Kirche als "Täterorganisation": Schrille Rhetorik wird zum Bumerang
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Heute werden in Münster die Ergebnisse einer vom Bistum beauftragten Missbrauchsstudie vorgestellt. Wieder wird von schrecklichen Taten an Kindern und Jugendlichen zu hören sein, wieder von Serientätern, die unbehelligt blieben, wieder von der Vertuschung durch Bischöfe und andere Personalverantwortliche. Es stehen noch eine ganze Reihe solcher Untersuchungen aus. 27 deutsche Bistümer, 27-mal die gleiche Geschichte.
Der Publizist Erik Flügge kommentierte vor einiger Zeit auf Twitter: "Im zähen Versuch, etwas zu retten, vollzieht sich der eigene Untergang. Es braucht einen Stichtag, an dem alles auf einmal auf den Tisch kommt, statt zeitversetzt immer neue Studien und Erkenntnisse." Doch hätte hierzulande jemand Interesse an einer solchen Vorgehensweise? Es könnte der Eindruck entstehen, man wolle einen Schlussstrich ziehen; dabei sind doch die "systemischen Ursachen" des Missbrauchs noch gar nicht überwunden. Als diese Ursachen wurde beim Synodalen Weg vieles von dem identifiziert, was die katholische Kirche heute noch von der evangelischen unterscheidet: sakrales Amtsverständnis, Bischofsherrschaft, Geschlechterbild, unplausible Sexualmoral.
Solange diese Ursachen bleiben, gilt die katholische Kirche als "Täterorganisation" und "System, das solche Verbrechen möglich macht" – ganz egal, wie rechtschaffen die übergroße Mehrheit der Kleriker ist. Es sind Bischöfe und Generalvikare, die sich so äußern. Doch die schrille Rhetorik wird zum Bumerang. Wer will schon zum Katholikentag kommen, wenn die Botschaft lautet: "Die Täterorganisation lädt zum Glaubensfest"? Natürlich: Die so sprechen, halten sich für den Teil der Kirche, der aufhören will, Täterorganisation zu sein. Sie wollen sich von denjenigen abgrenzen, die in ihren Augen das verbrecherische System noch befördern, weil sie die angestrebten Reformen ablehnen. Doch diese implizierte Unterscheidung kommt in der Öffentlichkeit nicht an.
In diesem Klima wird kaum noch differenziert. Man subsumiert immer mehr Phänomene unter dem Begriff "Missbrauch". Die Vergewaltigung von Kindern wird begrifflich auf eine Stufe gestellt mit anderen Straftaten und allen möglichen Arten von körperlich- oder psychisch-übergriffigem Verhalten. Gleichzeitig spielt die Unschuldsvermutung kaum noch eine Rolle; Geistliche stehen zunehmend unter Generalverdacht. Und nachdem die Vertuschung als Strategie des Machterhalts weggefallen ist, sind Bischöfe heute versucht, ihre Macht durch die Rechtlosmachung der mutmaßlichen Täter zu schützen.
Der Autor
Benjamin Leven ist Redakteur der "Herder Korrespondenz".Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.