Demel: Widerspruch zwischen Verkündigung und Strukturen der Kirche
Die Regensburger Kirchenrechtlerin Sabine Demel sieht die Kirche in einer "lähmenden Selbstwidersprüchlichkeit zwischen der Verkündigung über die Kirche und den Strukturen in der Kirche". In einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift "theologie heute" betont die Theologin, dass das Zweite Vatikanische Konzil zwar "ein neues Bewusstsein für Freiheit, ein neues Bewusstsein für Benachteiligung und Diskriminierung, eine neue Sehnsucht nach Vielfalt im Denken und Sehen, im Sein und Leben in Kirche und Gesellschaft" geweckt habe. Es fehlten aber immer noch die passenden Strukturen für diese Inhalte.
Hier seien vor allem die "problematischen Gehorsamsregelungen, die unzureichenden Beteiligungsrechte sowie ein fehlendes System transparenter und effektiver Machtkontrolle" zu nennen, so die Kanonistin. Bei der Anerkennung der "kulturellen, spirituellen und sexuellen Diversität, mit denen zahlreiche diskriminierende Einschränkungen wegen der persönlichen Glaubensüberzeugung, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder des Lebensstandes einhergehen", gebe es weiterhin enge Grenzen. Das Anliegen des Konzils einer Verheutigung des Glaubens sei auch im Hier und Jetzt bleibende Aufgabe der Kirche, "die zu keinem Zeitpunkt zum Erliegen kommen darf und die der kritische Maßstab für die Spannung von Innovation und Tradition bilden muss", so Demel weiter. Der springende Punkt des Konzils ist für die Theologin der Dialog als Haltung, das heiße "die grenzenlose Bereitschaft, den/die/das Andere*n verstehen und ernstnehmen zu wollen". Anders seien "revolutionäre Beschlüsse" wie zur Religionsfreiheit und zur Stellung der Laien nicht möglich gewesen.
Knop beklagt Mangel an menschenrechtlichen Standards
In derselben Ausgabe der Zeitschrift betonte auch die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop uneingelöste Konsequenzen des Konzils: "Grund- und menschenrechtliche Standards werden im kirchlichen Binnenraum immer noch nicht voll eingeholt", so Knop. Gewaltenteilung, -begrenzung und -kontrolle, Transparenz und Beteiligung seien in der Kirche immer noch nicht selbstverständlich, außerdem würde Frauen und diverse Personen in der Kirche immer noch strukturell diskriminiert. Hinter die entscheidenden Neuerungen des Konzils könne die Kirche nicht mehr zurückfallen. "Sie muss allerdings auch nicht auf den Stand der 1960-er Jahre zurückfallen", ergänzte die Dogmatikerin. Die Kirche habe sich auf ein ständiges "Aggiornamento" verpflichtet: "Sie muss nicht nur die gestrigen, sondern auch die heutigen und morgigen 'Zeichen der Zeit' wahrnehmen, um das Evangelium heute und morgen besser zu verstehen und im Leben der Gläubigen und im Glauben der Kirche wirksam werden zu lassen."
Das Zweite Vatikanische Konzil fand zwischen 1962 und 1965 statt. Am 11. Oktober jährt sich sein Beginn zum 60. Mal. Es wurde von Papst Johannes XXIII. (1958–1963) mit dem Ziel eines "Aggiornamento" einberufen, einer Verheutigung des Glaubens und der Kirche. Zu den Beschlüssen gehören unter anderem Konstitutionen über die Liturgie, die Kirche und die Pastoral. Erklärungen zur Religionsfreiheit und zum Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen bestimmten das Verhältnis der Kirche zur modernen Gesellschaft grundlegend neu. (fxn)