Europas Kirchen bitten Putin und Selenskyi um Waffenruhe zu Ostern
Spitzenvertreter der europäischen Kirchen haben Russlands Präsident Wladimir Putin und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi zu einer einwöchigen Waffenruhe ab Ostersonntag aufgerufen. Sie solle der Bevölkerung eine Verschnaufpause gewähren und den Weg zu Verhandlungen öffnen, die bereit sein müssten für "Opfer zum Wohl der Menschen", heißt es in dem gemeinsamen Brief des Vorsitzenden der katholischen EU-Bischofskommission COMECE, Kardinal Jean-Claude Hollerich, und des Präsidenten der ökumenischen Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), Christian Krieger.
Die Kirchenvertreter veröffentlichten das Schreiben am Mittwoch in Brüssel. Es wurde den Präsidenten am Montag über diplomatische Kanäle zugesandt. In einem separaten Brief baten Hollerich und Krieger den Putin nahestehenden russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. in Moskau um öffentliche Unterstützung für die Initiative.
Die Geistlichen begründeten die Zeitwahl mit dem Osterfest, das in diesem Jahr in den westlichen Kirchen am kommenden Sonntag und in den orthodoxen Kirchen des julianischen Kalenders eine Woche später am 24. April begangen wird. Die Unterbrechung der Kämpfe solle den Christen in Russland und der Ukraine als "Schwestern und Brüdern in Christus" die Gelegenheit geben, "Ostern in Frieden und Würde zu feiern" und ihre Sorge um Angehörige lindern. Hollerich und Krieger bezogen sich zudem auf den Appell von Papst Franziskus, der vergangenen Sonntag vor Zehntausenden Gottesdienstteilnehmern auf dem Petersplatz in Rom um einen Waffenstillstand zu Ostern gebeten hatte.
Theologe: Russen haben "Herzen der Ukrainer für ewig verloren"
Unterdessen sieht der griechisch-orthodoxe Theologe Georgios Vlantis (42) das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine als zerstört an. Mit "diesem Krieg" hätten die Russen "die Herzen der Ukrainer für ewig verloren", sagte Vlantis der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch). Die Russen sprächen von den Ukrainern als Brudervolk. Aber: "So geht man nicht mit einem Bruder um." Einem Bruder müsse man auch eine gewisse Unabhängigkeit zutrauen, statt ihn zu bevormunden. "Aber die Russen haben kaum Erfahrung mit demokratischen Prozessen, deshalb verwechseln sie Einheit mit Uniformität." – Vlantis ist Geschäftsführer des Arbeitskreises christlicher Kirchen (ACK) in Bayern.
Um den Konflikt zu befrieden, dürften sich die orthodoxen Kirchen in Russland und der Ukraine nicht von den Mächtigen instrumentalisieren lassen, so der Theologe. Vor allem die russisch-orthodoxe Kirche habe versucht, den Krieg theologisch zu untermauern und sich die Narrative Putins zu eigen gemacht. "Doch weder in Russland noch in der Ukraine sollten die Kirchen kritiklos nationalistische Ideologien propagieren", sagte Vlantis. Sie müssten auf der Seite der Schwachen, der Bedrohten und der Angegriffenen stehen. Die Kirchen in der ganzen Welt seien im Krieg aufgerufen, "das angeblich Unmögliche zu predigen und zu fördern: die Versöhnung, den Frieden, die Liebe".
Vlantis warb für einen "ökumenischen Paradigmenwechsel". Im Dialog zwischen den Kirchen sei zu lange vieles "unter den Teppich gekehrt" worden, um "die Russen nicht zu verärgern". Das müsse sich ändern. So seien die Grundthesen und homophoben Ansichten Kyrills längst bekannt gewesen. "Ihnen wurde nicht ausreichend widersprochen." Zudem versuche Kyrill Oberhäupter anderer Kirchen zu vereinnahmen. Von seiner Mentalität her sei er "ein sowjetischer Mensch, seit der kommunistischen Zeit sehr nah am jeweiligen Regime". Nicht zufällig habe er schon in seiner Jugend seine Kirche in internationalen ökumenischen Gremien vertreten dürfen. In seiner "antiwestlichen Weltanschauung" sei Kyrill ehrlich, liege aber "tragischerweise falsch". Mit Blick auf die Rolle des Papstes riet Vlantis zu "großer Vorsicht" und dem Vermeiden von Alleingängen. Franziskus solle sich mit anderen christlichen Oberhäuptern zusammentun. "Wenn er nach Kiew reist, dann bitte nicht alleine." (tmg/KNA)