Seit zehn Jahren gibt es in der Eifel ein Kulturprogramm

So will Klausen ein moderner Wallfahrtsort sein

Veröffentlicht am 30.04.2022 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Klausen ‐ Klassische Pilgerfahrten sind nicht für jeden etwas. Im Wallfahrtsort Klausen hat man sich deshalb schon vor zehn Jahren ein Rahmenprogramm einfallen lassen. Die beiden Köpfe dahinter verraten im katholisch.de-Interview, wie sie auf die Menschen zugehen – und was keinen Platz in ihrer Kirche hat.

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Seit fast 600 Jahren pilgern Menschen in den kleinen Eifelort Klausen in der Nähe von Trier zur heiligen Maria. Seit nun zehn Jahren gibt es zusätzlich zur Wallfahrt auch ein Kultur- und Unterhaltungsprogramm, das komplett ehrenamtlich organisiert wird. Zum Jubiläum werfen Wallfahrtsrektor Pater Albert Seul und Veranstaltungskoordinator Tobias Marenberg im Interview einen Blick zurück und in die Zukunft.

Frage: Pater Albert, Herr Marenberg, warum braucht es ein Veranstaltungsprogramm an einem Wallfahrtsort. Ist das Heilige nicht genug?

Pater Albert: Sicher ist die Wallfahrtskirche ein Ort, der Heiliges ausstrahlt, ein Kraftort. Aber das Heilige, das von diesem Ort ausgeht, kann auch über diejenigen hinaus getragen werden, die sowieso schon kommen und sich von dem traditionellen kirchlichen Angebot angesprochen fühlen.

Marenberg: Als wir dieses Programm vor zehn Jahren ins Leben gerufen haben, wollten wir Kirche für die Menschen anders und modern erlebbar machen. Wir sind hier als traditioneller Wallfahrtsort oft mit einer vollen Kirche gesegnet und insofern nicht repräsentativ für die Kirche im Jahr 2022. Schon 2012 haben wir trotzdem sehr früh und antizyklisch gesagt: Wir wollen Kirche attraktiv und anders gestalten. Die Kirche soll nicht nur ein Ort des Gottesdienstes sein, sondern auch ein Ort der Begegnung. Das Miteinander ist wichtig, in der Eucharistie wie im Leben. Deshalb sollte die Kirche auch ein Ort für Themen aus Politik und weltlichem Leben sein.

Frage: Inwiefern haben sich die Wallfahrt und das Kulturprogramm in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Pater Albert: Schon als ich hier angefangen habe gab es ein Format wie die Motoradwallfahrt, bald sind aber auch andere Angebote wie eine Traktorwallfahrt oder eine Tiersegnung dazu gekommen. Wir liegen hier auf dem Jakobsweg und die Jakobspilger spielen mittlerweile eine viel größere Rolle als vorher. Dagegen wird die ganz traditionelle Wallfahrt, bei der eine Gemeinde im Ganzen zu uns kommt, immer weniger. Früher gab es auch wochentags Wallfahrten, das ist inzwischen sehr wenig geworden; es konzentriert sich auf das Wochenende.

Marenberg: Bei unserem Veranstaltungsprogramm "Kultur in der Wallfahrtskirche" haben wir eine sehr dynamische Entwicklung erlebt. Wir haben mit einem Orgelkonzert angefangen und mit den Jahren durch Rückmeldungen und Ideen verschiedene Themen für unser Programm festgelegt: Polit-Talk mit einem bekannten Politiker jedes Jahr, in diesem Jahr ist das Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Dazu kommen Vorträge etwa zur Familienbildung. Ergänzend dazu gibt es Gesprächsabende mit interessanten Persönlichkeiten. Hier hat Pater Albert schon mit Günther Jauch sowie Dr. Carola Holzner, "Doc Caro", gesprochen und Ende Mai wird Reiner Calmund erwartet. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben wir zudem unser Außengelände neu entdeckt und bieten Picknickveranstaltungen mit Konzerten, Buch-Lesungen oder Vorträgen an. Geblieben sind seit Beginn Konzerte mit ganz verschiedenen Arten von Musik. Diese Mischung interessiert die Leute und lockt sie nach Klausen.

