Das Theologiestudium – Eine Universität im Kleinen
Für Aristoteles galt sie als "erste Wissenschaft" – nicht wenigen heutigen Zeitgenossen dürfte es dagegen ein Dorn im Auge sein, dass sie überhaupt noch an staatlichen Universitäten unterrichtet wird: die Rede ist von der Theologie. Ausgehend von den Lehrstuben der mittelalterlichen Klöster zählte sie seit der Entstehung der Universitäten im elften Jahrhundert bis weit in die Neuzeit zum Kernbestand des aufstrebenden Bildungswesens. Erst im Zuge der philosophischen Aufklärung und durch die Etablierung der Naturwissenschaften als eigenständige Studienfächer büßte die Theologie ihre zentrale Stellung an den Universitäten ein. So machen die Studentinnen und Studenten der katholischen Theologie von den insgesamt rund 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland heute weniger als ein Prozent aus. Doch während ablehnende Stimmen die Disziplin häufig als einseitig und unwissenschaftlich kritisieren, stellt die Theologie in Wirklichkeit ein äußerst breit gefächertes und methodisch vielseitiges Studienfach dar – eine regelrechte "Universität im Kleinen".
"Fides quaerens intellectum – der Glaube sucht nach Einsicht": Nach diesem Leitwort des mittelalterlichen Theologen Anselm von Canterbury versteht sich die Theologie als wissenschaftliche Reflexion des Glaubens. Die Theologie nimmt "eine Innenperspektive ein. Das heißt: Sie reflektiert auf christliche Glaubenspraktiken, Glaubenserfahrungen und Traditionen auch aus einem grundsätzlichen Einverständnis heraus", sagt Jochen Sautermeister, der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Insofern unterscheidet sich ein Theologiestudium von dem der Religionswissenschaft, die einen neutralen Blick auf die verschiedenen Religionen wirft und diese von der Außenperspektive aus vergleicht.
Der Fächerkanon des Theologiestudiums
Trotzdem geht es an den theologischen Fakultäten nicht um eine missionarische Ausbildung im Glauben, sondern um die kritische Erforschung seiner Inhalte. Auf diese Weise erfüllt die Theologie einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag und hilft laut Sautermeister etwa beim Verstehen gesellschaftlicher und kulturellen Prozesse oder bei der Reflexion ethischer Fragen wie Menschenwürde oder ökologisch-sozialer Gerechtigkeit. Indem die Inhalte des Glaubens mit wissenschaftlichen Methoden reflektiert und in geschichtliche Zusammenhänge eingeordnet werden, leistet die Theologie außerdem einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung fundamentalistischer Strömungen in der Gesellschaft. Hierin liegt neben der Ausbildungspflicht des Staates für die Lehrkräfte im Religionsunterricht ein wesentlicher Grund für die Existenz theologischer Fakultäten an den staatlichen Hochschulen.
Blickt man in die Theologiegeschichte, so zeigt sich, dass gesellschaftliche Umbrüche und inhaltliche Infragestellungen wie die Ausbreitung des Christentums in neue Kulturkreise, die Reformation oder der moderne Atheismus immer wieder zur inhaltlichen Weiterentwicklung beigetragen haben. Der so entstandene Fächerkanon der theologischen Einzeldisziplinen wird üblicher Weise in vier Fachbereiche gegliedert:
Von den Ursprüngen: Die Biblische Theologie
Die Biblische Theologie umfasst die Fächer Exegese des Alten Testaments und Exegese des Neuen Testaments. Begleitend werden biblisches Hebräisch und Alt-Griechisch sowie an manchen Standorten Biblische Zeitgeschichte unterrichtet.
Die Biblische Theologie widmet sich der Exegese, also der Auslegung der biblischen Schriften. Sie ist in die Exegese des Alten und die Exegese des Neuen Testaments unterteilt. Mithilfe der historisch-kritischen Methode wird die Entstehungsgeschichte der biblischen Schriften rekonstruiert, um deren Inhalte im Kontext ihrer jeweiligen Zeit zu deuten. In der alttestamentlichen Exegese stellen sich Fragen der Art, wie sich der Glauben Israels an den einen Gott herausgebildet und in den biblischen Schriften niedergeschlagen hat. Die Exegese des Neuen Testaments fragt etwa nach den Allstellungsmerkmalen in der Predigt Jesu sowie Verbindungslinien zu seiner jüdischen Umwelt.
Um die Kontextualisierung der jahrhundertealten Erzählungen zu erleichtern, wird an manchen Fakultäten ein eigenständiges Fach zur alt- und neutestamentlichen Zeitgeschichte unterrichtet. Wie in jeder Literaturwissenschaft ist auch für die Bibelexegese das Studium der Texte in ihrer Originalsprache notwendig. Sprachkenntnisse in biblischem Hebräisch und Alt-Griechisch gehören deshalb in der Regel zu den Voraussetzungen eines Vollstudiums der Theologie – oder müssen während des Grundstudiums erworben werden.
