Berater zur Neu-Inszenierung der Oberammergauer Passion

Theologe Mödl: "Stückl ist ein besserer Prediger als mancher Bischof"

Veröffentlicht am 19.06.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

München/Oberammergau ‐ Kritiker sind voll des Lobes über die diesjährige Inszenierung der Oberammergauer Passion. Der Pastoraltheologe Ludwig Mödl spricht im Interview über die Neuerungen – und darüber, was die Kirche von Spielleiter Christian Stückl lernen kann.

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Seit Mitte Mai sind in Oberammergau die 42. Passionsspiele zu sehen. Die Feuilletons feierten Christian Stückl für seine Inszenierung. Theologischer Berater war 2022 wie schon 2000 und 2010 der Münchner Pastoraltheologe Ludwig Mödl (84). Im Auftrag des Münchner Kardinals Reinhard Marx und in Absprache mit dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hatte er die Aufgabe übernommen. Auch er lobt die Inszenierung: Sie schaffe es, den heutigen Menschen etwas zu sagen.

Frage: Professor Mödl, die Kritiken nach der Premiere waren durchweg positiv. "Eine Passion für Ungläubige", hieß es oder "etwas, was man gesehen haben muss". Was war Ihr Eindruck?

Mödl: Christian Stückl hat seine bereits für die Passion 2000 eingeschlagene Linie noch einmal perfektioniert. Sein Ziel war es, Christen oder Nicht-Christen verständlich zu machen, was Jesus wollte. Es ist eine Vermittlung des Christentums geworden, die nicht so stark kirchlich eingefärbt ist wie früher. Aber die meisten dürften das gar nicht gemerkt haben.

Frage: Was gibt es nicht mehr?

Mödl: Weggefallen ist dieser so überfeierliche Prolog und die Inszenierung des Chores mit liturgischen Gewändern. Dieses Mal tragen die Chormitglieder Kostüme im Stil der Zeit, als das Passionsspiel seinen Anfang nahm. Sie erinnern an amerikanische Siedler und damit an Leute, die ganz im Glauben stehen und dies auch leben. Die Alltäglichkeit des Christlichen wird so viel stärker betont und nicht die überhöhte Feierlichkeit einer wunderschönen Liturgie.

Bild: ©picture alliance / dpa (Archivbild)

Der emeritierte Münchner Pastoraltheologe Ludwig Mödl ist zum dritten Mal theologischer Berater der Oberammergauer Passionsspiele.

Frage: Stückl sagt, es gehe ihm nicht mehr so sehr um die theologischen Auseinandersetzungen, sondern darum, wie dieser Jesus für Arme, Kranke oder Flüchtlinge da ist. Erfüllt er das?

Mödl: Auf alle Fälle. Jesus tritt stärker prophetisch auf als bisher. Es sind noch einige markante Sätze aus den Propheten-Büchern und dem Neuen Testament im Text dazu gekommen, den Stückl wiederum überarbeitet hat. Klar wird: Jesus geht es um den Menschen und nicht um die Organisation einer Kirche. Aber dennoch verbindet er die Menschen mit dem Göttlichen und Ewigen. Deutlich verändert hat Stückl auch die Rolle des Pilatus. Dieser ist nun ein wirklicher Brutalo, der zynisch die jüdische Religion und die Person Jesus verspottet.

Frage: In den Evangelien kommt Pilatus deutlich besser weg...

Mödl: Natürlich. Die Evangelien sind in einer Zeit geschrieben, als die staatlichen Organisationen schon skeptisch gegenüber dem Christentum waren. Da musste man zeigen, dass das Christentum nicht gegen das Römische Reich ist und stellte den römischen Statthalter als den Repräsentanten dieses Reiches entsprechend dar.

Frage: Was ist noch anders?

