Der Tag der Grabesruhe Jesu: Ohne Karsamstag kein Ostern
Der Tod und die Auferstehung Jesu Christi stehen an den drei Tagen des sogenannten Ostertriduums im Zentrum des kirchlichen Gedenkens. Doch während der Karfreitag als Todestag Jesu und der Ostersonntag als Tag seiner Auferstehung den meisten Gläubigen in ihrer Grundbedeutung vertraut sein mögen, tuen sich viele Menschen mit dem Karsamstag schwer. Kein Wunder, denn der Tag der Grabesruhe Jesu scheint auf den ersten Blick kaum eine Relevanz zwischen den heilsgeschichtlich bedeutenden Ereignissen von Tod und Auferstehung zu haben. Die grundlegende Aussage des Karsamstags ist nicht einfach zu fassen, denn Jesus starb bereits am Tag zuvor und wurde dann auch bestattet, auferstanden ist er am zweiten der drei österlichen Tage zudem noch nicht. Jesus ist immer noch tot, könnte man als Quintessenz dieses "Dazwischen"-Tages festhalten. Viel mehr scheint nicht passiert zu sein.
Ein Blick in das Neue Testament bestätigt diese Deutung zunächst: Der Verfasser des Matthäusevangeliums berichtet davon, dass die Hohenpriester und Pharisäer am Tag nach Jesu Hinrichtung zu Pontius Pilatus gingen und den römischen Statthalter um eine Wache für das Grab des Gekreuzigten baten (Mt 27,62-66). Sie befürchteten, dass die Jünger Jesu seinen Leichnam stehlen würden, um seine Auferstehung vorzutäuschen. Der Evangelist Lukas berichtet außerdem, dass die Frauen aus dem Umkreis Jesu die für den Sabbat vorgeschriebene Ruhe einhielten (Lk 23,56). Ansonsten ist in den Evangelien nichts Weiteres vom Karsamstag überliefert.
Nicht ohne Grund feiert die Kirche daher an diesem Tag nur eine sehr reduzierte Liturgie: Der Tag der Grabesruhe ist neben dem Karfreitag einer von zwei Tagen im Jahr, an denen keine Eucharistiefeier zelebriert wird. Das Stundengebet, Karmetten sowie Versehgänge für Kranke und Sterbende finden statt, mehr jedoch nicht. In vielen Kirchengemeinden dominieren am Karsamstag daher die Vorbereitungen für die Osternacht und die Gottesdienste am Ostersonntag das pfarrliche Leben. Mancherorts ist inzwischen auch die ursprünglich vor allem aus Polen stammende Tradition der Segnung der Osterspeisen heimisch geworden. Ist der Karsamstag also nur ein Tag der geschäftigen Vorbereitung auf Ostern, der seine Bedeutung in der Verdrängung des Todesruhe Jesu gefunden hat?
In einigen Pfarreien wird der teilweise bis ins 10. Jahrhundert zurückreichende Brauch gepflegt, am Karfreitag ein sogenanntes "Heiliges Grab" in der Kirche aufzubauen. Eine lebensechte Darstellung des beigesetzten Leichnams Jesu oder einen "bestattetes" Kruzifix dienen den Gläubigen am meist liturgiefreien Karsamstag zur Andacht – ebenso wie oftmals auch ein zur Verehrung aufgestelltes Kreuz. Die Volksfrömmigkeit versucht dadurch die Leerstelle spirituell zu füllen, die der Tag der Grabesruhe Jesu darstellt und zeigt gleichzeitig, welche große Bedeutung ihm emotional zukommt. Der Karsamstag ist ein Tag der Trauer und der unvermeidlichen Einsicht, dass Jesus wirklich gestorben ist. Er führt vor Augen, dass Ostern nicht einfach im Handumdrehen geschehen kann, sondern Zeit braucht.
