Pastoraltheologin: Konflikte gehören zum Leben der Kirche
Der Papst hat seine Kirche in einen Synodalen Prozess geschickt. Die Linzer Pastoraltheologin Klara Csiszar wirbt im Interview für mehr Synodalität und Kompetenzen der Ortskirche. Denn in einer globalisierten Welt sei die Vielfalt offensichtlich.
Frage: Frau Professorin Csiszar, der Papst hat die Weltkirche in einen "Synodalen Prozess" geschickt. Was hat es mit dieser "Synodalität" auf sich, die der Papst zu einem seiner Hauptanliegen gemacht hat?
Csiszar: Synodalität ist an sich nichts Neues in der Kirche. Man denke an die vielen Gremien und Räte, wie den Pfarrgemeinderäten oder dem Priesterrat einer Diözese. Der Begriff Synode leitet sich vom Griechischen ab und heißt so viel wie: gemeinsamer Weg. Ganz besondere Highlights sind beispielsweise Diözesansynoden oder eben den seit mehr als 50 Jahren stattfindenden Bischofssynoden. Diese Versammlungen erforschen die Zeichen der Zeit. Sie beraten sich, wie die Botschaft Jesu in die Gegenwart hinein übersetzt werden kann und das alles tun sie, indem sie auf den Heiligen Geist hören und miteinander beten.
Neu am Synodalen Prozess des Papstes ist die Gleichzeitigkeit und Langatmigkeit – und das in einer Welt, in der die Ortskirchen ganz verschieden leben. Alle Ortskirchen sind beauftragt worden, die Menschen zu den vorgegebenen, jedoch sehr allgemein formulierten Megathemen zu befragen.
Frage: Das Apostelkonzil, von dem das Neue Testament berichtet, war die erste Synode. Was kann die Kirche heute von diesem Anfang und von späteren Synoden und Konzilien lernen?
Csiszar: Kardinal Schönborn hat das Apostelkonzil einmal als die Ursynode bezeichnet. Die Architektur dieser ersten Synode ist spannend, der Ausgang war äußerst erfolgreich. Bekanntlich begann alles mit einem großen Konflikt. Die Aufregung war groß, eine wichtige Frage des Lebens und des Heils wurde unterschiedlich beantwortet: Müssen die Heidenchristen die jüdischen Gebote einhalten und sich auch beschneiden lassen? Was lernen wir aus der Ursynode? Dass Fragen und Unbehagen offen ausgesprochen und Konflikte ausgetragen werden können. Dass auch Spannungen nicht schlecht sind, sondern im Gegenteil dazu beitragen können, dass neue Möglichkeiten im Leben erkannt werden.
Ich habe bei zwei Diözesansynoden mitgewirkt. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich sagen, dass Meinungsverschiedenheiten zum Leben der Kirche dazugehören. Die Grundbedingungen für die Synodalität sind das offene Sprechen, die Demut zuzuhören und das Vertrauen, dass alle eine gute Zukunft für das Volk Gottes wollen.
Frage: Während für die einen mit dem Synodalen Prozess große Hoffnungen verbunden sind, gibt es bei manchen auch eine große Skepsis. Wie schauen Sie als Rumänin, die in Österreich lehrt, auf diesen Prozess?
Csiszar: Ich lebe in zwei Welten, in Osteuropa und in Westeuropa. Die Erwartungshaltungen sind von Skepsis über Gleichgültigkeit oder Angst bis Hoffnung geprägt. Manche osteuropäischen Diözesen wollen sich gar nicht damit beschäftigen, ihren eigenen Prozess bestmöglich zu gestalten, sondern kritisieren lieber den deutschen Synodalen Weg, oft ohne die Texte und die Arbeitsunterlagen zu kennen. Dadurch entsteht in diesen osteuropäischen Ortskirchen viel Angst. In Westeuropa höre ich dagegen immer wieder, dass dieser Prozess unsere letzte Chance ist. Das kann ich gut nachvollziehen. Ich weiß die Bemühungen von vielen engagierten Laien und Priester sehr zu schätzen. Und dass das Stimmungsbild so spannungsvoll ist, gehört dazu.