Frage: Das kirchliche und das unterhaltende Programm sind vom Umfang her beinahe gleich. Ist das Kulturprogramm nun die Begleitung für die Wallfahrt – oder ist es eher andersherum?

Pater Albert: Die Frage würde ich so nicht stellen. Beides bedingt und befruchtet sich gegenseitig. Uns ist wichtig, dass unser Wallfahrtsort nicht wie andere zu einem Zufluchtsort für Traditionalisten wird. Dieser Entwicklung stellen wir uns hier bewusst entgegen, auch mit dem Kulturprogramm. Wir sind hier nicht Maria Vesperbild 2.0. Wir sind ein moderner Wallfahrtsort. Die Wallfahrt ist für mich eine Begegnung von Himmel und Erde, von Gott und Mensch sowie Mensch und Mensch. Dafür stehen Gottesdienste und traditionelle Wallfahrtsandachten – die wir aber mit eigenen Texten ins 21. Jahrhundert holen. Wir haben eigene Andachtshefte entwickelt, damit auch in der traditionellen Form der Andacht der Blick nicht zurück, sondern nach vorne geht. Auch mit dem Kulturprogramm versuchen wir, Kirche zu verheutigen und nicht in alte Zeiten zu verfallen. Wir sind kein geistiges Phantasialand.

Bild: ©picture alliance/Goldmann

Die Wallfahrtskirche Maria Heimsuchung in Klausen gilt als bedeutendster Bau der Spätgotik in der Südeifel und im Moseltal.

Frage: Können Menschen durch das Kulturprogramm die Wallfahrt neu für sich entdecken?

Pater Albert: Das ist nicht messbar. Aber wir bemerken schon, dass zu den Gottesdiensten, gerade zum Hochamt sonntagsmorgens, Leute von außerhalb kommen, die innerhalb der konservativen Wallfahrtsliturgie moderne Inhalte erwarten – sicher auch durch Impulse des Kulturprogramms. So machen wir hier Glaube und Kirche für die Menschen relevanter.

Marenberg: Wir sind heutzutage alle etwas eventgesteuert. Wenn immer nur das gleiche passiert, ist das für die meisten Menschen nicht so interessant. Deshalb muss man sich immer etwas Neues überlegen. Am Palmsonntag dieses Jahr hatten wir zum Beispiel zwei Esel am Start, um die Geschichte lebhaft zu machen. Das war der erste Sonntag, an dem die Corona-Auflagen zurückgenommen wurden – und die Kirche war so voll wie vor Corona. Es muss also gar nicht viel gezaubert werden, aber die Kirche muss etwas schaffen, was sie nicht gut kann: Gutes Eigenmarketing, die Nutzung von Social Media und sich an Neues anpassen. Der Glaube verändert sich, auch bei den Kirchenbesuchern. Das Konsumieren eines Gottesdienstes wird in zehn Jahren noch weniger stattfinden als heute. Es wird neue Wege geben, Glaube zu leben und zu erfahren. Was wir hier erreicht haben: Wir sind nicht nur Botschafter des Glaubens, sondern in unserer Region auch Botschafter für die ganze Kirche und touristisch gesehen für die ganze Region. Der Kirche fehlt oft der Mut, mal etwas auszuprobieren. Wir haben das hier einfach gemacht und das hat sich mit großer Dynamik sehr positiv entwickelt. Wir präsentieren uns mittlerweile als Kirche auch beim Familiennachmittag im Kino – wir werden also von den Menschen gut angenommen und erreichen neue Zielgruppen. Was wir ausprobiert haben, das können andere Pfarreien auch – man muss einfach mal versuchen, einen neuen Schritt zu wagen.

Frage: Es muss also auch eine Wallfahrt zu einem Event werden?

