Glaube ist kein Psychopharmakon: Die Auferstehung verwandelt die Welt
"Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt" – diese Worte wurden angesichts des zerstörten und schuldig gewordenen Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gedichtet. Sie sind Ausdruck einer Hoffnung auf das Gute angesichts des Grauens, auf das Licht der Sonne angesichts der Dunkelheit des Krieges und der Ungerechtigkeit, auf ein freies und friedvolles Leben aus der Fülle in dieser Welt. Bekanntlich begann die Hymne der untergegangenen DDR mit diesen Worten. Der expressionistische Dichter Johannes R. Becher, von dem der Text der DDR-Hymne stammt, dachte bereits im russischen Exil über ein Leben nach der Katastrophe nach. Er griff dabei auf christliche Bildwelten zurück. Die Rede vom Licht des Friedens und der leuchtenden Sonne lässt an das Kirchenlied "Sonne der Gerechtigkeit" denken, und natürlich erinnert die erste Wendung "Auferstanden aus Ruinen" an den christlichen Glauben an die Auferstehung von den Toten. Der Kommunist Becher glaubte freilich an eine innerweltliche Auferstehung. Er hoffte auf eine radikale Transformation sozialer, ökonomischer und politischer Verhältnisse zum Guten hin und zwar in naher Zukunft. Nachdem den Bürgerinnen und Bürgern der DDR wie den Menschen überall in Mittel- und Osteuropa im Lauf der Jahrzehnte dieser Glaube an eine gute Zukunft abhandengekommen war, ging das sozialistische Experiment schließlich unter. Der Kommunismus versank in den Untiefen der Geschichte. Keine Propaganda, keine Macht und keine Gewalt konnten ein unglaubwürdig gewordenes System am Leben erhalten. Neben dem menschenverachtenden Machtmissbrauch und dem ökonomischen Versagen führte wohl vor allem der Verlust von Glauben und Hoffnung zum Untergang des scheinbar unerschütterlichen Systems.
Der christliche Glaube nun hat seinen Lebensnerv in der leiblichen Auferstehung Jesu Christi. Wenn heute nur noch 55% der freikirchlichen Christinnen und Christen, nur noch 28% der Katholikinnen und Katholiken sowie lediglich 23% der Protestantinnen und Protestanten an diesem articulus stantis et cadentis ecclesiae festhalten, so sollte dies die kirchlichen Alarmglocken schrillen lassen. An der Auferstehung hängen der Glaube und die Hoffnung. An Glauben und Hoffnung hängt die Existenz der Kirche. Wenn nun zu der besorgniserregenden Erosion des christlichen Kerninhalts noch die Katastrophenmeldungen des Missbrauchsskandals kommen, wenn die hartnäckige Resistenz der kirchlichen Machtstrukturen gegenüber einer umfassenden Reform und wenn ein soziologisch und systemisch bedingter Funktionsverlust der Kirchen weitere schwere Steine in das schlingernde Kirchenschiff legen, dann wird es kritisch. Eben deshalb ist kritisch nachzufragen, welche Bedeutung denn die Kirche und ihr Glaube für die Menschen unserer Tage haben können. Mit dieser Frage werden wir aber auf den zentralen Inhalt des Glaubens zurückverwiesen: Leben, Sterben und Auferstehung Jesu Christi. Gleich hier sei behauptet: Der Glaube an die leibliche Auferstehung beinhaltet nicht die Vorstellung eines leeren Grabs, sondern die Überzeugung von der alles verwandelnden Lebensmacht Gottes.
Radikale Transformation der Welt
Jesus von Nazaret war nun, soweit wir wissen, ein jüdischer Wanderprediger und Wunderheiler, der seine Verkündigung und seine Taten mit dem Anbruch des Gottesreichs verknüpfte. "Wenn ich aber die Dämonen mit dem Finger Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen" (Lk 11,20). Irgendwie war dieser Mann wohl davon überzeugt, dass eine radikale Transformation der Welt begonnen habe. Jesus glaubte, dass der Schöpfer der Welt und Retter Israels nach und nach die gesamte Wirklichkeit verwandeln werde und bezog sich dabei unter anderem auf den Propheten Jesaja: "Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe" (Lk 4,18f.).
