Zukunft der Kirche bestimmendes Thema beim Katholikentag

"Kein Kuschelkurs": Wenn Laien und Bischöfe über Reformen diskutieren

Veröffentlicht am 29.05.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Stuttgart ‐ Synodaler Weg und "#OutInChurch": Beim Katholikentag ist der Reformstau der Kirche eines der Hauptthemen. Doch wie viel Druck braucht es, um zu guten Ergebnissen zu kommen? Dazu haben Laien und Bischöfe unterschiedliche Ansichten, wie ein Blick auf die Diskussionen beim Katholikentreffen zeigt.

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Die katholische Kirche in Deutschland ist auf der Suche nach ihrer Zukunft. Das wird nicht nur beim Synodalen Weg deutlich, der sich als kirchlicher Reformprozess mit den bereits seit Jahrzehnten glühenden "heißen Eisen" der Kirche beschäftigt wie der Frauenordination oder der Erneuerung der Sexualmoral. Auch beim Katholikentag in Stuttgart wird intensiv um diese Fragen gerungen – was besonders für die Bischöfe eine unangenehme Situation ist. "Ich möchte nicht immer der 'Bad Guy' sein", sagte Bischof Helmut Dieser am Samstagmittag. Beim Podium "Kirche kann bunt", zu dem der Frauenverband kfd eingeladen hatte, um über die Diskriminierung von Frauen und queeren Menschen in der Kirche zu diskutieren, klagte der Aachener Oberhirte über das große Misstrauen, das den Bischöfen aktuell entgegengebracht werde. "Ich möchte dazu beitragen, das dramatische Bild von uns Bischöfen zu überwinden, dass wir nur bei großem gesellschaftlichem Druck handeln", sagte Dieser.

Unmittelbar zuvor hatte die Ordensschwester Philippa Rath die mehreren Hundert anwesenden Besucher des Katholikentags aufgerufen, bei der Forderung nach einer Erneuerung der Kirche nicht nachzulassen. "Wir brauchen mehr Druck", so die Benediktinerin. "Der Betonklotz Kirche lässt sich nur durch Druck von der Basis aufbrechen." Dieser Druck müsse auch nach dem Ende des Synodalen Wegs im kommenden Jahr weitergehen, denn die Beschlüsse der Versammlung seien für keinen Oberhirten von sich aus bindend. Trotzdem zeigte sich Rath mit Blick auf die Weihe von Frauen optimistisch: "Ich werde die erste Priesterinnenweihe noch erleben." In etwa 20 Jahren sei es ihrer Einschätzung nach so weit.

Bischof Dieser bewertete die Frage der Priesterweihe für Frauen nüchterner: Sie könne allein durch ein Konzil entschieden werden, da sich Papst Franziskus und seine beiden Vorgänger eindeutig ablehnend dazu geäußert hatten. Doch der Aachener Bischof, der zu den reformorientierten Oberhirten gerechnet wird, machte den Anwesenden Mut: das Frauen-Forum des Synodalen Wegs argumentiere sehr überzeugend für die Ordination von Priesterinnen. "Das müssen wir in die weltweite synodale Bewegung einbringen, wo es große Auswirkungen haben könnte." In Folge der von Papst Franziskus angestrebten Dezentralisierung, sei vielleicht auch in dieser Frage eine große Vielfalt in der Weltkirche denkbar.

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Bereits jetzt hätte der Reformdiskurs zu Veränderungen in der Kirche in Deutschland geführt: "Während meiner Zeit als Weihbischof herrschte eine Atmosphäre der Angst in der Bischofskonferenz. Man sprach nicht offen über kritische Themen, sondern zeigte sich in Rom an", so Dieser. Inzwischen werde bei den Vollversammlungen der Bischöfe offen gesprochen und um Zwei-Drittel-Mehrheiten gerungen. Die Zukunft der Kirche werde jedoch in einer geringeren Fixierung auf die Bischöfe liegen: "Ich will mich als Bischof zurücknehmen", so Dieser.

Zu rechtssicheren Reformen für queere Menschen in der Kirche im Zuge der Aktion "#OutInChurch" riefen die Initiatoren Veronika Gräwe und Jens Ehebrecht-Zumsande auf. Nach der Coming-Out-Initiative Ende Januar hatten zahlreiche Bischöfe und Generalvikare zwar öffentlich zugesagt, kirchliche Angestellte nicht zu entlassen, wenn sie etwa eine gleichgeschlechtliche Ehe eingehen – doch eine offizielle Änderung der kirchlichen Grundordnung ist derzeit noch nicht erfolgt. Es sei die Verantwortung der deutschen Kirche, queere Themen in die Weltkirche zu tragen, so Gräwe. Doch auch in Deutschland müsse sich die aktuelle Diskussion weiten: "Es werden auch Trans-Frauen und nicht-binäre Menschen in der Kirche diskriminiert." Ehebrecht-Zumsande erinnerte mit Blick auf Diesers Einwurf daran, dass das Aushalten von Druck zur Jobbeschreibung eines Bischofs gehöre.

