Der Ethiker Thomas Schwartz ist Mitautor eines Buches über Ehrlichkeit

"Ehrlichkeit ist in"

Veröffentlicht am 25.07.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 5 MINUTEN
Gesellschaft

Augsburg ‐ Kleine Betrügereien im Geschäftsleben, Schummeleien im Privaten: Ist Unehrlichkeit gesellschaftsfähig geworden – oder währt Ehrlichkeit immer noch am längsten? Über diese und andere Fragen sprach katholisch.de mit Thomas Schwartz. Er ist Professor für Angewandte Ethik und Unternehmensethik an der Universität Augsburg, Pfarrer in Mering und Mitautor des Buches "Ehrlichkeit – die zeitgemäße Tugend".

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Frage: Herr Professor Schwartz, Sie und Ihr Mitautor Simon Biallowons haben der Ehrlichkeit ein ganzes Buch gewidmet. Warum liegt Ihnen gerade diese Tugend so sehr am Herzen?

Schwartz: Ich habe immer wieder erlebt, wie sehr Ehrlichkeit befreit, zufrieden macht und Konflikte lösen kann. Das aufzuzeigen, war uns wichtig. Deshalb gibt es in unserem Buch auch viele Geschichten aus dem Alltag. Ein anderer Grund, weshalb mir das Thema am Herzen liegt: Ehrlichkeit wird manchmal als Tugend für Naive und Gutgläubige abgestempelt, die es im Leben zu nichts bringen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Ehrlichen sind die Klugen, und Ehrlichkeit ist nicht nur wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft, sondern auch für das individuelle Fortkommen. Sie ist deshalb gerade heute eine absolut zeitgemäße Tugend.

Frage: Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes ist Ehrlichkeit die Top-Tugend unserer Zeit. Andererseits wird gelogen und betrogen – in der Wirtschaft, in der Politik, im Sport. Besteht da nicht ein Widerspruch?

Schwartz: Nein, denn erstens ist nicht jede Lüge falsch und zu verurteilen. Zweitens könnte gerade die Tatsache, dass wir immer wieder auf Lügen stoßen, ein Grund für die Sehnsucht nach Ehrlichkeit sein. Ehrlichkeit ist in, weil wir sie wirklich brauchen und suchen. Es war uns ein wichtiges Anliegen zu zeigen, dass nicht überall nur gelogen wird. Viele Beispiele in unserem Buch zeigen, dass wir in vielen Situationen selbstverständlich ehrlich sind. Es ist schlimm, in einen Fatalismus zu verfallen und nur noch über die verlogene Welt zu jammern. Das ist nicht ehrlich – nicht der Welt und nicht sich selbst gegenüber.

Bild: ©privat

"Ehrlichkeit ist in, weil wir sie wirklich brauchen und suchen", sagt Thomas Schwartz, Professor für Angewandte Ethik in Augbsurg. Er hat zusammen mit seinem Mitautor Simon Biallowons ein Buch über Ehrlichkeit geschrieben.

Frage: Kaum ein Tag, an dem nicht die Steuerhinterziehung eines Promis oder andere Skandale auffliegen. Sind solche Vergehen gleichzusetzen mit unseren alltäglichen Schummeleien, etwa dem Familienessen, das als Geschäftsessen deklariert wird?

Schwartz: Ehrlichkeit hat nichts mit Rigorismus zu tun. Es gibt Graustufen, ja sogar den Begriff der "grauen" Lüge – lässliche Lügen, die nicht ganz so schlimm sind. Im konkreten Fall handelt es sich bei beiden um Betrug. Das Vergehen ist das gleiche, aber nicht unbedingt dasselbe. Denn der Promi schadet der Gesellschaft rein monetär gesehen mehr. Darüber hinaus hat er eine besondere gesellschaftliche Stellung und damit Vorbildcharakter. Trotzdem macht das den "kleinen" Betrug moralisch nicht besser.

Frage: Authentisch sein bedeutet nicht zuletzt auch, aufrichtig zu sein, sich nicht zu verstellen, mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg zu halten. Steckt das Bedürfnis nach Ehrlichkeit dahinter – oder mangelt es da nicht oft an Einfühlungsvermögen?

