Neuer Kapuzinerprovinzial: "Ich wünsche mir ein hörendes Herz"
Auf dem Provinzkapitel in Münster wurde der 60-jährige Kapuzinerbruder Helmut Rakowski von den Ordensmitgliedern für die kommenden drei Jahre zu ihrem neuen Leiter gewählt. Noch ist Bruder Helmut in Münster. Für katholisch.de nahm er sich Zeit für ein Gespräch.
Frage: Bruder Helmut Rakowski, Ihr Vorgänger hat nach drei Jahren das Amt abgegeben, weil es ihm zu viel wurde. Haben Sie genügend Zeit zum Innehalten?
Bruder Helmut: Ich versuche, mir jeden Abend Zeit für einen intensiven Tagesrückblick zu nehmen und alle meine Sorgen im Gebet in Gottes Hände zu legen. Diese halbe Stunde Zeit für Gott lasse ich mir nicht nehmen. Das ist mir wichtig. Ich setze mich auch morgens regelmäßig hin und bin einfach still. Das hilft mir tatsächlich, tagsüber nicht in Hektik zu kommen.
Frage: Momentan klingen Sie auch sehr ruhig und entspannt … Hat Sie Ihre Wahl zum neuen Provinzial überrascht?
Bruder Helmut: Nein, da es auch eine Vorwahl gab, konnte ich mich darauf vorbereiten. Ich bin mit absoluter Mehrheit der Stimmen gewählt worden, das stärkt mich enorm. Ich bin auch sehr froh, dass ich durch eine Wahl zu dieser neuen Aufgabe gekommen bin und nicht hineingeschickt wurde. So kann ich darauf vertrauen, dass die Brüder, die mich gewählt haben, mich auch unterstützen. Das ist Trost und Hoffnung für mich.
Frage: Das klingt aber nicht so begeistert …
Bruder Helmut: Doch, ich freue mich sehr auf meinen neuen Dienst. Auch wenn ich weiß, dass damit viele Herausforderungen verbunden sind. Ich werde viel meiner Kraft investieren müssen und sicherlich immer wieder auch an meine Grenzen kommen.
Frage: Quälen Sie auch Nachwuchssorgen im Orden der Kapuziner?
Bruder Helmut: Wir haben zurzeit vier junge Brüder in Ausbildung. Wie in anderen Klostergemeinschaften fehlt es aber auch bei uns an Nachwuchs. Das ist auch ein demografisches Problem. Zurzeit sind wir 115 Kapuziner in ganz Deutschland.
Frage: Wollen Sie Klöster schließen?
Bruder Helmut: Wir werden uns verkleinern und fokussieren müssen. Das heißt aber nicht unbedingt, dass wir von einem Ort weggehen, sondern wir können unsere Gemeinschaften auch kleiner setzen. Ich möchte mich allerdings nicht nur mit Mauern und Gebäuden beschäftigen, sondern vor allem auch mit neuen Möglichkeiten, um zu den Menschen zu gehen. Wir müssen uns aufmachen.
Frage: Welche Vision von Kirche haben Sie?
Bruder Helmut: Meine Vision von Kirche ist mit der Zeit gewachsen. Anfangs wollte ich Priester werden, um den Menschen das Evangelium zu verkünden und die Sakramente zu spenden. Heute weiß ich, wie wichtig der Umgang mit Menschen ist. Ich war in Mexiko als Seelsorger tätig und habe dort ganz genau gespürt, wie wichtig es ist, wie ich auf Menschen zugehe und wie ich mit ihnen umgehe. Das sollte immer im Vordergrund stehen, egal, welche Aufgabe ich im Orden habe.
„Ich möchte mich allerdings nicht nur mit Mauern und Gebäuden beschäftigen, sondern vor allem auch mit neuen Möglichkeiten, um zu den Menschen zu gehen. Wir müssen uns aufmachen.“
Frage: Warum wollten Sie als damals 19-Jähriger Bettelmönch werden?
Bruder Helmut: In meiner Heimatgemeinde habe ich die Kapuziner und ihr Wirken hautnah miterlebt. Das hat mich als Jugendlicher sehr fasziniert. Und dann hatte ich ein Erlebnis, das mich nachhaltig geprägt hat und meinen Wunsch, Kapuziner zu werden, ausgelöst hat.
Frage: Erzählen Sie ...
