Transsexuell und Ministrant: So war Jonas Müllers Coming-Out
Vor vier Jahren hieß Jonas Müller noch Laura Müller. Damals wie heute hat der Stuttgarter in der Gemeinde St. Elisabeth ministriert. Inzwischen ist der 24-Jährige auch Mitglied im Kirchengemeinderat der katholischen Gemeinde im Stuttgarter Westen.
Frage: Herr Müller, warum haben Sie Ihre Transsexualität öffentlich gemacht?
Jonas Müller: Ich musste es öffentlich machen, weil ich als Jonas Müller angesprochen werden wollte und nicht mehr als Laura Müller.
Frage: Steht Ihr neuer Vorname jetzt auch in Ihrem Personalausweis?
Müller: Ja. Den Vornamen "Jonas" habe ich mir selbst ausgesucht, meinen weiblichen Taufnamen habe ich damit abgelegt.
Frage: Sie haben das Coming-Out von sich aus vollzogen. Wie alt waren Sie damals?
Müller: Ich war gerade 20 Jahre geworden, kurz nach dem Abitur. Damals war ich Schüler und Ministrant.
Frage: Sie hätten ja auch nichts sagen brauchen und einfach so weitermachen können?
Müller: Mit Sicherheit. Aber ich bin damals gerade von zu Hause in eine betreute Wohngemeinschaft gezogen. Damals war ich nicht mehr sicher, ob ich wirklich weiblich bin. Ich habe mich dann mit dem Thema auseinandergesetzt und auf YouTube einige Videos von Transmännern angeschaut. Eine Australierin, sie war offensichtlich als Frau gekleidet, hat sich in einem Video die Haare abgeschnitten und ihre Brüste abgebunden. Als ich das gesehen habe, löste das in mir etwas aus. Ich habe mich dann einer Betreuerin in meiner WG anvertraut. Sie hat mir geraten, mich zuerst einmal im geschützten Kreis zu outen. Ich wollte es einfach ausprobieren. 2017 war das. Ich habe dann noch ein Jahr gebraucht, bis es wirklich so weit war. Ich wollte einfach sicher sein, wenn ich das öffentlich mache. Dann hat es gepasst. Ich habe mich bei den Ministranten so vorgestellt: Ich würde gerne von euch mit Jonas angesprochen werden, da ich mich so wohler fühle. Die älteren Ministranten haben mich auf diesem Weg meiner Selbstfindung begleitet und mich bestärkt, dafür bin ich ihnen heute noch sehr dankbar. Klar habe ich eine Weile gebraucht, meine Veränderung anzunehmen, auch körperlich, durch die Hormone, die ich nehme. Immer wieder wurde ich trotzdem noch mit weiblichen Pronomen angesprochen. Das war aber kein Problem für mich, da es für alle eine Umstellung war.
Frage: Wie hat der Pfarrer der Kirchengemeinde darauf reagiert?
Müller: Unser Pfarrer Werner Laub war von Anfang an in meine Geschichte eingeweiht. Die Oberministranten haben mir geraten: Wir sagen es zuerst dem Pfarrer, der muss es wissen. Wir sind dann zu ihm nach Hause und ich habe ihm ganz offen gesagt: Ich bin jetzt der Jonas. Er hat gesagt: "Okay, das finde ich gut. Ich unterstütze dich dabei. Wenn es Probleme gibt, dann sagst du es mir." Es war von Anfang an klar, dass er keine Vorbehalte hatte. Da kam auch nie eine blöde Bemerkung, kein kleines Späßchen, nichts. Im Gegenteil: Er hat sogar die Regenbogenfahne an unsere Kirche anbringen lassen. Ich habe gewusst, dass es ihm ernst ist.
Frage: Aber wenn Sie bei ihm als Jugendreferent mit kirchlichem Vertrag angestellt wären? Würde das gehen?
Müller: Ich könnte mir das gut vorstellen. Aber ich will keinen kirchlichen Vertrag haben. Denn ich will nicht, dass ich meinen Arbeitgeber in einen Gewissenskonflikt damit bringe, mich wegen meiner Sexualität oder einer daraus folgenden möglichen Beziehung kündigen zu müssen.
Frage: Steht das wirklich so drin?
