Mit Kindern Gott begegnen
Frage: Professor Biesinger, gerade läuft die außerordentliche Familiensynode im Vatikan. Glaubensweitergabe in der Familie ist dort ein wichtiges Thema. Was sollten die Synodenteilnehmer aus ihrer Sicht hier angehen?
Biesinger: Die Überlegungen im Instrumentum laboris, in der Arbeitsvorlage für die Synode, sind dazu schon ziemlich gut. Vertiefen müsste man: Gott berührt Eltern in ihrem Kind. Die Familie ist zentraler Ort der Gotteskommunikation. Die Synode sollte verdeutlichen, wie das konkret gehen kann. Eltern sind sehr wohl in der Lage, ihr Kind religiös zu begleiten, wenn sie selbst entsprechend begleitet werden, das haben auch unsere Forschungen gezeigt. Die Förderung religiöser Erziehungskompetenz sollten Gemeinden dringend intensivieren. Viele Eltern sind dafür dankbar.
Frage: Im Arbeitsdokument wird besonders deutlich eine mangelnde Kenntnis der heiligen Schrift und mangelnde Kenntnis der Texte des Lehramtes angesprochen. Sind das für sie die zentralen Punkte?
Biesinger: Nein, das ist nicht das Hauptproblem. Das eigentliche Problem ist viel dramatischer, nämlich wie die nachwachsende Elterngeneration überhaupt noch motivierbar ist und lernt, ihre Kinder religiös zu erziehen. Es geht darum, wie die großen Verheißungen Gottes in der Familie konkret werden können. Die Familie ist der Ort der Gotteskommunikation, entweder da läuft etwas – oder es läuft nichts. Wenn man das nur dahingehend problematisiert, dass die Vermittlung der Enzyklika Humanae vitae zu schwach gewesen sei oder das Naturrecht nicht verstanden werde, dann geht das am Problem junger Eltern mal wieder komplett vorbei. Die fragen sich vielmehr: Wie können wir unser Kind überhaupt christlich erziehen? Wie ist Gott konkret im Alltag spürbar?
Frage: Und was antworten Sie?
Biesinger: Rituale sind dafür hilfreich: Segnen sie ihr Kind, wenn es morgens aus dem Haus geht. Am Abend vor dem Einschlafen gehen Sie mit ihrem Kind nochmal den Tag durch - "Was war heute schön – was war nicht so schön?" - vertrauen Sie den Tag gemeinsam Gott an. Viele Kinder haben große Glaubensfragen und motivieren damit viele junge Eltern, aber auch Großeltern, sich selbst mit dem Glauben vertieft zu beschäftigen. Kinder sind so oft entscheidende "Engel am Wege" für ihre Eltern.
Frage: Wie können die Eltern darin unterstützt werden?
Biesinger: Wir haben bei der Erstkommunionvorbereitung das lateinamerikanische Konzept "Familienkatechese" auch für den deutschsprachigen Raum weiterentwickelt. Bei uns hat man viel zu lang darauf gesetzt, vorwiegend die Kommuniongruppenbegleiterinnen auszubilden, anstatt alle Eltern auf dem Weg zur Erstkommunion kreativ und wirksam zu begleiten. Wir geben dagegen allen Eltern unser "Familienbuch – Gott mit neuen Augen sehen" in die Hand und motivieren sie, jede Woche mit dem Kind einen Themenbaustein zu lesen, zu malen, besprechen, so zum Beispiel "Wandlung und Verwandlung" oder "Versöhnung". Die Eltern bekommen damit Unterstützung in die Hand, in der eigenen Familie – wie auch immer sie unterwegs ist - regelmässig selbst das Kind auf dem Weg zur Erstkommunion zu begleiten. Das geht, weil wir die Eltern offensichtlich richtig motivieren und anleiten.
„Manche begreifen bis heute nicht, dass Eltern auch Erwachsene sind! Familienkatechese ist immer auch Elternkatechese und damit eindeutig Erwachsenenkatechese.“
Frage: Sie sagen "wir" – sprechen Sie von Ihrer wissenschaftlichen Arbeit oder ihrer Tätigkeit als Diakon in der Gemeinde?
Biesinger: Beides. In Bühl/Baden gibt es Familienkatechese seit vielen Jahren, viele junge Menschen sind in der Gemeinde, sehr viele Kinder bleiben nach der Erstkommunion in der Jugendarbeit. Auch in der Domgemeinde St. Martin in Rottenburg am Neckar habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Das ist also nichts vom grünen Tisch.
Wir haben aber auch beeindruckende Forschungsergebnisse: Bei Eltern und Kindern, die mit unseren familienkatechetischen Materialien zur Erstkommunion begleitet werden, steigt das Vertrauen in die Kirche sowohl bei den Kindern als den Erwachsenen signifikant. Viele Modelle, die die Eltern nicht ins Boot holen, zeigen weniger oder gar keine Wirkung.
Frage: Hat das einen Niederschlag in der Synoden-Vorbereitung gefunden?
Biesinger: Es wird schon. Im Instrumentum laboris kommt Familienkatechese zwar noch zu wenig vor. Es gibt jedoch Bischöfe, die das Thema auf der Synode auf jeden Fall aufs Tapet bringen werden - vermutlich aber intensiver erst bei der Synode im nächsten Jahr.
Frage: Familienkatechese ist aus Ihrer Sicht also auch für die gesamte Kirche der richtige Weg?
Biesinger: Ja, das Konzept "Erstkommunion als Familienkatechese" wird bereits jetzt weltweit umgesetzt. Weit über 200.000 Exemplare unseres Familienbuchs sind in Familien angekommen bei uns, aber auch weltkirchlich von Mailand bis Peking und Taiwan. Familienkatechese wird nach meiner Einschätzung das Grundmodell der Katechese sein. Weil es gar nicht mehr anders geht und die Kinder ohne ihre Familien gar keine Chance mehr haben, zum kirchlichen Gottesglauben zu kommen.
Frage: In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren oft der Schwerpunkt auf Erwachsenenkatechese gelegt. Wäre hier ein Umdenken angesagt?
Biesinger: Manche begreifen offensichtlich bis heute nicht, dass Eltern auch Erwachsene sind! Familienkatechese ist immer auch Elternkatechese und damit eindeutig Erwachsenenkatechese. Wir erreichen in einem Kommunionjahrgang über fünfzig Prozent der Eltern in der Erwachsenenkatechese. Die Eltern lernen dabei, den eigenen Glauben zu vertiefen, manchmal auch neu zu entdecken, wenn sie bei unseren Elterntreffen Wege finden, den Gottesglauben mit ihren Kindern alltagstauglich umzusetzen. Kommunionkatechese ist ebenso wie Taufkatechese in Elterngruppen Erwachsenenkatechese. Die vergleichsweise wenigen Erwachsenen in Deutschland, die wir jährlich taufen, sind für mich keine grosse Herausforderung. Sie sind ja in der Regel hochmotiviert. Aber die Eltern, die seit der Taufe ihres Kindes nie mehr eine Kirche von innen gesehen haben: Denen wieder Glaubensmut zur Gotteskommunikation so zu machen, dass sie ihre Kinder religiös erziehen - das ist die eigentliche große missionarische Herausforderung.