Bekannte Bibelstellen beträfen nicht Homosexualität im heutigen Sinn

Rothe: Die Bibel ist kein homophobes Buch

Veröffentlicht am 27.04.2022 um 11:30 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Verurteilt die Bibel Homosexualität? Der Münchner Priester Wolfgang F. Rothe hat dieser häufig vertretenen These nun widersprochen. Homosexualität im heutigen Verständnis sei zur biblischen Zeit gar nicht bekannt gewesen.

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Der Münchner Priester Wolfgang F. Rothe sieht in der Bibel kein homophobes Buch. "Es gibt einige wenige Bibelstellen, die immer wieder angeführt werden, um zu belegen, dass Homosexualität für Gott ein Gräuel sei. Nur werden diese Bibelstellen in aller Regel komplett falsch verstanden und in einen neuen Zusammenhang gestellt", sagte Rothe am Dienstag in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung". Das Phänomen Homosexualität als etwas, das zur Identität, zur Person dazugehöre, sei zur biblischen Zeit gar nicht bekannt gewesen. "Man ist in der damaligen Zeit davon ausgegangen, dass es sich um eigentlich heterosexuelle Personen handelt, die aus einer Perversion heraus homosexuelle Handlungen begehen. Man hat das Phänomen überhaupt nicht verstanden", so der Priester, der sich seit langem für die Rechte Homosexueller in der katholischen Kirche engagiert.

Die meisten dieser Bibelstellen beträfen nicht Homosexualität im heutigen Verständnis, sondern beschrieben Missbrauch, Prostitution oder die in der Antike gängige Praxis der Vergewaltigung männlicher Gefangener. "Das wird in der Bibel mit gutem Grund verurteilt. Aber zum Thema homosexuelle Orientierung, Liebe oder Partnerschaft findet sich in der Bibel nichts" so Rothe weiter. Zugleich warf er dem Vatikan vor, die entsprechenden Bibelstellen, die sich auch im Katechismus der katholischen Kirche fänden, zur Begründung einer homophoben Haltung heranzuziehen und "die nahezu einhelligen Erkenntnisse der Bibelwissenschaft" zu ignorieren.

Dennoch betonte der Geistliche, dass die "große, lange Tradition der Kirche" keine Homophobie kenne: "Sie hat sie zwar mitgemacht, aber nicht selbst hervorgebracht. Die Kirche hat schlichtweg darin versagt, sich schon früher, als Staat und Gesellschaft einhellig homophob waren, diesen Tendenzen entgegenzustellen und diesen Minderheiten Schutz zu bieten." Damit habe die Kirche schwere Schuld auf sich geladen und deshalb heute umso mehr die Verpflichtung, ihre falsche Haltung zu verändern. Diese Veränderung sei auch bereits im Gange, die Gesprächskultur in der Kirche habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert. "Dafür hat einerseits Papst Franziskus gesorgt, aber auch die deutschen Bischöfe, die mit dem Synodalen Weg dafür gesorgt haben, dass diese Themen auf den Tisch kommen und auf dem Stand der neuesten humanwissenschaftlichen und theologischen Erkenntnisse diskutiert werden." Dennoch sei es noch ein langer Weg, und Papst Franziskus habe viele Hoffnungen geweckt, die er leider noch nicht erfüllt habe. (stz)