Betroffener kritisiert Umgang mit Anträgen zur Anerkennung des Leids
Reinhold Harnisch, Sprecher der im Februar eingerichteten Betroffenenvertretung im Erzbistum Paderborn, hat den Umgang der katholischen Kirche mit Anträgen von Missbrauchsbetroffenen zur Anerkennung ihres Leids kritisiert. "Leider ist gerade das bislang ein entwürdigendes Verfahren, das viele Betroffene retraumatisiert und das Leid verstärkt", sagte Harnisch am Donnerstag in einem Interview der Paderborner Kirchenzeitung "Der Dom". Die unabhängige Kommission, die bundesweit über die Anträge von Betroffenen entscheide, verlange Detailinformationen der Verbrechen von den Betroffenen, was immer wieder alte Wunden aufreiße. "Wenn dann nach frühestens eineinhalb Jahren ein lapidarer Bescheid eintrifft: 'Sie erhalten die Summe X. Die Kommission nimmt Anteil an Ihrem Leid.' – sind viele erst mal tief verletzt", so Harnisch.
"Willkür und Unfähigkeit zur persönlichen Einlassung"
Man erfahre nicht, warum welche Summe festgesetzt worden sei und könne dies nur "als Willkür und Unfähigkeit zur persönlichen Einlassung" deuten. "Es ist erneut erniedrigend und so setzt sich fort, dass man wieder nicht ins Gespräch kommt und man wieder nicht erfährt, warum was entschieden wird", kritisierte der Betroffenenvertreter. Manche Betroffenen bekämen zudem durch den Stil des Schreibens das Gefühl, dass der Missbrauch der Prostitution gleichgestellt werde. "'Jetzt werde ich im Nachhinein noch dafür bezahlt', sagen mir Betroffene", so Harnisch, der als Kind in den 1960er Jahren vom damaligen Leiter des Paderborner Domchors missbraucht wurde.
Harnisch kritisierte weiter, dass viele der heute Verantwortlichen in der Kirche ihrer besonderen Verantwortung nicht gerecht würden. "Aber auch die gesamte Gesellschaft muss einfach bereit sein, die Dinge, die geschehen sind, wahrzunehmen und zu fragen, was können wir tun, um das in Zukunft zu verhindern", betonte der gelernte Diplom-Verwaltungsbetriebswirt. Dies gelte nicht nur für die Kirche – die aktuellen Missbrauchsfälle zeigten deutliche Missstände auf, die nur gesamtgesellschaftlich zu lösen seien: "Die Frage nach der Schuld stellt sich für viele Betroffene erst sekundär. Die meisten Täter sind inzwischen verstorben, auch viele Betroffene sind verstorben oder im hohen Alter."
Harnisch wünscht sich aktivere Rolle des Erzbistums
Harnisch mahnte, mit der weiteren Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nicht mehr lange zu warten: "Viele Betroffene haben die Hoffnung, dass sie noch zu Lebzeiten zumindest einen Teil der Aufarbeitung erfahren – manche sind so krank oder in fortgeschrittenem Alter, dass ein Aufschub einfach nicht mehr akzeptabel ist." Hier würde er sich auch eine aktive Rolle der im Erzbistum Paderborn Verantwortlichen wünschen. "Dieses Abwarten auf die Ergebnisse der Studie ist meiner Meinung darin begründet, dass der Erzbischof sich über seine Amtszeit hinwegretten will. Was vertut er sich damit, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen", fragte Harnisch.
Die Universität Paderborn arbeitet seit 2020 im Auftrag des Erzbistums an einer unabhängigen Studie über Missbrauchsfälle in der Erzdiözese zwischen 1941 und 2002, der momentane Erzbischof Hans-Josef Becker trat sein Amt 2003 an. Ein erstes Zwischenergebnis hatte den früheren Paderborner Erzbischöfen Lorenz Jaeger und Johannes Joachim Degenhardt im Dezember vergangenen Jahres für den Untersuchungszeitraum gravierendes Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchstätern unter den Geistlichen attestiert. Die beiden Erzbischöfe hätten Beschuldigte geschützt und ihnen teils auch schriftlich Mitgefühl bekundet; Betroffenen gegenüber hätten die Kardinäle dagegen keine Fürsorge gezeigt. (stz)