Das könnte wohl auch Karl-Heinz Wiesemann unterschreiben. Der Speyerer Bischof spürt nach eigener Aussage jeden Tag die Last seines Amtes: "Ich habe tagtäglich mit der Krise der Kirche zu tun", sagte Wiesemann beim Podium "Vollmacht? Ohnmacht? Macht nix?" am Samstagnachmittag. Organisiert wurde die Diskussion zum Thema Macht und Gewaltenteilung in der Kirche von mehreren südwestdeutschen Diözesan- und Katholikenräten. Besonders getroffen habe ihn, dass sein Generalvikar vor knapp zwei Wochen seinen Rücktritt erklärt habe, um Priester in der alt-katholischen Kirche zu werden, so Wiesemann. "Ich habe lange Gespräche mit Andreas Sturm geführt", verriet der Bischof sichtlich bewegt. Sturm hatte in einem Interview gesagt, er habe anderthalb Jahre mit dem Rücktritt gehadert. Letztlich habe jedoch die Einsicht überwogen, dass die katholische Kirche nicht reformierbar sei. Auch die Ergebnisse der MHG-Studie zum kirchlichen Missbrauch aus dem Jahr 2018 hätten sein Weltbild "ziemlich zerrüttet".

Podium beim Katholikentag
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Beim Podium "Vollmacht? Ohnmacht? Macht nix?" diskutierten u.a. Julia Knop (3.v.l.), Theologin und Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, und Karl-Heinz Wiesemann (r.), Bischof von Speyer, über Macht und Gewaltenteilung in der Kirche.

Wiesemann erklärte, dass er sich ebenfalls intensiv mit dem Missbrauchsskandal und in diesem Zusammenhang besonders mit dem Pontifikat von Johannes Paul II. kritisch auseinandergesetzt habe. Ein Kirchenaustritt käme für ihn jedoch nicht infrage: "Für mich ist die Kirche grundlegend, denn der Glaube braucht ein Miteinander." Dazu gehöre auch das Aushalten von Spannungen innerhalb der Kirche. Um Macht zu teilen, könne er sich vorstellen, die Trennung von geistlichem Amt und Jurisdiktion weiterzudenken, die es in der Geschichte der Kirche gegeben habe, so Wiesemann. Der Bischof verwies dabei etwa auf die Machtfülle mancher früheren Äbtissinnen. Aber auch gegen das Weihesakrament für Frauen gebe es seiner Meinung nach kein überzeugendes Argument.

Julia Knop betonte in der Diskussion die hohe Bedeutung des geplanten Synodalen Rats als Verstetigung des kirchlichen Reformprozesses. In ihm sieht die Erfurter Dogmatikerin ein wichtiges Instrument zur Gewaltenteilung innerhalb der Kirche. Gleichzeitig warnte sie vor der Illusion eines Gesundschrumpfens der Kirche, die es in bestimmten rechtskatholischen Kreisen gebe. "Letztlich führt das zu einer Versektung", so Knop. Die für die Zukunft bedeutsame Grundfrage sei, ob es aus katholischem Verständnis überhaupt möglich sein könne, dass das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden ein anderes als das in der Kirche anzutreffende sei. "Das möge Gott verhindern."

Die Diskussionen über den Reformstau in der Kirche bildeten einen Schwerpunkt bei den Debatten des Katholikentags. Auch wenn die einzelnen Wortbeiträge beim Laientreffen zumeist kaum neue Einsichten enthielten, zeigten sie doch eindrücklich, wie notwendig eine Erneuerung der Kirche ist und in welcher Zwickmühle sich die Bischöfe befinden: Die große Mehrheit der Oberhirten ist offen für Reformen und will sie voranbringen, doch gleichzeitig fühlen sich die Bischöfe dem Kollegium ihrer Mitbrüder verpflichtet, aus dem sie nicht austreten können. Wenn nun bei den kommenden Synodalversammlungen Beschlüsse gefasst werden und es an deren Umsetzung geht, müssen die Bischöfe den Worten Taten folgen lassen. Das ist auch den engagierten Laien des Katholikentags klar. Diese innerkirchliche Spannung sei schon jetzt zu spüren, so Bischof Wiesemann: "In meinem Alltag erlebe ich momentan keinen Kuschelkurs mehr."

Von Roland Müller