Ein Blick in das Credo zeigt, dass die Kirche den Karsamstag von Beginn an gewürdigt hat, denn dort findet sich ein eigener Passus zum Tag der Grabesruhe: Jesus Christus sei "hinabgestiegen in das Reich des Todes", nachdem er "gekreuzigt, gestorben und begraben" wurde, heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Der "Höllenfahrt Jesu", wie entsprechende künstlerische Darstellungen auch genannt werden, erfährt eine ausdrückliche Erwähnung, weil ihr nach dem Glauben der Kirche eine besondere Bedeutung in der Heilsgeschichte zukommt. Nicht umsonst heißt der Karsamstag daher in mehreren romanischen Sprachen und im Englischen übersetzt "Heiliger Samstag".
Die orthodoxe Auferstehungsikone zeigt anschaulich, wie der Abstieg Jesu in das Totenreich theologisch verstanden werden kann. In der in den Ostkirchen verbreiteten Darstellung wird Christus als von Gott Auferweckter dargestellt, der die eigentlich unüberwindbare Abgrenzung zwischen Unterwelt und dem Bereich der Lebenden durchbrochen hat. In seiner Bewegung nach unten zieht er mit seinen Händen Adam und Eva, die Könige David und Salomo sowie weitere Personen der biblischen Überlieferung bis hin zu seinem Vorläufer Johannes dem Täufer aus dem Totenreich nach oben. Die Aussage ist klar: Jesus ist durch seinen Tod und seine Auferstehung nicht nur für die nach ihm Lebenden das göttliche Erlösungsangebot, sondern auch für alle Menschen, die vor ihm gelebt haben. Der Karsamstag als Tag des Abstiegs Jesu in das in der jüdischen Tradition "Scheol" genannte Reich der Toten markiert den Beginn der Auswirkungen des Erlösungshandelns Jesu am Kreuz des Karfreitags. Jedoch findet dieser Akt unsichtbar und verborgen statt, durch einen Gott, der an diesem Tag auf der Erde vermisst wird.
Für den Theologen Hans Urs von Balthasar war der Karsamstag fundamental für den christlichen Glauben. Denn mit dem Abstieg Jesu zu den Toten habe die Wende zum Heil bereits eingesetzt. Christus habe nicht nur am Kreuz gewissermaßen aktiv die Gottesferne in Leid und Tod erlitten, sondern als wirklich Gestorbener diesen Zustand auch passiv durchgemacht. Weil er sich damit ganz und gar aus Liebe in die nach dem Sündenfall mögliche Gottverlassenheit der Menschen hineinbegeben habe, stehe der Abstieg Jesu zu den Toten für die Erlösung. Da auch über den Tod hinaus die Verbindung Jesu mit seinem himmlischen Vater weiterbestehe, bedeute der Karsamstag somit etwas an sich Paradoxes: Gott zieht in den Zustand der Gottesferne ein und eröffne damit die Möglichkeit der Gemeinschaft mit ihm für alle Menschen, den Ausweg aus dem Tod. Das ist gemeint, wenn ein Hymnus der orthodoxen Osterliturgie davon singt, dass Christus "den Tod durch den Tod niedergetreten" hat.
Dieser Akt der Erlösung sei nicht als Triumphzug Jesu zu verstehen, wie er manchmal mit der Auferstehung in Verbindung gebracht werde. Vielmehr versteht Balthasar den gestorbenen und in das Totenreich gelangten Gottessohn als den "noch Ohnmächtigeren", der den "in Ohnmacht rein auf sich selbst" bezogenen Menschen dadurch rettet, dass er sein Schicksal teilt: Er macht ihm "die Absolutheit seiner Einsamkeit streitig". Der christliche Gott durchleidet damit Verdamnis und Verlassenheit gemeinsam mit den Menschen und nimmt diesen Zustand dadurch hinweg.
Zudem ist der Karsamstag damit ein Tag, der neben Weihnachten wie wohl keiner für das Menschsein Jesu steht: Jesus war wirklich tot und nicht nur scheinbar, wie es etwa die Häresie des Doketismus in den ersten christlichen Jahrhunderten lehrte. Der wirkliche Tod Jesu Christi, der dem Glauben nach wahrer Mensch und wahrer Gott ist, bedeutet nach christlicher Auffassung jedoch keinen Skandal. Er ist untrennbar mit dem Heil und dem Sieg des Lebens verknüpft. Ostern kann ohne den Karsamstag nicht gefeiert werden.