Mödl: Die Auseinandersetzung im Hohen Rat. Die Gruppe der Jesus-Befürworter ist dort viel größer geworden. Deutlich jüdisch eingefärbt sind auch die liturgienahen Szenen etwa beim Abendmahl. Die waren 2010 schon beeindruckend und sind jetzt noch stärker, weil etwa die Innenbühne mit dem Zelt vergrößert wurde und alle auf der Bühne Gebete in Hebräisch deklarieren. Außerdem spricht Jesus nicht mehr die "christlichen Einsetzungsworte". Stückl belässt es beim jüdischen Lobpreis. Für Insider mag das irritierend sein, weil diese automatisch die Worte "Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird" mitdenken. Aber durch das Schweigen kommt viel deutlicher heraus, dass es bei allem um den großen Lobpreis gegenüber Gott geht.

Frage: Auch das Johannes-Evangelium verzichtet auf die Einsetzungsworte.

Mödl: Das ist richtig. Dort wird die Fußwaschung Jesu an seinen Jüngern gleichgesetzt mit den Einsetzungsworten bei den drei anderen Evangelien und damit die enge Verbindung von Eucharistie und Liebesdienst betont. Indem Stückl die Einsetzungsworte weglässt, hebt er hervor, dass hier eine kultische Feier stattfindet, die ganz eng mit dem Alltagsleben eines Abendessens zusammenhängt und die Nähe des Göttlichen spüren lässt. Er betont also jenes mystische Element, das im katholischen Gottesdienst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil etwas in den Hintergrund trat, aber im Feiern des jüdischen Pessachfestes deutlich zu finden ist.

Regisseur Christan Stückl bei einem Vortrag
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Spielleiter Christian Stückl sei dort angekommen, wo er immer hinwollte: "die Passion Jesu so darzustellen, dass sie den heutigen Menschen etwas sagt".

Frage: Ein Blick auf Judas. Der galt immer als "bad guy", der den Herrn verraten hat. Doch nun empfindet man für ihn Sympathie. Wurde da etwas herausgearbeitet, was die Exegese nie berücksichtigt hat?

Mödl: Solche Überlegungen finden sich schon vereinzelt. Aber in diesem Spiel wird der Verrat an dem Verräter noch offensichtlicher. Judas hofft, dass Jesus die Römer rauswirft und ein neues, gerechteres Reich schafft. Wie die Zeloten versteht er Religion politisch. Deshalb will er Jesus mit Kaiphas zusammenbringen, damit sie gemeinsam handeln. Doch das ist illusorisch. Judas merkt das viel zu spät. Im Gegensatz zu Petrus, der mit fast gleichen Worten seine Schuld einsieht, den Herrn ebenfalls verraten zu haben. Er aber glaubt an den Kern der Botschaft Jesu, dass es für jeden, der sich Gott zuwendet, eine Vergebung und damit eine neue Chance gibt. So kann er erhobenen Hauptes von der Bühne gehen, während Judas sich in Verzweiflung erhängt.

Frage: Trotz aller Kirchenkritik sind die Leute bereit, sich über Stunden die Geschichte Jesu anzusehen. Schaut die Kirche mit Neid auf Oberammergau?

Mödl: Nicht mit Neid, sondern mit Freude. Hier wurde ein Format für die christliche Botschaft gefunden, das wir anstreben, aber angesichts der Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft nur marginal erreichen. Die etablierten Organisationen, auch der Staat, werden hinterfragt. Ich kann nur mit Freude sehen, was Stückl geschafft hat. Wir haben 2000 und 2010 viel miteinander beraten, zuletzt aber nicht mehr so viel. Dennoch kann ich die Änderungen gut mittragen. Stückl ist ein genialer, wenn auch skeptischer Theologe und zugleich ein genialer Regisseur, und somit ein Vermittler. Der braucht keine kirchliche Nachhilfe. Er denkt aber mehr kirchlich als er sich selber zugibt und weiß.

Frage: Hat Stückl mit seiner vierten Inszenierung der Passion den Zenit erreicht?

Mödl: Das kann ich nicht beurteilen. Er ist jedenfalls dort angekommen, wo er immer hinwollte: die Passion Jesu so darzustellen, dass sie den heutigen Menschen etwas sagt. Und damit ist er wirklich, ohne es zu wollen, ein besserer Prediger als mancher Professor, Priester und Bischof.

Von Barbara Just (KNA)