Müller: Ja, ich habe schon so einen Vertrag zu Hause, wo das genauso drinsteht. Es verletzt mich einfach, wenn ich das lese. Ich habe mein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Wohngruppe in einer kirchlichen Einrichtung in Stuttgart gemacht. Und in diesem Arbeitsvertrag stand drin, dass ich aufgrund meiner Sexualität jederzeit gekündigt werden könnte. Ich war damals schon geoutet und für alle Jonas Müller. Es hat mich geärgert, dass da Schwarz auf Weiß stand, wenn ich in einer Partnerschaft zum Beispiel mit einem Mann leben würde, ich jederzeit gekündigt werden könnte.
Frage: Wo arbeiten Sie denn aktuell?
Müller: Ich bin Erzieher auf einer stationären Wohngruppe, die zum Jugendamt der Stadt Stuttgart gehört.
Frage: Könnten Sie nicht auch als Erzieher bei einer kirchlichen Einrichtung arbeiten?
Müller: Ja, aber ich will das nicht. Ich bin auch im Kirchengemeinderat bei uns tätig. Eine Kollegin, die bei der Caritas arbeitet, hat mir erzählt, dass bei ihr in der Arbeit Transsexualität zum Beispiel kein Problem mehr wäre. Das würde also gehen und freut mich. Aber ich möchte nicht, dass mein Arbeitgeber denkt, er müsste mich eigentlich kündigen. Solange sich das kirchliche Arbeitsrecht in diesem Punkt nicht ändert, bewerbe ich mich da nicht mehr. Punkt. Dieser diskriminierende Abschnitt muss raus.
Frage: Was wünschen Sie sich konkret von der Kirche als Arbeitgeber?
Müller: Ich wünsche mir, dass die kirchlichen Verantwortungsträger ihr Dienstrecht in Bezug auf dieses Thema ändern und nicht Menschen diskriminieren, die transsexuell sind. Es tut einfach weh. Mir tut das weh. Ich will, dass man auf den konkreten Menschen dahinter schaut und ihn aufgrund seiner Qualifikationen beurteilt und nicht aufgrund seiner Körperlichkeit. Ich stehe dazu, dass ich katholisch bin. Die Kirche hat mir so viel gegeben, ich gehöre dazu und will jetzt helfen, etwas zu verändern.
„Ich will zeigen, dass man auch in der Kirche positive Erfahrungen machen kann, wenn man zu sich selbst steht. Ich wurde nicht rausgemobbt, weil ich transsexuell bin.“
Frage: Warum denken Sie, hat es bei Ihrem Coming-Out in der Kirchengemeinde so gut geklappt?
Müller: Ich war von Anfang an ehrlich und habe in der kirchlichen Jugendarbeit erlebt, dass man gut miteinander reden kann. Hier im Kreis der Ministranten konnte ich offen über meine Transgeschlechtlichkeit sprechen, über die Hormontherapie und die Veränderungen an meinem Körper. Es war denen völlig egal, welches Geschlecht ich habe, weil sie mich als Menschen gesehen haben. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich diese Gemeinschaft nicht gehabt hätte.
Frage: Gab es komischen Reaktionen?
Müller: Dumme Kommentare gab es schon mal nach einem Gottesdienst wegen meiner Haarfarbe. Ich hatte immer schon ein Faible für gefärbte Haare. Das hat interessanterweise damals aufgehört, als ich gesagt habe, dass ich jetzt Jonas heiße.
Frage: Wenn Sie am Altar stehen, was geht Ihnen da durch den Kopf?
Müller: Ich denke, dass Gott mit mir einverstanden ist, so wie ich bin. Sonst hätte er mich nicht so erschaffen. Ich gehe sonntags in die Kirche, denn ich will als Oberministrant auch ein Vorbild für die Jüngeren sein. Sie sollen sehen, dass ich mich zeige, so wie ich bin. Die meisten wissen allerdings nicht mehr, dass ich einmal einen weiblichen Namen hatte.
Frage: Was wäre Ihr Wunsch?
Müller: Ich will zeigen, dass man auch in der Kirche positive Erfahrungen machen kann, wenn man zu sich selbst steht. Vielleicht kann ich damit auch andere Kinder oder Jugendliche ermutigen, diesen Schritt zu tun. Ich wurde nicht rausgemobbt, weil ich transsexuell bin. Ich bin noch immer in der Kirche aktiv und das mit Begeisterung. Für die Menschen, mit denen ich in der Gemeinde zu tun habe, war die Veränderung meines Geschlechts kein Problem. Ich habe mich bei den Ministranten und auch im Kirchengemeinderat immer gut aufgehoben gefühlt. Ich weiß, dass das nicht bei allen so ist, die transsexuell sind. Es wäre aber schade, wenn jemand deshalb aus der Kirche austritt, nur weil andere ein Problem damit haben.