... über die Tradition: Die Historische Theologie
Zur Historischen Theologie gehören die Fächer Alte Kirchengeschichte oder Patristik sowie Mittlere und Neue Kirchengeschichte. An einigen Fakultäten werden außerdem Spezialfelder wie Frömmigkeits- oder kirchliche Landesgeschichte erforscht.
Im Fachbereich der Historischen Theologie wird die Entwicklung des christlichen Glaubens und Lebens von den Ursprüngen bis in die jüngste Vergangenheit erforscht. Dabei widmet sich die Alte Kirchengeschichte vorrangig den frühchristlichen Konzilien und den davon ausgehenden theologischen Diskussionen bis zur Spätantike. Da sie sich hierbei vor allem auf die Literatur der Kirchenväter bezieht, wird die Alte Kirchengeschichte auch Patristik (Väterlehre) genannt.
Die meist zu einem Fach zusammengefasste Mittlere und Neuere Kirchengeschichte setzt sich mit den Auswirkungen des christlichen Glaubens auf die unterschiedlichen Lebensbereiche des Menschen während des Mittelalters und der Neuzeit auseinander: Welche Rolle spielte etwa die Verbreitung weiblicher Klostergemeinschaften für die Bildungschancen der mittelalterlichen Frau? Welchen Einfluss hatten die Päpste des römischen Barocks auf die Entwicklung des modernen Städtebaus?
Genau wie die weltlichen Geschichtswissenschaften stellt die Kirchengeschichte Thesen über Ereignisse und Personen der Vergangenheit auf und vergleicht dazu verschiedenste Quellen wie Inschriften, Zeichnungen, Briefe oder Urkunden. Dabei gelangt die historische Forschung nie zu einem abschließenden Bild davon, "wie es wirklich war", sondern kann lediglich Interpretationen des Vergangenen unter den Verstehensvorraussetzungen der Gegenwart entwerfen.
... zum heutigen Verstehen: Die Systematische Theologie
Die Systematische Theologie wird häufig als Kernstück des Theologiestudiums betrachtet. Zu ihr zählen die Fächer Religionsphilosophie, Fundamentaltheologie, Dogmatik und Moraltheologie oder Sozialethik.
Die Systematische Theologie erschließt aus verschiedenen Perspektiven die Inhalte des christlichen Glaubens. So werden in der Religionsphilosophie die philosophischen Grundlagen des Glaubens in der griechischen Metaphysik oder der mittelalterlichen Scholastik unterrichtet, aber auch das Denken religionskritischer Philosophen wie Feuerbach oder Kant behandelt.
Die Fundamentaltheologie ist ursprünglich als Krisenprodukt entstanden und versuchte, die "Fundamente des Glaubens" argumentativ zu verteidigen. Um der Gefahr einer negativ verkürzten Abwehrhaltung zu entgehen, versteht sich die Fundamentaltheologie heute dagegen vor allem als Vermittlungswissenschaft: Sie erforscht unterschiedliche Begründungsstrukturen des Glaubens (Offenbarung, Tradition, religiöses Gefühl) und bemüht sich um die Kommunikations- und Anpassungsfähigkeit des christlichen Glaubens, indem sie nach vergleichbaren Phänomenen der Sinnstiftung in den politischen Diskursen der säkularen Gesellschaft oder der zeitgenössischen Kunst sucht.
Im Unterschied zur Fundamentaltheologie, die sich vorrangig mit der Struktur des Glaubens befasst, werden in der Dogmatik seine konkreten Inhalte behandelt. Dabei erschöpft sich ihre Aufgabe nicht in einer enzyklopädischen Auflistung aller Dogmen und Lehrsätze der Theologiegeschichte. Vielmehr geht es der Dogmatik darum, die christlichen Glaubensinhalte ausgehend von den biblischen Schriften und der kirchlichen Tradition für die gegenwärtige Zeit zu übersetzen: Wie lässt sich etwa die eucharistische Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu unter heutigen Denkvoraussetzungen verstehen und neu formulieren? Welches Menschenbild impliziert das Dogma von der gottmenschlichen Doppeltnatur Christi?
Die systematisch-theologische Reflexion wird von der Moraltheologie vervollständigt. Diese fragt nach der Bedeutung des christlichen Glaubens für das Handeln des Menschen als Individuum und Sozialwesen. Ausgehend vom Grundgebot der Gottes- und Nächstenliebe reicht das Themenspektrum der Moraltheologie von konkreten Einzelfragen – beispielsweise nach der Vertretbarkeit einer Notlüge – bis hin zur komplexen Bewertung einer kollektiven Verantwortung in humanitären Katastrophen wie der Flüchtlingskrise oder dem globalen Klimawandel. Dabei steht die Moraltheologie nicht nur im Bereich der Sexualmoral vor der Schwierigkeit, ein vermeintlich unveränderliches "göttliches Gesetz" mit der Wandelbarkeit menschlicher Moralvorstellungen zu vermitteln. Um ethisch relevante Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens genauer zu untersuchen, hat sich an einigen Universitäten die Christliche Gesellschaftslehre als eigenständiges Fach etabliert.