Gerade diese Zeilen und die Heilungsgeschichten machen deutlich, dass es Jesus tatsächlich um die körperliche, geistige und soziale Gesundheit der Menschen ging. Die Veränderung der Verhältnisse sollte für die Menschen in ihrem Umfeld spürbar sein. Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt. Jesus erregte Widerstand. Verantwortliche machten sich Sorgen um die politischen und religionspolitischen Implikationen seines Handelns. In der hochexplosiven Situation in Jerusalem in den ersten Jahrzehnten unserer Zeitrechnung brauchte es nicht viel, um von der römischen Besatzungsmacht eliminiert zu werden. Möglicherweise wurde die Verkündigung der anbrechenden Herrschaft Gottes von den politisch und religiös verantwortlichen Kräften als ebenso bedrohlich empfunden, wie wenn im – vor einigen Jahren noch – amerikanisch besetzten Afghanistan ein radikaler Prediger das Kalifat ausgerufen hätte. Zu befürchten waren Aufstände und Gewalt. Nun aber wurde Jesus hingerichtet. Grund der Verurteilung war sein politisch konnotierter messianischer Anspruch: Jesus von Nazaret, König der Juden.
Die Freundinnen und Freunde Jesu haben sich nicht mit dieser Katastrophe, die so offenkundig Jesu Botschaft widersprach, abgefunden. Sie kamen zur Überzeugung, dass Gottes radikale Transformation der Wirklichkeit vor menschlichem Scheitern, vor staatlicher Gewalt, vor Misshandlung und vor dem Tod nicht Halt macht. Im Gegenteil! Gerade in Leiden und Sterben Jesu manifestiere sich die größere Macht und die unverbrüchliche Liebe Gottes zu den Menschen. Die Überzeugung von der Auferweckung des Gekreuzigten wurden nun mit der Botschaft Jesu vom weltverändernden Glauben an die Wirkmacht Gottes verschmolzen. Tod und Auferweckung Jesu rückten in den Mittelpunkt eines neuen Glaubens. In sehr unterschiedlichen theologischen Gedankenfiguren beschreiben Paulus, die Synoptiker und der Evangelist Johannes diese neuartige Überzeugung. Die Bilder vom leidenden Gottesknecht bei Jesaja, vom für die Sünden geopferten Gottessohn, vom für die Versöhnung mit Gott geschlachteten Lammes, aber auch vom leeren Grab boten dem neuen Glauben eine provozierende Anschaulichkeit und zugleich eine Rückbindung an alttestamentliche Versöhnungs- und Hoffnungsvorstellungen.
Die Macht Gottes kennt keine Grenzen
Zugleich aber sprengen die Erzählungen vom auferstandenen Gekreuzigten auch jede in sich konsistente Vorstellungswelt. Wie soll das gehen, dass ein zum Tode Gefolterter wieder zum Leben erweckt wird? Maßgeblich ist letztlich nicht, wie genau dieser Transformationsprozess vom Tod zum Leben vorzustellen ist. Entscheidend ist die Überzeugung, dass die Macht Gottes, die Geschicke der Welt zum Guten und zum Licht, zur Fülle des Lebens und zum genussvollen Miteinander, zur Wahrheit und zur Versöhnung zu lenken, an schlechthin nichts eine Grenze findet. Auch nicht an Zerstörung, an Leid und an Tod. Auch nicht an den grauenvollen Wunden, die Menschen einander zufügen.
Was also meint leibliche Auferstehung? Der Glaube an die leibliche Auferstehung hängt nun nicht an der Vorstellung, dass ein im Grab liegender Leichnam wiederbelebt wird. Im Gegenteil, denn dann hinge die ganze christliche Hoffnung an einem singulären hoch fragwürdigen historischen Ereignis, das möglicherweise so stattgefunden hat oder auch nicht und mithin im Dunkel der Geschichte bleibt. Entscheidend ist vielmehr die Kraft des Glaubens als solchem, wie Jesus ihn verkündet hat. Der christliche Glaube richtet sich auf den Gott der Lebenden, der immer und überall Nichts in Sein, Tod in Leben, Leid in Freude, Zerstörung in Aufbau, Armut in Reichtum, Gefangenschaft in Freiheit, Krankheit in Gesundheit verwandeln will. Der Glaube richtet sich auf den weltverändernden Heilswillen Gottes. Das leere Grab ist lediglich ein narratives Zeichen für diese transformative Kraft Gottes.
