Bischof Wilmer: Thema Waffenlieferungen an Ukraine "zerreißt mich"
Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer "ringt massiv" mit der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine. "Dieses Thema zerreißt mich", sagte er im Interview der Zeitungen der Verlagsgruppe Bistumspresse (Sonntag) in Osnabrück. Auf der einen Seite verlange das Christentum Zurückhaltung in gewaltsamen Auseinandersetzungen. Auf der anderen Seite habe jeder Mensch das Recht zur Notwehr. Und wer Verantwortung für viele Menschen in einem Gemeinwesen trage, habe eine Pflicht zur Verteidigung des Gemeinwesens.
"Egal, was wir tun, es ist ein Übel", sagte Wilmer. Er leitet die Deutsche Kommission "Justitia et Pax", die sich mit Friedens- und Menschenrechtsfragen beschäftigt. "Wir müssen abwägen, damit wir das geringere Übel wählen, um das größere Übel zu vermeiden." Im Augenblick sei es "die größere Schuld, nichts zu tun – aus einem extremen Pazifismus heraus, der sich grundsätzlich gegen Einmischung und bewaffnete Gegenwehr ausspricht". Es gebe Situationen, "in denen es nicht nur erlaubt ist, Waffen zu liefern, sondern in denen es sogar eine Pflicht ist". Zugleich sei die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
Wie stellen wir Frieden her?
Nach den Worten des Bischofs darf es nicht nur um Kriegsführung und Waffenlieferungen gehen. Es müsse mehr Energie darauf verwendet werden, "wie es uns gelingt, Frieden zu schaffen". Das Ziel christlicher Friedensethik laute nicht: Wie können wir einen Krieg gewinnen? Sondern es gehe um die Frage: Wie stellen wir Frieden her? Deshalb müsse sich noch mehr dafür eingesetzt werden, "weltweit Verbündete zu suchen, alle an einen Tisch zu holen, aus der Politik, der Wirtschaft, den Kirchen und Religionen".
Durch den Ukraine-Krieg drohe die Ordnung der Welt "aus den Fugen zu geraten", so Wilmer. In Europa stiegen die Lebensmittelpreise. Schlimmer werde es in Afrika sein. "Es droht eine riesige Hungerkrise." Es würden noch mehr Menschen Afrika verlassen wollen und in Schlauchbooten übers Mittelmeer flüchten. "Ich fürchte, das Mittelmeer wird ein noch größeres Grab als bisher werden", sagte der Bischof.
Unterdessen forderte das Oberhaupt der eigenständigen Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanius, eine Unterstützung des Landes auch mit Waffenlieferungen. "Wir bitten um Gebete, wir danken für humanitäre Hilfe und die Aufnahme von Geflüchteten", sagte Epiphanius am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. "Wir bitten aber auch um größere Hilfe durch schärfere Sanktionen und Waffen."
Das Oberhaupt der nach eigenen Angaben größten orthodoxen Kirche in der Ukraine warnte vor falschen Friedensangeboten: "Wir sind mit einer Logik der Versöhnung nicht einverstanden, wenn wir dafür Territorien an Putin geben müssen." Eine solche Logik werde nicht zu einem Frieden führen. Epiphanius sprach sich zudem für einen EU-Beitritt der Ukraine aus. Die EU stehe nicht nur für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, sondern auch für gemeinsame Werte wie Frieden und Demokratie.
Scharfe Kritik an Kyrill I.
Scharfe Kritik äußerte Epiphanius am Moskauer Patriarchen Kyrill I. Dabei sprach er während der Podiumsdiskussion mehrfach von Herrn Gundjajew, nannte Kyrill also bei seinem bürgerlichen Nachnamen. "Er segnet die russische Armee", sagte Epiphanius. "Er sagt, dass diese Aggression richtig ist." Auch Menschen, die Kyrill "für einen Priester halten", würden dafür getötet. "Wir haben erwartet, dass Gundjajew endlich auf die Liste des sechsten Sanktionspakets kommt", sagte Epiphanius. So lange in der Ukraine eine Struktur des Moskauer Patriarchats existiere, werde Putin glauben, dass er in der Ukraine mit Blumen empfangen werde. "Wir sehen doch die Grausamkeiten, die russische Soldaten in Ukraine verrichten", sagte Epiphanius. "Sind das Werte, die durch die russisch-orthodoxe Kirche geschützt werden?" Wenn der Leiter des Patriarchats solche Grausamkeiten segne, gehöre das nicht mehr zum Christentum.
Der römisch-katholische Bischof von Kiew-Schytomyr, Vitalii Kryvytskyi, äußerte sich ähnlich: "Wir brauchen Waffen, um uns zu verteidigen", sagte Kryvytskyi. Menschen verlören ihre Leben, wenn sie sich nicht verteidigen könnten. "Wenn wir sagen, wir frieren, kriegen wir Decken", sagte Kryvytskyi. Wer hungere, bekomme Konserven. "Aber wenn auf uns Bomben fallen, dann bitten wir darum, uns Waffen zu liefern." Die Ukraine brauche derzeit keine internationalen Konferenzen ausrufen, wo wieder über Frieden debattiert werde. "Bitte reagiert auf unseren emotionalen Schrei wie auf ein Signal eines Rettungswagens. (tmg/KNA)