Pater Albert: Ja, da ist ja auch erst einmal nichts Schlimmes. Jeder Gottesdienst soll insofern ein Event sein, als dass er die Menschen verändert, transformiert. Ein Event bedeutet mehr als nur Konsum einer Veranstaltung, auch ein Konzertbesucher wird durch die Musik in einem Raum mit anderen Menschen verändert. Ähnliches gilt für die Veranstalter und die Künstler. Sie alle sind nach einem Event andere Menschen als vorher. Deswegen stelle ich mich gar nicht gegen den Event-Begriff. Wir sprechen in der Theologie doch auch vom Christus-Ereignis, deswegen muss sich die Kirche Events auch mehr öffnen, wie sie das etwa mit den Weltjugendtagen versucht.

Bild: ©Franz Peter Wasser

Pater Albert Seul im Gespräch mit TV-Moderator Günther Jauch.

Frage: Besteht dann aber nicht die Gefahr, dass bei den ganzen Events die Besinnung etwas auf der Strecke bleibt?

Pater Albert: Ich bin Dominikaner und der heilige Dominikus hat immer davon gesprochen, dass die Besinnung einen Menschen verändern soll. Das ist doch genau das, was wir mit unseren Events auch wollen. Wer bei uns zu einem Polit-Talk oder einem Vortrag über Familie und Lebensführung kommt, geht verändert wieder heraus. Diese Veränderung spüre ich auch bei unseren Ehrenamtlichen: Diese Gruppe hat als "Fleißige Hände" bei den Veranstaltungen angefangen, mittlerweile ist das eine fest zusammengeschweißte Gemeinschaft, die sich als Mitträger unseres Programms versteht. Auch da hat also eine Transformation stattgefunden.

Frage: Wenn wir auf die nächsten zehn Jahre und eine sich weiter säkularisierende Gesellschaft schauen – was muss sich da im Programm tun?

Marenberg: Der Glaube ist eine gute Nachricht – sie muss aber für jede Generation und jede Zielgruppe neu verpackt werden. Hier bei uns in Klausen hat es in den vergangenen zehn Jahren immer Impulse gegeben. Wir sprechen mit vielen Menschen und vernetzen uns mit vielen Menschen. Von diesen Ereignissen und Erfahrungen lassen wir uns gern leiten. Es gibt nicht das eine Konzept für die nächsten Jahre. Es verändert sich noch viel, allein schon mit Blick auf die Pfarreistruktur. Wir müssen weiter mit den Menschen in den verschiedenen Gremien hier vor Ort sprechen und die unterschiedlichen Positionen einholen. Denn natürlich gibt es auch hier Konservative, die mit unseren Ideen nicht immer etwas anfangen können. Auch da müssen wir das Gespräch suchen, damit wir unsere Kirche auch in der Zukunft halten können.

Frage: Pater Albert, gäbe es etwas, dass nicht in der Kirche stattfinden dürfte?

Pater Albert: Da haben wir schon viel experimentiert und dabei gelernt. Wir hatten zum Beispiel mal einen Auftritt von Guildo Horn in der Kirche. Heute würden wir ihn eher auf der Wiese davor auftreten lassen, das passt besser zu seinem Format. Doch auch er hat seine Show in der Kirche anders gemacht als in einer Konzertarena – auch hier hat also wieder eine Transformation stattgefunden. Die Kirche ist allein als Raum mit einer Aura ein wichtiger Mitspieler in unserem Projekt. Aber beim Umgang mit einem heiligen Ort wie dem unseren ist immer Fingerspitzengefühl angesagt. Womit ich Probleme hätte, wäre beispielsweise, einen AfD-Politiker oder andere Extremisten in die Kirche einzuladen. Menschenverachtende Ansichten haben bei uns keinen Platz. Kein Problem hätte ich dagegen mit einem Atheisten, mit dem wir in unserer Kirche diskutieren - solange das nicht aus dem Ruder läuft. Aber da verlasse ich mich auf mein Gottvertrauen. Die heilige Muttergottes ist bei uns auf ganz besondere Weise präsent. Die weiß schon, was sie mit ihrer Wallfahrtskirche machen lässt und was nicht.

Von Christoph Paul Hartmann