Wenn Passionsspiele mehr Botschaft rüberbringen als die Kirchen
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Am Sonntag haben im oberbayerischen Oberammergau die Passionsspiele begonnen. Bis zum 2. Oktober werden rund eine halbe Million Menschen das fünfstündige Stück in über 100 Aufführungen gesehen haben. Zum vierten Mal führt Christian Stückl Regie. Die Passion sei eine Chance, hat er kurz vor dem Start gesagt. "Den Kirchen hört ja keiner mehr zu. Wir spielen Theater – jenseits der Hierarchien und ihrer Skandale." Die Heilsgeschichte in den Händen von 1.400 Laien, die sich alle zehn Jahre quasi den heiligen Stoff selbst überziehen. Nicht zuletzt, nachdem sie auch miteinander um Sinnspitzen und Aktualität der Geschichte gerungen haben. 2010 habe Kardinal Marx bei ihm gesessen, erzählte der Intendant. Er habe geklagt, "dass nichts vorangehe bei der Aufklärung und Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Und zwölf Jahre später ist immer noch nichts aufgeklärt und aufgearbeitet", so Stückl weiter, den die FAZ kürzlich den "Berserker von Oberammergau" genannt hat. Ihm falle da nur der Satz aus dem Matthäusevangelium ein: "Das Reich Gottes wird von euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die Früchte des Reiches Gottes bringt." Wenn die Kirchen für das Aufregende ihrer Botschaft keinen Ausdruck mehr finden, muss halt das Theater ran. Oder wie neulich bei RTL in der Produktion "Die Passion" das Fernsehen.
Das muss nicht schlecht sein. Die Passionsspiele bringen mit den kraftvollen Mitteln des Theaters die Universalität der biblischen Botschaft neu ins Bewusstsein: Wut auf etablierte religiöse und politische Eliten. Pragmatische Solidarität mit Armen, Geflüchteten und Ausgegrenzten. Die Kraft der Hoffnung, wenn am Ende eine einsame Feuerschale auf der Bühne steht, an der Maria Magdalena ihre Kerze entzündet. "Die wesentlichen Aspekte des christlichen Glaubens (…) werden in keiner Kirche der Welt so konzentriert zum Ausdruck gebracht, wie auf der Theaterbühne von Oberammergau. Emotional, ergreifend und echt", hat der Journalist Benjamin Lassiwe die Premiere kommentiert. Ermattete Kirchen haben zum Glück nicht das Copyright auf die Geschichte Jesu. Doch das ist die gute Nachricht: Wo immer sie zum Glänzen gebracht wird, vermag sie Menschen nachhaltig zu berühren.
Der Autor
Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.Hinweis
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