Vom Altar auf die Bühne
Reinhold Beckmann, Alfred Biolek, Guido Cantz, Frank Elstner, Thomas Gottschalk, Günther Jauch, Hape Kerkeling, Dieter Kürten, Markus Lanz, Jürgen von der Lippe, Matthias Opdenhövel und Anne Will: Sie alle wuchsen in kirchlich geprägten Milieus auf und machten ihre Erfahrungen mit dem Katholizismus. Und sie benennen diese "biografische Beziehung" öffentlich. Einzige Ausnahme ist Stefan Raab, der sich privat abschirmt und nicht mit Schächter sprach.
Katholisch.de-Interview mit dem ehemaligen ZDF-Intendanten Markus Schächter über sein Buch "Die Messdiener".
Die anderen taten es, so auch Thomas Gottschalk. Er hat sich nach eigenem Bekunden nie Gedanken darüber gemacht, ob der Dienst auf den Altarstufen den Gang auf die Showbühne begünstigt. Allerdings glaubt Gottschalk, dass es "inzwischen mehr TV-Moderatoren als Messdiener gibt". Die eigene Prägung bestreitet er indes nicht: "Wir Katholiken, zumindest die bayerischen sind fröhlicher, bunter und lebensbejahender als die Protestanten."
Lachanfall in der Messe
Gottschalks Freund Günther Jauch hält den Zusammenhang von Kirche und Fernsehkarriere für zufällig. Jauch scheint sich auch nicht sicher zu sein, dass das Phänomen in der Form überhaupt existiert. Und er hat Zweifel, dass "das sonntägliche Hochamt die Urform der Show im Fernsehen" sei. Mit seiner katholischen Kindheit verbindet der Moderator bis heute "das Gefühl einer gewissen Struktur und des Aufgehobenseins in der Gruppe".
Bei Hape Kerkeling spielt das Religiöse schon immer eine große Rolle. Sein "Ich bin dann mal weg"-Bericht über das Pilgern auf dem Jakobsweg wurde mit mehr als vier Millionen verkauften Exemplaren zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Sachbücher überhaupt. Seine Ministrantenkarriere verlief eher kurz: Nach einem Lachanfall während der Messe legte ihm der Kaplan nahe, die fromme Schar zu verlassen. Es fällt schwer, die Geschichte nicht zu glauben.
"Ich glaube nicht an Gott. Aber ich vermisse ihn" ist Schächters Kapitel über Jürgen von der Lippe überschrieben. Der bekennende Agnostiker will die Erfahrungen seiner Ministrantenzeit nicht überbewerten. "Jungs meiner Generation und auch der danach, die in katholischen Hochburgen aufwuchsen und nicht völlig ungeeignet waren, waren einfach für eine gewisse Zeit Messdiener." Wenn überhaupt, hätten ihn Rituale und Liturgie auf seinem weiteren Lebensweg nur sehr unbewusst beeinflusst.
Schächter: Messdienen gibt Selbstbewusstsein
Anne Will ist die einzige Frau, die zu Wort kommt. Das hängt damit zusammen, dass bis vor wenigen Jahren Ministrantinnen unerwünscht waren - und davon erzählt die frühere "Tagesthemen"-Moderatorin ebenso wie vom alternativen Engagement beim Vorlesen von Texten im Gottesdienst. Es sind Ausformungen des kölschen Katholizismus, die Will heute als ihre liebsten Hoffnungs- und Glaubenssätze nennt. Etwa "Es ist noch immer gut gegangen". Ihre These zur Beziehung zwischen Kanzel und Kamera heißt: "Vielleicht suchten sie alle schon früh den großen Auftritt. Das könnte es sein."
Für Schächter ist die Präsenz der Ministranten in der Showbranche keine Generationsfrage. Nirgendwo, lautet eine These, "gibt es für Kinder und Jugendliche so früh die Chance, vor erwachsenen Menschen ihren eigenen Auftritt zu gestalten, mit klaren Rollenzuweisungen und wichtigen Funktionen". Auch die soziale Herkunft könnte ein Schlüssel für die "auffällig häufige Weichenstellung" sein. Zudem könne die "kirchliche Kindheit mit der Zeit des Messdienens durchaus eine Quelle für ein starkes Selbst, für ein fundiertes Selbstwertgefühl und ein vitales Selbstbewusstsein gewesen sein".
„Vielleicht suchten sie alle schon früh den großen Auftritt. Das könnte es sein.“
Doch wirklich beantworten kann Schächter die selbst gestellte Frage letztlich nicht. Zu unterschiedlich sind die Deutungen und Selbstdeutungen. Trotzdem vermittelt sein Buch über die "heimliche Verbindungslinie zwischen den Altarstufen und der Showbühne" ungewöhnliche Einblicke in das Denken vieler Prominenter.
Von Michael Jacquemain (KNA)