Bruder Helmut: Damals wurde ein Obdachloser in der Stadt tot auf der Straße aufgefunden, er war erfroren. Ich habe den Bericht darüber in der Zeitung gelesen. Das hat mich vollkommen schockiert. Anschließend habe ich begonnen, ehrenamtlich in der damals neu gegründeten Obdachlosenunterkunft mitzuarbeiten. Die Kapuziner, meine späteren Mitbrüder, hatten eine Kapelle für wohnungslose Menschen geöffnet, um ihnen ein Dach über den Kopf zu bieten und eine warme Schlafstelle. Ich habe einfach mitgeholfen. Meine Aufgabe war es, dort zu übernachten und die Leute zu betreuen. Ich habe zuerst gezögert, ob ich das machen kann. Ich kann mich noch gut an die Geräusche nachts in dieser Kapelle erinnern. Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich keine Angst haben muss. Es hat mich sehr angerührt, bei diesen Menschen zu sein. Ich war einfach da und habe mir ihre Geschichten angehört. Das hat mich damals sehr bewegt.
Frage: Damals waren Sie erst 16 Jahre alt …
Bruder Helmut: Ja, ich war Messdiener und in der Jugendarbeit meiner Heimatgemeinde engagiert. Ich habe durch meine Aufgabe in dieser Kapelle entdeckt, was Mitmenschlichkeit bedeutet. Wenn ich mich auf andere einlasse, denen es nicht so gut geht wie mir, werde ich unglaublich beschenkt. Es ist wichtig, mutig auf den anderen zuzugehen. Ich erinnere mich noch genau an einzelne Lebensgeschichten von damals. Wie schnell ein Leben zerstört sein kann. Wie schnell alles verloren geht. Aber ich habe auch gelernt, dass es trotz der persönlichen Tragödien immer einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt, der den Menschen Mut macht. Wie diese kleine Kapelle, die den Menschen ein Dach über dem Kopf und etwas Wärme ins Herz gebracht hat.
Frage. Viele tun sich auch schwer mit Menschen, die an den Rand gedrängt sind …
Bruder Helmut: Ja, das stimmt. Manchmal gehe ich auch weg, wenn es mir zu viel wird oder weil ich gerade nicht kann. Es ist auch wichtig und ehrlich, dass man Grenzen zieht. Manche Menschen sind unverschämt oder fordern einen heraus. Was mir damals geholfen und mich aufgefangen hat, war die Gruppe, die mich getragen hat.
Frage: Eine wichtige Erfahrung für Ihr späteres Klosterleben, oder?
Bruder Helmut: Ja, mir ist das Leben in Gemeinschaft sehr wichtig. Diese Gemeinschaft wirkt wie ein soziales Korrektiv. Irgendeiner meiner Mitbrüder erinnert mich auch immer wieder an meine Träume: "Du wolltest doch mal" oder "Du hast du doch schon mal…". Das hilft mir sehr, mich immer wieder neu auszurichten. Es trägt mich durch das Leben.
Frage: Es gibt ein Foto, das Sie mit geschlossen Augen zeigt. Wovon träumen Sie als neuer Provinzial?
Bruder Helmut: Ich träume davon, mehr junge Menschen für unser Leben im Orden begeistern zu können. Ich glaube fest daran, dass wir Ordensleute, auch wenn wir weniger werden, eine Zukunft haben. Unsere Stimme ist nötig in dieser Welt. Zum Beispiel jetzt, während dieses furchtbaren Kriegs in der Ukraine: Einige meiner Mitbrüder waren und sind in der Ukraine, sie helfen den Menschen vor Ort mit Hilfsgütern und Medikamenten. Und so entstehen immer wieder neue Aufgaben für uns als Ordensleute, wenn wir die Türen und Herzen für die Nöte der Menschen öffnen.
Frage: Was wünschen Sie sich für sich selbst?
Bruder Helmut: Ich wünsche mir ein hörendes Herz, damit ich immer in der Lage bin, dem anderen, der mich gerade braucht, zuzuhören. Und das zu tun, was mein Herz mir sagt.
Frage: Bleiben Sie Geistlicher Direktor des ifp?
Bruder Helmut: Diese beiden Aufgaben sind leider nicht miteinander vereinbar, da der Dienst als Provinzial ein echter Full-Time-Job ist.