Gott braucht keine Helden, sondern Hirten
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Impuls von Schwester Anne Kurz
"Es ist was es ist, sagt die Liebe" – so heißt der Kehrvers eines Gedichts von Erich Fried. Das klingt nüchtern – doch wer die Zeilen kennt, weiß, dass diese Worte aus dem tiefen Inneren stammen, dorther wo die Liebe neu aufsteht. Die Stimmen der Vorsicht, des Stolzes und der Berechnung warnen: Zu lieben wird ins Unglück führen, lächerlich werden lassen und Schmerz bedeuten. Dem widerspricht das Gedicht nicht. Keine Argumente werden ins Feld geführt. Doch kehrt der Vers immer wieder, der auch am Ende steht: "Es ist was es ist, sagt die Liebe."
Nüchtern und leidenschaftlich – so zeigt sich Jesus im heutigen Evangelium. Er offenbart sich als "guter Hirt". Schon im Ersten Testament wird vom Hirten ungewöhnlich kraftvoll gesprochen. David, der für seinen Vater die Schafe gehütet hat, sagt von sich: "Wenn ein Löwe oder ein Bär kam und ein Lamm aus der Herde wegschleppte, lief ich hinter ihm her, schlug auf ihn ein und riss das Tier aus seinem Maul. Und wenn er sich dann gegen mich aufrichtete, packte ich ihn an der Mähne und schlug ihn tot." Wir bekommen einen Eindruck von der Gefährdung und davon, wie die Liebe Stärke über sich selbst hinaus verleiht. Beim Propheten Ezechiel spricht Gott selbst: "Ich, ich selber werde meine Schafe weiden und ich, ich selber werde sie ruhen lassen." In Jesus erkennen wir Gott, den Hirten. Er durchschreitet die Nüchternheit des Todes: "Es ist was es ist" – diese vom Leid gezeichnete Welt, die fliehenden Jünger, die Grausamkeit des Kreuzes. Der Hirte ist zerschlagen. Doch inmitten der Nacht des Nichts steht die die Leidenschaft auf und bricht neue Bahnen. "Es ist was es ist": Eine Welt, die bis zur Vollendung geliebt ist. Niemand kann uns den Händen dieses Hirten entreißen.
Heute am Sonntag des guten Hirten wird weltweit um Berufungen gebetet. Alle Menschen haben Anteil daran, "Pastor" - das bedeutet Hirt/Hirtin – zu sein. Wir tun das nicht aus eigner Kraft. Wir würden in der Ernüchterung stecken bleiben. Es ist ein langer Weg von der zerschlagenen Hoffnung dahin Apostel des auferstandenen Herrn zu sein. Doch der Auferstandene sucht und besucht wie ein Hirte jedes seiner Schafe und führt sie ins Leben. Vor kurzem las ich meiner sterbenden Tante dieses Gedicht und das Lied des Paulus "die Liebe hört niemals auf" vor. Angesichts des Todes fiel ein neues Licht auf diese Worte, die Leben und Hoffnung geworden waren. Gott braucht keine Helden, sondern Hirten, die ihr Herz anbieten und den Weg der Liebe gehen, nüchtern und leidenschaftlich.
Evangelium nach Johannes (Joh 10,27–30)
In jener Zeit sprach Jesus:
Meine Schafe hören auf meine Stimme;
ich kenne sie
und sie folgen mir.
Ich gebe ihnen ewiges Leben.
Sie werden niemals zugrunde gehen
und niemand wird sie meiner Hand entreißen.
Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle
und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.
Ich und der Vater sind eins.