Kirchenlieder sind cool

Wie im Zeitraffer ist an diesem Probennachmittag zu sehen, wie aus zarten, zaghaften Stimmchen der Jüngsten später einmal kräftige, treffsichere Singstimmen werden. Mit ein Grund für den "Run" auf die einzelnen Gruppen dürfte auch Chorleiterin Petra Verhoeven sein. Menschen wie ihr ist es zu verdanken, dass sich katholische Kinder- und Jugendchöre großer Beliebtheit erfreuen.
Seit 16 Jahren kümmert sich die ausgebildete Sopranistin in der Gemeinde um den musikalischen Nachwuchs. Schon bei der Früherziehung in ihrer privaten Musikschule und in der katholischen Kindertagesstätte hält sie, unterstützt von Stoffhase "Muki", beim gemeinsamen Singen, Tanzen und Musizieren Ausschau nach kleinen Talenten.
Die dürfen dann ab einem Alter von fünf Jahren im sogenannten Vorchor mitsingen, wo sie sich noch sehr spielerisch an die Lieder für den Kindergottesdienst annähern. "Wenn die Spaß am Singen haben, dann bleiben sie", so die Erfahrung Verhoevens. Nach einem Jahr können sie dann in den "Kinderchor 1" wechseln, wo sich Grundschüler vom ersten bis dritten Schuljahr einfinden. Auch hier geht es um mehr, als nur den richtigen Ton zu treffen.
Da noch nicht alle Kinder lesen können, müssen sie die Lieder auswendig lernen. Und so erschließt ihnen Verhoeven den Text, indem sie Zeile für Zeile erläutert. "Nimm an unser Gebet", heißt es da - "Beten - macht ihr das auch schon mal? Wie ist das für euch?", fragt die Musikpädagogin. Oder bei der Liedzeile "Du nimmst hinweg die Sünden der Welt" ergänzt Verhoeven: "Da kommt bei uns eine Menge zusammen".
Töne rauf und runter
Dabei ist sie weder Religionslehrerin, Theologin noch Kirchenmusikerin. Doch die 48-Jährige ist aktives Gemeindemitglied und auch im Pfarrgemeinderat aktiv. Und wenn sie dann merkt, dass die Kinder mit den theologischen Begriffen noch nichts anfangen können, dolmetscht sie dem Nachwuchs den Inhalt der geistlichen Lieder - "das gehört dazu", findet sie. Notenlesen und Singen vom Blatt - auch das ist für die jüngsten Sänger noch zu schwer. Die Diplom-Musiklehrerin weiß trotzdem, wie sie den Nachwuchs zu den richtigen Noten verhilft: "Schaut auf meine Hand - ich zeige an, ob die Töne rauf- oder runtergehen."
Schon bei den Jüngsten legt sie Wert auf die richtige Körperhaltung. "Wir sitzen aufrecht, vorne auf dem Stuhl, die Füße auf den Boden", erklärt sie die Mischung aus Stehen und Sitzen. Doch bei den Grundschülern will das "Stitzen" noch nicht so recht klappen, die Stühle sind zu hoch. Und so lassen die Kinder bald wieder ihre Beine im Takt der Musik baumeln. Die Konzentration lässt langsam nach, Unruhe macht sich breit - einen Sack Flöhe zu hüten, erscheint einfacher.
Dennoch sind die Kinder beim Gospel "Er hält die ganze Welt in seiner Hand" wieder mit vollem Körpereinsatz dabei: Bei "in seiner Hand" beschreiben sie mit beiden Arme einen großen Kreis, bei "er hält die Großen und die Kleinen..." recken sich die Hände in die Höhe und nach unten, bei "die Mamas und die Papas" imitieren sie Rühr- und Lenkbewegungen. Kaum ist der letzte Ton verklungen, stürmen die Mädchen und Jungen kurz vor 18 Uhr aus dem Probenraum.
"Ich merke schon, dass sie sich schlechter konzentrieren können, die sind einfach platt", beobachtet die Chorleiterin. Bei Domchören, die mehrmals pro Woche übten, gebe es noch gravierendere Probleme. Die schulischen Belastungen fordern ihren Tribut. Das sieht auch Wolfgang Bretschneider, der Vorsitzende des Allgemeinen Cäcilienverbandes (ACV). 8.071 Kinder seien im Erzbistum Köln derzeit Mitglied in einem Kinderchor, 1.200 Schüler weniger als noch vor zwei Jahren. Er erkennt einen klaren Zusammenhang zur verkürzten Schulzeit. Bretschneider ist alarmiert: "Wenn wir die Kinder und Jugendlichen nicht mehr bekommen, dann wird das auch für die Glaubensvermittlung schwierig".