Was aber wird verwandelt? Nicht das, was vom Leben übrigbleibt, sondern das Leben selbst. Die sterblichen Überreste sind nicht das Leben des Menschen, sind nicht der lebendige Leib, sondern eine Abscheidung wie abgeschnittene Haare, ein ausgefallener Zahn oder ausgeschiedener Urin. So sehr wir vor den sterblichen Überresten eines Menschen Respekt haben sollten, so wenig meint die leibliche Auferweckung von den Toten eine Wiederbelebung von Leichen. Auferstehung meint keine Rückkehr und Fortsetzung des irdischen Lebens auf dem Zeitstrahl, sondern die Verwandlung des zeitlichen Lebens in ewiges Leben, das endgültige Eingehen in das vollendete Reich Gottes.
Verwandlung des Lebens
Das Leben des Menschen in dieser Welt, in dieser Zeit ist endlich. Mit dem Tod ist es abgeschlossen. Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass das ewige Leben nach dem Tod beginnt. Es beginnt vielmehr mitten in der Zeit, in der sinnlichen Welt, in der Spanne zwischen Leben und Tod. Dieses gelebte Leben, mit all seinen Höhen und Tiefen, Konflikten und Erfolgen, Begegnungen und Erlebnissen ist es, was in der ewigen Hand Gottes aufgehoben ist. Das Reich Gottes ist schon immer unter uns. "Lang ist die Zeit, es ereignet sich aber das Wahre", sagt der Dichter Hölderlin. Wenn wir, wie Paulus es denkt, den alten Menschen ablegen und Christus anziehen, dann ereignet sich dieses Wahre, dann gehen wir über in den Glauben und das heißt, in die Überzeugung, dass die Macht des Todes gebrochen ist: "Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe noch Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Röm 8,38).
Dieser Glaube stellt die traumatischen und problematischen Erfahrungen in diesem Leben nicht ruhig. Trauer und Angst, Scheitern und Verlust, Gewalt und Gemeinheit bleiben den Menschen nicht erspart. Manche Menschen zerbrechen an der Wirklichkeit. Manche werden zerbrochen. Der Glaube leugnet diese Tatsachen gerade nicht. Und vielleicht müssen wir vor allem Glauben schlicht weinen und vehement klagen. Wir dürfen klagen, auch Gott anklagen: Warum hast du mich verlassen? Wir müssen zweifeln und manchmal verzweifeln.
„Vielleicht ist dieser Glaube nicht mehr als ein letzter Protest gegen die Sinnlosigkeit und Brutalität der Wirklichkeit.“
Der Glaube ist kein Psychopharmakon. Und oft, ja vielleicht sogar meistens ist der Glaube auch in den ausdrücklich Glaubenden nur klein, winzig, ja verschwindend. Und doch ist er ein Riss in der Betonwand des Daseins, durch den Licht, durch den frisches Grün eindringen kann. Vielleicht ist dieser Glaube nicht mehr als ein letzter Protest gegen die Sinnlosigkeit und Brutalität der Wirklichkeit. Vielleicht ist dieser Glaube auch gar nicht mehr vorhanden. Und sicher ist dieser Glaube für viele auch nicht mit der Person und dem Namen Jesu von Nazaret verbunden.
Festhalten an der Hoffnung
Entscheidend ist aber, ob wir Menschen daran festhalten wollen und dürfen, dass es Hoffnung gibt – gegen alle Wahrscheinlichkeit und gegen alle Hoffnung. Für die Christinnen und Christen ist diese Hoffnung untrennbar mit dem Namen Jesus verbunden. Der Glaube an ihn ist keine Weltflucht, vielmehr bewährt er sich in der Welt und im jeweils konkreten Leben mit all dessen Licht und Schattenseiten.
An die leibliche Auferstehung glauben heißt, sich für die Transformation der Welt einzusetzen hier und jetzt, immer wieder die Trümmer wegzuräumen, Stacheldraht zu beseitigen, Menschlichkeit zur Welt zu bringen, Lebensmöglichkeiten eröffnen. In diesem Streit um das Reich Gottes wird allen Menschen, den Starken und Schwachen im Glauben, den Christgläubigen und Ungläubigen und Andersgläubigen, jedem, der nur Menschenantlitz trägt, zugesagt: Du bist geliebt! Deine Wunden werden heilen! Du wirst aus der Fülle leben! Die Welt wird aus der Fülle leben! Die Schöpfung erhebt sich gegen allen Anschein aus den Trümmern der Geschichte und wird dereinst in Gott ihre Vollendung finden! Auferstanden aus Ruinen ...