... und konkreten Handeln: Die Praktische Theologie
Zur Praktischen Theologie gehören die Fächer Religionspädagogik, Pastoraltheologie, Liturgiewissenschaft und Kirchenrecht. An einigen Fakultäten werden außerdem weitere Spezialdisziplinen wie Caritas- oder Missionswissenschaft unterrichtet.
Die Praktische Theologie reflektiert schließlich das Handeln der Kirche in ihren unterschiedlichen Wirkungsfeldern. So behandelt die Religionspädagogik die für die Glaubensweitergabe relevanten bildungswissenschaftlichen Aspekte: Wie lässt sich etwa die Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen elementarisieren und in kindgerechte Sprache übertragen? Wie ist der konfessionell gebundene Religionsunterricht im modernen Bildungssystem zu verorten?
In der Pastoraltheologie werden die verschiedenen Bereiche der kirchlichen Seelsorge erforscht und damit die theoretischen Grundlagen für das tägliche Leben der Kirche gelegt. Sie diskutiert nicht nur inhaltliche Kriterien etwa einer zeitgemäßen Predigt, sondern stellt auch strukturelle Fragen: Welche Konsequenzen sind beispielsweise aus der Zunahme von Erwachsenen- gegenüber Kindertaufen für die Gestaltung der Sakramentenvorbereitung in den Pfarreien zu ziehen?
Mit der Entstehungsgeschichte der christlichen Liturgie und den daraus abgeleiteten Vorgaben für die konkrete Feier des Gottesdienstes beschäftigt sich die Liturgiewissenschaft. Eine ihrer Hauptaufgabe besteht darin, angemessene sprachliche und rituelle Ausdrucksformen für die in der Liturgie gefeierten Glaubensinhalte zu identifizieren. Da sie darüber hinaus auch die theologische Bedeutung der einzelnen Sakramente interpretiert, wird die Liturgiewissenschaft mancherorts auch der Systematischen Theologie zugeordnet.
Als weiteres praktisch-theologisches Fach befasst sich das Kirchenrecht mit der Auslegung der päpstlichen Gesetzestexte. Neben konkreten Anwendungsfragen etwa über die kirchenrechtliche Stellung einer zivil geschlossenen Ehe zweier Nicht-Katholiken befasst sich das Fach auch mit rechtstheoretischen Fragen zum Verhältnis von Recht und Gesetz.
Die "Universität im Kleinen"
Betrachtet man die breite Palette der theologischen Einzeldisziplinen, zeigt sich ein eng verflochtenes Netz unterschiedlichster Denkweisen und Forschungsansätze. Die "Universität im Kleinen" bedient sich je nach Fachbereich der charakteristischen Methoden der Philosophie, der Literatur- und Geschichtswissenschaften, der Human-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie Rechtswissenschaft. Wer sich auf ein Theologiestudium einlässt, den erwartet deshalb ein anspruchsvolles und äußerst vielfältiges Bildungsangebot, das weit über den Tellerrand der eigenen kirchlichen Verwurzelung hinausführt und faszinierende Einblicke in die wandelvollen Strukturen der menschlichen Geisteswelt gewährt.
Zahlen und Fakten
In Deutschland gibt es gegenwärtig elf Fakultäten für katholische Theologie an staatlichen Universitäten. Dazukommen weitere acht Fakultäten an kirchlichen oder zumindest teilweise von der Kirche getragenen Hochschulen wie der katholischen Universität Eichstätt. Überall dort kann das fünfjährige Vollstudium der katholischen Theologie absolviert und in den meisten Fällen mit dem Magister abgeschlossen werden. An mehr als 30 weiteren Hochschulorten ist die Theologie mit Instituten und Lehrstühlen vertreten, die vor allem Lehramtsstudiengänge für das Fach katholische Religionslehre anbieten. Außerdem gibt es derzeit sechs Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (früher Fachhochschulen), an denen verschiedene Bachelor-Studiengänge im pädagogischen Bereich belegt werden können.
2019 waren laut Statistischem Bundesamt etwas über 18.000 Frauen und Männern an einer deutschen Hochschule für katholische Theologie eingeschrieben. Damit verzeichnete das Fach in den zurückliegenden 25 Jahren eine recht stabile Gesamtzahl – im selben Zeitraum hat sich die Zahl der Studierenden aller Fächer allerdings annähernd verdoppelt.
Auf dem Internetportal katholische-theologie.info finden sich Informationen über die Inhalte des katholischen Theologiestudiums, über verschiedene Ausbildungsstätten, Studienabschlüsse und Berufsmöglichkeiten.