Frage: Schon vor dem Synodalen Prozess des Papstes haben die deutschen Katholiken einen Synodalen Weg begonnen. Manches daran stößt auf heftige Kritik in anderen Ländern. Wie ordnen Sie diese Kritik ein?
Csiszar: Ich finde es schön, wenn man sich Sorgen um die Kirche in Deutschland macht – das zeigt Respekt, Liebe und Geschwisterlichkeit. Zugleich würde ich mir wünschen, dass wir der Kirche in Deutschland auch zutrauen, dass sie sich ihrem von Jesus erhaltenen Auftrag bewusst ist und aus ihrem Missions- und Verantwortungsbewusstsein heraus agiert. Sie muss den Weg suchen, damit die gute Botschaft Jesu nicht den Strukturen ausgeliefert ist und auf der Strecke bleibt, sondern sie zu den Menschen getragen wird.
Ich habe mir mit ungarischen Theologiestudierenden den Synodalen Weg näher angeschaut. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie keine Ahnung davon, was in den Texten konkret steht, obwohl alle schon mal gehört oder gelesen haben, dass der deutsche Weg gefährlich sei: Die Kirche in Deutschland spalte sich von der Weltkirche ab, und es drohe eine neue Kirchenspaltung. Sie waren jedoch sehr angetan, wie mutig der Synodale Weg in Deutschland ist, Themen offen anzusprechen, theologisch präzise über die Kirche und das Evangelium heute zu sprechen, Hindernisse der Verkündigung anzusprechen und einen Ausweg aus der offensichtlichen Sackgasse zu finden.
Daher kann ich die Sorge der polnischen und der anderen Bischöfe angesichts des Synodalen Weges in Deutschland nur schwer nachvollziehen. Sie sollten sich in dieser ersten Phase der Weltsynode um ihre eigene Ortskirche kümmern und offen und mutig schauen, wie heute dort das Evangelium gelebt wird, wie mit Macht, Leitungsgewalt, Rolle der Frauen, mit gelungenen Beziehungen und mit dem Leben der Priester umgegangen wird.
Frage: Es ist absehbar, dass sehr unterschiedliche Kirchenbilder beim Synodalen Prozess der Weltkirche aufeinanderprallen werden. Steht die katholische Kirche insgesamt vor einer Zerreißprobe, oder gilt das nur mit Blick auf Deutschland?
Csiszar: Bekanntlich haben sich schon beim 2. Vatikanischen Konzil die Bischöfe für eine Dezentralisierung kirchlicher Strukturen ausgesprochen. Vielleicht ist nun die Zeit reif genug, diesen Gedanken aufzufrischen und ihn zu Ende zu denken. Wir leben zwar in einer globalisierten Welt, aber gerade darin wird Vielfalt offensichtlicher als je zuvor. Wir werden den Ortskirchen mehr zutrauen müssen, dass sie ihren eigenen Weg finden, missionarisch Kirche zu sein. Natürlich gehört auch das Ringen um das richtige Handeln gemäß dem Evangelium dazu wie auch die Bewahrung des katholischen Glaubens. Manche Gruppen sind mit mehr Sensibilität für die rechte Lehre beschenkt worden, andere dagegen mit mehr Sensibilität für die Zeichen der Zeit. Dieser Konflikt gehört zum Leben.
Wir werden den Ortskirchen zutrauen müssen, dass sie erkennen, welche Strukturen sie brauchen, um die Liebe Gottes für die Menschen erfahrbar zu machen. Diese gelebte Subsidiarität beruht auf Vertrauen, und wo Vertrauen wächst, dort erblüht auch Solidarität. Das wird der einzig mögliche Zukunftsweg der katholischen Kirche angesichts der Vielfalt sein.