal.
Jetzt erzählt ihre Pflegerin weiter. Schwester Maria sei sehr belesen. Zurzeit lese sie ein Buch in französischer Sprache und das noch dazu in kleiner Schriftgröße, sagt sie bewundernd. "Ich bleibe halt am Ball", ergänzt Schwester Maria.
Als junge Novizin musste Maria Nopp aus Linz nach Frankreich fliehen, um sich dort in Sicherheit vor dem Zweiten Weltkrieg zu bringen. Dort in Frankreich erlernte sie nicht nur die französische Sprache, sondern auch den gregorianischen Choralgesang. Sie fängt am Telefon spontan zu singen an. Ihre zarte Stimme berührt mich. Sie wüsste auch noch, wie man einen Choral dirigiert, sagt die 104-jährige Ordensfrau. Als Musiklehrerin habe sie auch einen Schulchor geleitet. "Sie ist einfach eine musikalische Seele", erklärt ihre Pflegeassistentin. Erst vor kurzem sei die Ordensfrau vom Stuhl auf den Boden gerutscht und habe sich dabei verletzt. Aber statt um Hilfe zu rufen, habe sie begonnen zu singen. "Solange, bis ich sie hörte", so Andrea Klemensek. "Sie hat mich herbeigesungen, statt zu jammern." Ihre optimistische Lebenseinstellung sei beeindruckend. Das ist wohl auch ein Grund, warum Schwester Maria körperlich und geistig so fit sei, meint die Pflegerin.
1941 legte Maria Nopp in Paris ihre Ewigen Gelübde ab. Im Jahre 1945 kehrte sie nach Stationen in Brüssel und Rom wieder nach Linz zurück und begann an der ordenseigenen Schule Deutsch und Musik zu unterrichten. Bis heute pflegt sie den Kontakt zu ehemaligen Schülerinnen. "Sie hat eine Fangemeinde in Linz", erklärt die Pflegerin stolz. Diese wären heute auch schon über 80 Jahr alt und versorgen die betagte Ordensfrau immer wieder mit Lesestoff. Damals übernahm Nopp sogar Aufgaben in der Ordensleitung, 1959 wurde sie Internatsleiterin. Doch dann musste der Konvent in Linz schließen und sie wechselte mit 51 Jahren zu den Ursulinen nach Klagenfurt, wo sie bis heute lebt. Sie half im Unterricht und in der Waschküche, bis es nicht mehr ging.
Wenig Fleisch und kein Alkohol
Trotz ihres hohen Alters nimmt Maria Nopp immer noch aktiv am Klosterleben teil: Beim täglichen Stundengebet, bei der heiligen Messe, und natürlich an den gemeinsamen Mahlzeiten. Am liebsten esse sie Rollmops, wenig Fleisch und trinke absolut keinen Alkohol, verrät die Pflegerin. Meist sei sie mit dem Rollator unterwegs, in letzter Zeit auch mal mit dem Rollstuhl. Nopp habe sich vor vier Jahren beide Oberschenkel gebrochen und wurde operiert. Sie habe aber alles gut überstanden. Sie rapple sich halt immer wieder auf, betont die Pflegerin. Selbst die Ärzte staunen darüber.
Ob sie denn mit Gott auch mal gehadert habe in ihrem Leben, will ich wissen. "Ich war immer einverstanden mit ihm", sagt Nopp, "immer", wiederholt sie. Auch wenn in ihrem Leben nicht immer alles glatt lief: Sie musste wegen des Krieges nach Frankreich, ihr Bruder ist im Krieg gefallen und ihre jüngste Schwester erst vor ein paar Jahren mit 96 Jahren verstorben. "Es war immer selbstverständlich für mich, dass ich alles so annehme, wie es kommt", erklärt Nopp. "Ich habe zu allem Ja gesagt, und nie an Gottes Willen gezweifelt." Es sei halt ihre bedingungslose Resilienz, die sie so alt habe werden lassen, erklärt die Pflegerin.
Was denn ihr Rezept für ein langes Leben sei, frage ich die Ordensfrau. Sie nehme keine Medikamente, lache viel und nehme alles mit Humor, erklärt sie. Es sei ihr auch wichtig, sich viel geistig zu beschäftigen, den Kopf arbeiten zu lassen, wie sie sagt. Sie will sich nicht aufgeben, ergänzt die Pflegerin. "Ja, wenn man aufgibt, dann lässt man dem lieben Gott nicht sein Ziel erreichen", meint die Ordensfrau. Man müsse schon auch sein Möglichstes tun und mutig sein, den Rest mache dann der liebe Gott, so Nopp. Er zeige einem schon, wo es hingeht.
"Haben Sie eine besondere Beziehung zum Herrgott, weil sie so alt geworden sind?", frage ich nach. Davon wisse sie nichts, aber sie bete jeden Tag zu ihm, so Nopp. Was sie ihm denn aktuell sagen würde? "Das ist mein Geheimnis", lacht sie. Ihr Gesicht schimmert über das Telefon fast faltenlos. "Ich überlasse dem Herrgott, wie viel Lebenszeit er mir noch schenkt", schließt sie, "nur er weiß, wie weit meine Kraft reicht." Wir winken uns zu. "Gott behüte Sie", ruft sie laut. Dann legt die Pflegerin auf. Sie kümmert sich rührend um die Ordensfrau. Schwester Maria möchte sich nun etwas ausruhen.
Information
Der Orden der Ursulinen wurde 1535 von Angela Merici gegründet und widmete sich von Anfang an der Erziehung von Mädchen. Seit 1670 ist der Orden der Ursulinen in Klagenfurt in Östereich tätig und betreibt dort Schulen.