"sch-f-st-s-k-p-t"
Ein Ziel der Chorarbeit sei es, "in Gottesdienst und Kirche eine Heimat zu finden". Auf dieser Basis könnten junge Menschen später aufbauen. In diesem Sinne hat Petra Verhoeven mit ihren Chören, die dem katholischen Kinder- und Jugendchorverbund Pueri Cantores angeschlossenen sind, bereits gute Aufbauarbeit geleistet.
Derweil hat sich der "Kinderchor 2" mit älteren Grundschülern eingefunden. Zum Einstimmen gibt es ein kurzes Warming-up mit Lautübungen wie "sch-f-st-s-k-p-t" und einem gesungenen "bababa - singsalasing - singlalala...". In dieser Gruppe sind Stimmbildung und deutliche Aussprache schon wichtiger. "Haltet die Noten so, dass ihr über das Blatt schauen könnt", sagt Verhoeven. "Das h von 'heilig" deutlicher - sonst klingt das wie eilig", spornt die Musikerin den Nachwuchs an.
Auch das richtige Luftholen will gelernt sein: "Bitte nicht alle an der gleichen Stelle atmen; ich möchte nicht, dass ein Loch entsteht zwischen 'Namen' und 'unseres Herrn' - "wenn man da überhaupt atmet, dann vor dem 'im'." Wenig später singt der Chor das "Heilig" aus der Deutschen Kinderchormesse zweistimmig. Petra Verhoeven ist noch nicht ganz zufrieden. Trocken meint sie: "Manche machen es schon supertoll, und andere suchen noch nach den Tönen - bitte noch einmal..."
Trotz der peniblen Arbeit sind die Schüler voll bei der Sache. Sie wissen, dass sich die ganze Sache lohnt. Der zwölfjährige Magnus etwa hat mit seinen Chorfreunden schon bei "La Boheme" und "Tosca" in der Düsseldorfer Oper mitgesungen. "Oper macht mega fun", findet der Junge. Linus gefallen vor allem die vielen Ausflüge und Choraktivitäten. Überhaupt ist er ein bisschen stolz dabei zu sein. Mit einem Auftritt an der Oper können seine im Schulchor singenden Mitschüler schließlich nicht mithalten.
Gemeinsamkeit macht Spaß
Sängerin Marie findet die Chorleiterin klasse - "toll, wie sich Frau Verhoeven engagiert", lobt die Zehnjährige. Dabei hat auch das Mädchen ein volles Pensum: "sieben Stunden Schule, anschließend noch Flötenquartett in der Schule, dann mit dem Bus heimfahren, etwas essen. Die Hausaufgaben kann ich manchmal erst nach der Chorprobe machen", rechnet Marie ihr Donnerstagspensum vor.
Inzwischen hat sich der Jugendchor eingefunden. Beim Einsingen vernimmt man einen weiteren stimmlichen Quantensprung; schon jetzt vibriert der Raum dank der kräftigen Stimmen. Gleich das erste Lied "Gott, Deine Güte reicht so weit die Wolken gehen" tragen die jungen Leute mehrstimmig und mit viel Ausstrahlung vor. Kein Wunder, dass der Chor 2012 den 2. Platz beim Mercedes-Chorwettbewerb der Stadt Düsseldorf erreichte.
Als sie noch ein Kind war, hätten alle ihre Freunde im Chor von St. Remigius mitgesungen, erinnert sich die 15-jährige Rebekka. Ein Phänomen, das Chorleiterin Verhoeven nur bestätigen kann: "Wo viele sind, kommen auch viele hin". Rebekkas persönliches Highlight war der gemeinsame Auftritt mit der DSDS-Drittplatzierten Linda Teodosiu. Sind Kirchenlieder nicht ziemlich uncool? "Säkulare Texte sprechen mich nicht an, christliche Texte schon", kontert die junge Frau. Corinna, 18, findet: "Mit anderen zu singen macht einfach mehr Spaß als alleine". Seit fünf Jahren ist sie beim Chor, und ihre beste Freundin singt dort ebenfalls. Ihr haben besonders die Chorreisen nach London und Stockholm gefallen. Außerdem mache der Gottesdienst so "mehr Spaß, als wenn man nur zuhört".
Für Petra Verhoeven liegt die Beliebtheit des Chores auch an dem "attraktiven Drumherum-Angebot" mit Opernauftritten und Reisen ins Ausland. Das sporne die jungen Leute an, sich trotz Nachmittagsunterricht noch rechtzeitig im Probenraum einzufinden - "irgendwie schaffen die das doch noch", freut sich die passionierte Sängerin. Und nicht zuletzt ist es auch die Anerkennung, die Verhoeven und ihre jungen Leute anspornt. Lobende Worte wie die eines Engländers, den der Gesang der jungen Deutschen im vergangenen Sommer in London zu Tränen gerührt hat: "Ihr Chor hatte den schönsten und berührendsten Klang, den ich jemals gehört habe", schrieb er in einem Dankesbrief.
Von Angelika Prauß (KNA)