Laute und stille Anerkennung
Bei seinem Eintreffen am EU-Parlament wird Franziskus von Parlamentspräsident Martin Schulz begrüßt. Am Flughafen hatten ihn zuvor Frankreichs Umweltministerin Segolene Royal und der Bürgermeister von Straßburg, Roland Ries, in Empfang genommen. Vor seiner Rede im EU-Parlament trifft Franziskus eine alte Bekannte aus Deutschland wieder. Helma Schmidt aus dem rheinland-pfälzischen Boppard war gekommen. Bei ihrer Familie hatte Franziskus 1985 zwei Monate als Untermieter gewohnt, während er einen Deutschkurs am Goethe-Institut besuchte. Die Dame nutzt die wenigen privaten Minuten mit dem Papst zu einem kurzen Austausch.
Kurz vor dem Eintreffen des Papstes im Plenarsaal ist es noch laut. Nur wenige sitzen auf ihren Plätzen, es wird gemurmelt. Parteiübergreifender Applaus, als Franziskus den Saal betritt, Abgeordnete stehen auf und fotografieren ihn mit ihren Smartphones und Tablets. Dann wird es schnell still im Saal - alle lauschen gebannt der Ansprache auf Italienisch, die simultan in 23 Sprachen übersetzt wird.
Lediglich rund 30 Plätze bei den Sozialdemokraten sind leer, vereinzelt hier und da ein Platz bei den anderen Parteien. Eine Handvoll Abgeordneter hat sich regenbogenfarbene Federboas um den Hals gelegt oder auf dem Pult vor sich ausgebreitet. Ein stiller Protest, während der Papst spricht.
Immer wieder Applaus im Plenum, etwa als der Papst verlangt, eine gemeinsame Strategie der EU-Staaten zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems an den Südgrenzen Europas zu schaffen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass das Mittelmeer ein großer Friedhof wird", sagt er. Die Abgeordneten stimmen zu, viele nicken.
Die Fraktion der Grünen applaudiert, als Franziskus die Zukunft der alternativen Energiequellen anspricht. "Jeder trägt Verantwortung bei der Bewahrung der Schöpfung." Und wieder Applaus im Plenum, als er die Verschwendung von Lebensmitteln thematisiert. Immer noch würden jeden Tag Tausende Tonnen Lebensmittel weggeworfen, kritisiert er.
Etwa eine halbe Stunde spricht der Papst. Keine Unruhe, keine Proteste, weder Gemurmel noch Zwischenrufe, wie man es sonst aus den Debatten kennt. Die Parlamentarier lauschen, einige notieren sich Stichpunkte; andere fotografieren oder filmen. Am Ende der Rede zeigt sich der Parlamentspräsident Martin Schulz sichtlich erfreut. "Ich hatte den Eindruck, er hat allen aus dem Herzen gesprochen", sagt er.
Zuvor hatten die Abgeordneten und die Besucher auf der Tribüne mehr als eine Minute stehend applaudiert. Die Rede sei eine Ermutigung für die EU sowie für eine gute Zukunft Europas, sagt Schulz. "Ich glaube, wir haben viele gemeinsame Aufgaben, bei denen uns die Worte von Papst Franziskus helfen". Schulz hatte Franziskus zu dem Besuch im Parlament eingeladen. "Sie sind eine Persönlichkeit, die Orientierung gibt in Zeiten der Orientierungslosigkeit. Dafür sind wir Ihnen dankbar."
Franziskus dreht sich bereits zum Gehen, da bittet ihn Schulz, sich noch einmal den Parlamentariern zuzuwenden. Der Papst geht zurück zum Rednerpult, der Applaus wird lauter, Franziskus lacht und winkt. Dann zieht er weiter - zu seiner zweiten Grundsatzrede im Europarat.