Am Dienstag spricht Papst Franziskus vor dem EU-Parlament

Erwartungen an den Alten Kontinent

Veröffentlicht am 24.11.2014 um 00:00 Uhr – Von Christoph Schmidt (KNA) – Lesedauer: 
Politik

Vatikanstadt ‐ Am Dienstag spricht Papst Franziskus vor dem Europaparlament und dem Europarat. Seine Reden werden mit Spannung erwartet.

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Welche Schwerpunkte wird er setzen? Welches Bild hat das katholische Kirchenoberhaupt aus Argentinien von Europa? Einige Länder hat er früher einmal bereits bereist. Anfang der 70er Jahre studierte er in Spanien, später auch einige Monate in Deutschland, und er besuchte Österreich.

Doch mit expliziten Aussagen zur Lage in Europa hielt sich Franziskus bislang zurück; er nähert sich dem Kontinent sozusagen - programmatisch - von der Peripherie. Seine erste Reise als Papst unternahm er auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa und mahnte dort die reiche Welt zu mehr Aufnahmebereitschaft gegenüber Migranten. Die erste Europareise außerhalb Italiens führte ihn nach Albanien, das muslimisch geprägt und kein EU-Mitglied ist. Orte in Italien selbst, dem Land seiner Vorfahren, dessen Sprache er gut spricht, standen indes schon sieben Mal auf dem Routenplan.

Papst-Rede wurde zum Friedensappell an die ganze Welt

Mit seinem Besuch am italienischen Weltkriegsmahnmal Redipuglia begab er sich im September erstmals an einen Brennpunkt der europäischen Geschichte, auch um die Gefallenen seiner eigenen Familie zu betrauern, wie er hervorhob. Franziskus' Rede kreiste aber nicht um die europäische Tragödie 1914 bis 1945 - aus der das Projekt der Einigung überhaupt erst hervorging -, sondern wurde zu einem Friedensappell an die ganze Welt.

Das Europäische Parlament in Straßburg.
Bild: ©Leonid Andronov/Fotolia.com

Das Europäische Parlament in Straßburg.

Dass dieser Papst europäische Wurzeln mit der Perspektive eines anderen Erdteils verbindet, dürfte bei seiner Wahl im Konklave 2013 auch eine Rolle gespielt haben. In Straßburg spricht er als Vertreter einer Weltkirche, die die Globalisierung deshalb vor allem als Chance für sich sieht, vor den Repräsentanten eines alternden Kontinents, dem im Global Village laut vielen Prognosen die Gefahr eines Abstiegs droht. Dabei dürften besonders jene Themen zur Sprache kommen, die Franziskus seit Beginn seines Pontifikates akzentuiert hat: dezidiert europäische Themen wie die Flüchtlingsproblematik und die Frage nach der Zukunft der Familie bei wachsenden Scheidungsraten und sinkenden Geburtenzahlen. Auch der Lebensschutz gehört in diesen Bereich.

Außerdem hat Franziskus immer wieder die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa kritisiert und ein Gesellschaftsmodell, das alles dem Profit unterordnet. In Straßburg könnte er erneut eine "Kultur des Abfalls" anprangern, in der jeder zweitrangig wird, der nicht ökonomischen Zwecken dient: Kinder, Jugendliche, Alte und Kranke. Inwieweit Franziskus, der Lateinamerikaner, dabei womöglich die spezifisch europäische Idee des Sozialstaats ausdifferenziert, könnte interessant werden.

Franziskus wird eher eine soziale Vision betonen

Sein Vorgänger Johannes Paul II. (1978-2005) hat 1988, weniger als ein Jahr vor dem Mauerfall, in seinen Reden vor Europaparlament und Europarat die politische Vision eines vereinigten Kontinents bis zum Ural betont. Franziskus wird voraussichtlich stärker eine soziale Vision und den ureuropäischen Wert der Menschenrechte betonen.

Seltener und weniger vehement als der Papst aus Polen und vor allem Benedikt XVI. (2005-2013) hat Franziskus bislang vor einem spirituellen Verfall in den Gesellschaften Europas gewarnt. Die Sorge vor einer Verdrängung der Religion aus der modernen Welt stand bei ihm nie so im Vordergrund wie die Sorge um Arme und Benachteiligte.

Zwar schreitet auch in Lateinamerika die Säkularisierung voran. Aber die Entchristlichung weiter Bevölkerungsteile ist wohl nirgendwo stärker als in Europa. Inzwischen dürfte dem Papst aus Buenos Aires diese Situation vertrauter sein. Auch weil der deutsche Kardinal Reinhard Marx einer seiner engsten Berater und gleichzeitig Vorsitzender der EU-Bischofskommission COMECE, ist, die in Brüssel für die katholischen Belange wirbt.

Große Erwartungen an den Papstbesuch

Die Reden des Papstes vor Europaparlament und Europarat werden mit viel Spannung erwartet. Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Flüchtlingsströme im Mittelmeer, eine sich immer weiter zuspitzende politische Situation zwischen der Ukraine und Russland: Politische Themen gibt es genug, die das Kirchenoberhaupt morgen in Straßburg ansprechen könnte. Nach Ansicht von Caritas Europa muss der Papst die Entscheidungsträger in Europa vor allem auf die Benachteiligten der Gesellschaft aufmerksam machen. Seine Rede könne einen Anstoß bieten, "das europäische Projekt zu erfrischen; wieder dran zu denken, wofür es gemacht wurde und auf welchen Werten es basiert", sagte der Generalsekretär von Caritas Europa, Jorge Nuno Mayer, in Brüssel. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) wünscht sich klare Aussagen des Papstes zu Solidarität, die ein Fundament Europas und des christlichen Glaubens seien. Vor allem eine stärkere Solidarität mit Flüchtlingen im Mittelmeerraum sei notwendig, denn "die Kooperation zwischen der Frontex-Operation und Triton ist gut, aber nicht ausreichend", so der JRS. Der Präsident der EU-Bischofskommission COMECE, Kardinal Reinhard Marx, erhofft sich von den bevorstehenden Reden einen Anstoß für Frieden und Aussöhnung. "Er muss auch über den Krieg sprechen, der auf unserem Kontinent ist", sagte Marx, der auch Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist. Daher habe der Besuch des Papstes im Europarat in Straßburg, dem auch Russland und die Ukraine angehören, eine besondere Bedeutung. Die Leiterin des Brüsseler Büros der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Katrin Hatzinger, wünscht sich vom Auftritte des Papstes ein deutliches Zeichen dafür, "dass die Kirchen als gesellschaftliche Akteure der Politik etwas zu bieten haben". Sie könnten ethische Orientierung und Diskurskraft in den politischen Prozess einbringen. "Es wäre schön, wenn es nicht nur bei vereinzelten Besuchen des Papstes bliebe, sondern auch Vertreter anderer Konfessionen und Religionen regelmäßig zu Gast sein würden", so Hatzinger. Der EU-Sozialverband Eurodiaconia hofft auf starke Worte des Papstes zu den Themen Armut und Ausgrenzung. "Das sind die zentralen Themen in der EU, über die gesprochen werden muss", sagte Generalsekretärin Heather Roy. Der katholische Entwicklungsdachverband CIDSE wünscht sich einen starken Impuls zu den Themen Umwelt und Klima. (KNA)
Von Christoph Schmidt (KNA)