Schwartz: Das tut es manchmal mit Sicherheit. Aufrichtigkeit ist ein Teil von Ehrlichkeit, zumindest wenn sie richtig ausgelebt wird. Sie kann aber auch verletzen und ist nicht immer angebracht. Lassen Sie es mich so sagen: Wer um jeden Preis aufrichtig sein will, dem geht es nicht mehr um den anderen und vermutlich auch nicht so sehr um die Wahrheit, sondern nur um sich selbst. Das aber hat mit Authentizität wenig zu tun.

Frage: An Notlügen ist wohl noch niemand vorbei gekommen. Aber sind sie nicht eher barmherzig – und insofern auch keine Sünde?

Schwartz: Prinzipiell ist der Begriff der Notlüge durchaus umstritten. In unserem Sprachgebrauch hat sich häufig eine Verstellung der Notlüge eingeschlichen, die eher an eine Ausrede erinnert – und nicht daran, was sie wirklich bezweckt, nämlich einen anderen zu schonen, nicht zu brüskieren. In diesem Fall kann eine Notlüge barmherzig und sogar verdienstvoll sein. Dient die Notlüge allerdings dem Bedürfnis, keine Konsequenzen für einen Fehler oder ein Versagen übernehmen zu müssen, kann sie sogar egoistisch – und sozusagen unter dem Deckmantel der Sünde – daherkommen.

„Ehrlichkeit wird manchmal als Tugend für Naive und Gutgläubige abgestempelt, die es im Leben zu nichts bringen. Genau das Gegenteil ist der Fall“

—  Zitat: Thomas Schwartz

Frage: Apropos Sünde: "Du sollst kein falsches Zeugnis abgeben" heißt es im 8. Gebot. Was ist damit gemeint?

Schwartz: Ursprünglich kommt der inhaltliche Zusammenhang dieses Gebots aus dem Gerichtswesen. Im Alten Testament benötigt man zur Feststellung der Schuld zwingend die Aussage von Zeugen. Wer also ein falsches Zeugnis ablegte, konnte damit einen Unschuldigen sogar der Gefahr der Todesstrafe aussetzen.

Frage: Ehrlich zu sich selber sein: Dies setzt eine gründliche Selbstreflexion voraus, die oft nur schwer auszuhalten ist. Lohnt es dennoch, sich dafür einzusetzen, auch wenn die Fassade dann zu bröckeln droht?

Schwartz: Ehrlichkeit sich selbst gegenüber verhilft zu einer gesunden Selbsteinschätzung, und zwar nicht nur der eigenen Schwächen, sondern auch der eigenen Stärken. Es geht dabei also um die persönliche Integrität und um die psychische Gesundheit. Selbsttäuschung macht auf Dauer krank und unglücklich. Ein Stück Ehrlichkeit, die manchmal auch zu einer Ent-Täuschung führen kann, vereinfacht das soziale Miteinander, verhindert Überforderungen und ist so Quelle der Zufriedenheit und des Glücks.

Frage: Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit: Worin besteht eigentlich der Unterschied?

Schwartz: Beide Tugenden sind eng miteinander verbunden. Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit kann es ohne die Ausrichtung auf die Wahrheit nicht geben. Beide brauchen nämlich einen inneren Orientierungspunkt im Menschen, auf den sie sich beziehen können – die Wahrheit. Die Wahrhaftigkeit stellt die Bezogenheit des inneren Menschen auf die Wahrheit in den Fokus. Die Tugend der Ehrlichkeit aber nimmt die Wahrheit eher dort in den Blick, wo es um die sozialen und gesellschaftlichen Bezüge des Menschen geht. Sagt also Wahrhaftigkeit etwas über die Innenperspektive des Menschen gegenüber der Wahrheit aus, so geht es bei der Ehrlichkeit mehr um die Außenperspektive.

Das Interview führte Margret Nußbaum

Buchtipp

Simon Biallowons / Thomas Schwartz: Ehrlichkeit – die zeitgemäße Tugend. 208 Seiten, 17,99 Euro, Kösel Verlag, München 2014 Dieses hervorragend recherchierte Buch zeigt an aktuellen Fällen wie Uli Hoeneß oder dem ADAC, weshalb Ehrlichkeit so entscheidend ist. Es bietet eine Analyse des Ehrlichkeitsbegriffs und eine Erklärung, weshalb am Ende ehrlich doch am längsten währt. Es vereint – ohne jeden moralinsauren Touch – philosophisch-theologische Reflexion mit alltäglichem Erleben.