Jurist: Neue Grundordnung ist "Aufschlag, der sich sehen lassen kann"
Das geplante neue Regelwerk für Arbeitsverhältnisse der katholischen Kirche in Deutschland ist für den Tübinger Arbeitsrechtler Hermann Reichold "ein Aufschlag, der sich sehen lassen kann". Im Interview erläutert der Leiter der Tübinger Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht die wichtigsten Neuerungen. Außerdem reagiert er auf kritische Stimmen, die seit Veröffentlichung des Entwurfs zu Wochenbeginn laut geworden sind.
Frage: Herr Professor Reichold, die deutschen Bischöfe wollen noch in diesem Jahr das kirchliche Arbeitsrecht grundlegend ändern. Gerade hat eine Arbeitsgruppe den Entwurf vorgelegt. Ist das der Befreiungsschlag für ein immer stärker in die Kritik geratenes Regelwerk?
Reichold: Man kann das durchaus so bezeichnen. Das ist ein Aufschlag, der sich sehen lassen kann. Warum? Weil einige brisante, schwierige Probleme aus dem Weg geräumt worden sind. Die bisherige Grundordnung hat insbesondere auf Frauen wegen der möglichen Sanktionierung auch des Privatverhaltens durchaus verstörend gewirkt. Mit ihrer Liberalisierung entspricht die katholische Kirche auch eindeutig einer Erwartung der Öffentlichkeit.
Frage: Sie spielen auf mögliche Kündigungsgründe an. Zu diesen sollen künftig von der kirchlichen Lehre abweichende Formen des Sexual- und Beziehungslebens nicht mehr gehören. Ist das die wichtigste Neuerung?
Reichold: In der Tat hat es bisher irritiert, dass die Kirche sozusagen in die Betten ihrer Bediensteten schauen wollte, um gegebenenfalls arbeitsrechtliche Maßnahmen einzuleiten. Das ist nun ausgeräumt. Dazu muss man sagen, dass es solche Kündigungen in den zurückliegenden Jahren faktisch kaum je gegeben hat. Insofern holt die Theorie jetzt nur nach, was längst schon in die Praxis Einzug gehalten hat. Die neue Grundordnung tut dies mit der Formulierung, dass "der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, jeglicher rechtlicher Bewertung entzogen ist".
Frage: Vor allem von Gewerkschaftsseite gibt es weiter Kritik an der Reform. Die Beteiligungsrechte und die Mitbestimmung der Beschäftigten kommen aus Sicht von verdi immer noch zu kurz.
Reichold: Der Dritte Weg hat für das Arbeitsrecht der katholischen Kirche weiter Bestand. Das heißt, dass Maßnahmen des Arbeitskampfes wie Streik oder Aussperrung zugunsten von einvernehmlichen Schlichtungsprozessen nicht statthaft sind. Verdi hat damit ein Problem, auch wenn die Gewerkschaft aufgefordert wurde, Vertreter in die kirchlichen Kommissionen zu entsenden. Aber die Gewerkschafter sagen natürlich: Was soll ich mit einer oder zwei Stimmen dort ausrichten? In weltlichen Betrieben können wir unsere Positionen mit ganz anderen Mitteln geltend machen.
Frage: Erste Wortmeldungen aus der katholischen Queer-Community deuten darauf hin, dass man dort ein eindeutiges Bekenntnis zu vielfältigen Formen von Geschlechtsidentität vermisst.
Reichold: Die neue Grundordnung enthält ein klares Bekenntnis zum Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wegen der Herkunft, der Religion, des Alters, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung und Lebensformen. Mehr kann man nicht verlangen. Das ist eins zu eins das, was auch im weltlichen Arbeitsrecht gilt.
Frage: Kirchenfeindliches Verhalten soll aber weiter ein Entlassungsgrund sein. Zum Beispiel ein Kirchenaustritt.
Reichold: Ich muss Ihnen da etwas widersprechen. Der Kirchenaustritt hat in unseren Diskussionen eine große Rolle gespielt. Auch hier gibt es keinen Kündigungsautomatismus, sondern einen Ermessensspielraum für jeden Einzelfall. Denken Sie an kirchliche Angestellte, die Missbrauch erlebt haben. Das kann dazu führen, dass sie einerseits die katholische Kirche verlassen, aber als bewährte Mitarbeiter der Caritas keineswegs zu kündigen sind. Das wird jeder unterschreiben, der weiß, was solche Menschen erleiden mussten.
Frage: Der Reformentwurf ist geprägt durch ein Verständnis von Loyalität, die nicht mehr einseitig von den Mitarbeitenden abverlangt wird. Wozu verpflichten sich kirchliche Dienstgeber künftig gegenüber den Beschäftigten?
Reichold: Wir haben eine deutliche Aufforderung an die Dienstgeber, personelle und materielle Ressourcen dafür zu nutzen, der jeweiligen Einrichtung ein besonderes christliches Profil zu verleihen in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden. Einen Zwang dazu wird man aus dieser Grundordnung nicht ableiten können. Wohl aber, dass die Mitarbeitervertretung als Organ der Einrichtung immer und überall zu beteiligen ist.
Frage: Der Entwurf ist seit wenigen Tagen öffentlich. Die Bischöfe werden sich erstmals in der zweiten Junihälfte damit befassen. Wo rechnen Sie persönlich noch am meisten mit Diskussionen?
Reichold: Ich könnte mir vorstellen, dass die Dienstgeber bei den ihnen auferlegten Pflichten noch einige Abschwächungen wünschen aus Sorge, sonst ihren eigentlichen Auftrag nicht mehr erfüllen zu können. Prinzipiell haben wir der Angst vor Überforderung vorgebaut. Aber einiges klingelt ihnen natürlich in den Ohren, von der Verpflichtung zu Präventionsmaßnahmen bis zum vorgeschriebenen wertschätzenden, kooperativen Führungsstil. Wobei das alles nicht einklagbar ist.
Frage: Stichwort Klage. Immer wieder mussten sich weltliche Gerichte auf Bundes- und Europaebene mit dem kirchlichen Arbeitsrecht befassen. Kommt das nun an ein Ende?
Reichold: Die Arbeitsgerichte in Deutschland sind inzwischen von ihrer bisher eher großzügigen Haltung gegenüber kirchlichen Arbeitgebern ganz auf die Linie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eingeschwenkt. Darauf musste auch die neue Grundordnung Rücksicht nehmen. Eine Differenz gibt es aber weiterhin zum reinen Tendenzschutz des EUGh: Die Kirche beansprucht für sich, dass pastorale und katechetische Tätigkeiten weiterhin nur Katholiken übertragen werden können. Das ist noch konform mit europäischer Rechtsprechung. Dann geht es aber auch um profilprägende Mitarbeitende, die eine kirchliche Einrichtung auch nach außen repräsentieren: Da gibt es jetzt eine Soll-Regel zu ihrer Katholizität. Das ist für sich genommen auch noch nicht kritisch. Wenn aber andere katholische Mitarbeitende aus der Kirche austreten und deshalb gekündigt werden, können sie dagegen vor weltlichen Arbeitsgerichten klagen, weil sie ja gerade nicht als "Tendenzträger" gelten.