Ein Streifzug durch die Geschichte der Bischöfe von Paris
Der Erzbischof von Paris hat das wohl politischste Kirchenamt in Frankreichs Kirche. Wie politisch und - zumindest in früheren Zeiten - sogar lebensgefährlich, das mussten in knapp zwei Jahrtausenden schon mehrere Hauptstadtbischöfe bitter erfahren. Zur Amtseinführung des neuen Oberhirten Laurent Ulrich am 23. Mai ein kleiner Gang durch die Geschichte.
Schon beim ersten historisch erwähnten Bischof und Stadtpatron von Paris, dem heiligen Dionysius (frz. Saint-Denis), ging es blutig zu. Am Montmartre - dem Hügel der Märtyrer - soll er um 250 während der Christenverfolgung unter Kaiser Decius auf dem Richtplatz sein abgeschlagenes Haupt genommen, es gewaschen und damit sechs Kilometer Richtung Norden gelaufen sein.
In Cattuliacus, wo sich der Geköpfte schließlich niederlegte, steht heute die mittelalterliche Basilika Saint-Denis, Grablege von 32 Königinnen, 42 Königen und fast ebenso vielen Prinzessinnen und Prinzen Frankreichs. Der Chor der früheren Abteikirche gilt als erstes Beispiel der französischen Gotik.
Um den heiligen Bischof Marcellus (Saint-Marcel), gestorben um 436 - jener Zeit, in der sich das Christentum im gallo-römischen Lutetia durchsetzte und die Stadt nach ihren Ureinwohnern, dem keltischen Stamm der Parisier, den Namen "Paris" annahm - ranken sich hübsche Wunderberichte. So soll er etwa glühendes Eisen unversehrt mit der Hand abgewogen und das Wasser der Seine in Wein verwandelt haben. Seine bekannteste Wundertat war die Zähmung eines fürchterlichen Drachens.
Hardouin de Perefixe de Beaumont, Erzbischof von 1662 bis 1671 und einst Hauslehrer und Beichtvater des "Sonnenkönigs" Ludwig XIV., sei hier eigentlich nur wegen seines exquisiten Namens genannt. Doch bald darauf wurde es dann endgültig politisch: Antoine-Eleonor-Leon Le Clerc de Juigne (1728-1811), Hauptstadtbischof seit 1782, musste im Oktober 1789 vor der Revolution nach Savoyen fliehen.
Einer seiner Nachfolger ist ein besonderes Kuriosum: Jean-Baptiste de Belloy, Jahrgang 1709, starb 1808 mit 98 und einem halben Jahr - im Amt. Er wurde erst mit frischen 92 zum Pariser Oberhirten ernannt. Und das kam so: Sein früheres Bistum Marseille, einer der ältesten Bischofssitze des Landes, war im Zuge der Revolution 1791 aufgehoben worden. Als Papst Pius VII. auf Verlangen Napoleons 1801 die Bischöfe des Ancien Regime um ihren förmlichen Amtsverzicht bat, gehorchte de Belloy als erster; die meisten anderen folgten.
Aus Dankbarkeit machte Napoleon den 92-jährigen "Bürger Debelloi" 1802 zum Erzbischof von Paris; 1803 erhielt er den Kardinalshut. Trotz seines biblischen Alters verwaltete de Belloy die Kirche von Paris mit Energie - und regierte bis zu seinem Tod. Mit 36.038 Lebenstagen war er bis vor wenigen Jahren der älteste Kardinal aller Zeiten.
Pariser Erzbischöfe leben gefährlich
Denis Affre war das nicht beschieden. Erzbischof seit 1840 und bis dahin streng nationalkirchlich ("gallikanisch") gesinnt, wandte er sich in der Frage der Unterrichtsfreiheit gegen den König und schloss sich 1848 der Februarrevolution an. Nunmehr Anhänger der Zweiten Republik, fand er am 27. Juni, mit nur 54 Jahren, den Tod, als er im Juniaufstand die Barrikaden bestieg - um Frieden zu stiften.
Nur gut zwei Jahrzehnte später erneut ein getöteter Oberhirte: Am Abend des 24. Mai 1871 wurde Georges Darboy von aufständischen Kommunarden erschossen. Die Kirche stand damals in der revolutionären Auseinandersetzung um Paris im bürgerlich-konservativen Lager der Übergangsregierung und gegen die linke "Pariser Kommune".
Nach seiner Rückkehr vom Ersten Vatikanischen Konzil - wo sich der Pariser Erzbischof klar gegen eine Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit und also gegen Papst Pius IX. positioniert hatte - im Sommer 1870 blieb Darboy in der aufgewühlten Stadt; sowohl während der deutschen Belagerung im Deutsch-Französischen Krieg als auch nach dem Aufstand der "Kommune" Mitte März 1871.
Im April wurde Darboy, ein Günstling von Kaiser Napoleon III., als Geisel zum Austausch gegen gefangene Kommunarden genommen. Am Ende des "blutigen Mai" schließlich, als von außen Regierungstruppen auf eine Rückeroberung der Stadt drängten, wurde er gemeinsam mit dem Leiter des Kassationsgerichtshofs sowie vier weiteren Geistlichen im Gefängnishof durch Erschießen hingerichtet. Auch in anderer, unblutiger Hinsicht wurde Darboy zum Märtyrer: Papst Pius IX. weigerte sich bis zuletzt hartnäckig, dem vom Pariser Hof geförderten Bischof der Hauptstadt die sonst übliche Kardinalswürde zu verleihen.
Seitdem hat kein Pariser Erzbischof mehr sein Amt mit seinem Leben bezahlen müssen - jedenfalls nicht so... Gleichwohl wird viel von ihnen erwartet: Oberhirte einer sehr eigenwilligen Herde zu sein; zu repräsentieren; qualitätvolle Beiträge in die gesellschaftliche Debatte einzuspeisen; Hochschulen und kirchliches Unterrichtswesen zu lenken, ebenso die Geschicke der weltberühmten Kathedrale Notre-Dame.
Der wohl prägnanteste Pariser Erzbischof des 20. Jahrhunderts, der zuvor jüdische Konvertit Jean-Marie Lustiger (1981-2005), hat in vielen dieser Kategorien Maßstäbe gesetzt. Michel Aupetit (2017-2021) kann das nicht mehr: Der 71-Jährige musste im Dezember seinen Hut nehmen; nominell wegen einer Frauengeschichte, die französische Medien verbreiteten. Laurent Ulrich, bislang Erzbischof von Lille, wird mit gemischten Gefühlen in die Hauptstadt reisen. Um seinen Kopf fürchten muss er aber wohl nicht mehr.