Gegen die todbringende Logik des Krieges aufstehen
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Mein Großvater war 18 Jahre alt, als er im Ersten Weltkrieg auf dem Schlachtfeld in Frankreich von einer Granate getroffen wurde und dort liegen blieb. Seine Kameraden hielten ihn für tot und berichteten der Familie meines Großvaters davon. Meine Urgroßmutter ließ eine Todesanzeige verfassen, in der davon die Rede ist, dass es Gott gefallen habe, ihr den Sohn "auf dem Felde der Ehre" zu nehmen. Doch mein Großvater hatte überlebt. Französische Soldaten hatten ihn gefunden und gesund gepflegt. Er kam lebend, aber mit nur einem Bein nach Hause zurück. Uns Kindern zeigte er immer seine eigene Todesanzeige, die er auch bei sich trug, als er im Februar 1945 mit seiner Familie aus der oberschlesischen Heimat flüchten musste. Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt.
In diesem Jahr fallen der Muttertag und der Tag, der an das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945 erinnert, auf einen gemeinsamen Termin. Und es ist der Vierte Ostersonntag. Der Platz der Kirchen an diesem Muttertag ist an der Seite der Frauen, die Anzeigen für ihre Kinder verfassen müssen, die in sinnlosen Kriegen getötet werden. Die Botschaft an diesem Jahrestag des Kriegsendes ist, dass es Gott zu keinen Zeiten gefallen hat, dass Jugendlichen mit 18 Jahren im Krieg ihr Leben genommen wird oder dass sie mit 12 Jahren aus ihrer Heimat flüchten müssen. Die Aufgabe der Kirchen an diesem Ostersonntag ist es, mehr denn je gegen die todbringende Logik des Krieges aufzustehen. Das bedeutet auch, einem Patriarchen die Stirn zu bieten, der den Krieg religiös verbrämt. Es bedeutet, Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zu zeigen und gleichzeitig die Skepsis gegen eine weitere Aufrüstung lebendig zu halten.
Die Todesanzeige, die meine Urgroßmutter für ihren Sohn aufgegeben hat, wird in unserer Familie immer noch aufbewahrt. Hätten ihn die verfeindeten Soldaten nicht gerettet, würde ich heute nicht existieren. Vielleicht geht es an diesem 8. Mai vor allem darum, in den Kirchen das Bewusstsein für dieses manchmal so sonderbare, wertvolle und oft so widersprüchliche Leben zu wecken und weiter gegen den Tod anzufeiern.
Der Autor
Burkhard Hose ist Hochschulpfarrer in Würzburg.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider.