Vom öffentlichen Bekenntnis zum privaten Gespräch

Oft verändertes Sakrament: Die Geschichte der Beichte

Veröffentlicht am 03.10.2022 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wie mit Verfehlungen umgehen? Darauf haben Christen in verschiedenen Jahrhunderten ganz unterschiedliche Antworten gefunden. Unter den sieben Sakramenten ist die Beichte bis heute das mit den meisten Veränderungen, die auf zahlreiche Einflüsse zurückgehen.

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Es sind oft klobige, schwere Möbel, die da in vielen Kirchen stehen. Manchen erinnern sie an Kleiderschränke, und in dieser Art werden sie mangels eigentlicher Nutzung auch umfunktioniert, etwa als Notenlager. So unpopulär das Möbel auch sein mag – der Beichtstuhl steht stellvertretend für das Sakrament der Buße und der Versöhnung, die Beichte. Der Priester in der Mitte, die oder der Beichtende, Pönitent genannt, an der Seite – und dann wird von Sünden erzählt, also von Verstößen gegen Gottes Gebote, wodurch man sich von Gott entfernt hat. Wie der Umgang mit solchen Verfehlungen aussieht, hatte in der Kirche schon ganz unterschiedliche Formen.

Die Umkehr von einer sündigen hin zu einer gottgefälligen Lebensweise ist schon im Judentum wichtig, davon zeugt bereits die Bibel: So wird etwa im Buch Levitikus ausführlich ein von Gott gewünschtes Bußritual beschrieben, das Kapitel schließt mit dem Satz: "Das soll für euch als ewige Satzung gelten: Einmal im Jahr soll für die Israeliten von allen ihren Sünden Versöhnung erwirkt werden. Und man tat, wie es der HERR dem Mose geboten hatte." (Lev 16,34) Auch im Buch Jona spielt die Buße eine Rolle: Um der Zerstörung ihrer Stadt durch Gott zu entgehen, tun die Einwohner von Ninive öffentlich Buße: "Sie riefen ein Fasten aus und alle, Groß und Klein, zogen Bußgewänder an." (Jon 3,5)

Im Neuen Testament nimmt dann Jesus für sich in Anspruch, Sünden vergeben zu können. Das legen ihm seine Kritiker als Gotteslästerung aus, denn nur Gott kann Sünden vergeben. Dass Jesus aber Sünden vergeben kann, zeigt, dass er Gott ist. Um das zu beweisen, vergibt er einem Gelähmten im Markusevangelium seine Sünden und erlöst ihn gleichzeitig von seinem Leiden: "Steh auf, nimm deine Liege und geh nach Hause!" (Mk 2,11) Sünden zu vergeben, trägt Jesus auch den Aposteln auf: "Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten." (Joh 20,22f.)

Handfeste Gemeindeordnung

Das sieht zu Beginn des Christentums oft sehr handfest aus: "Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner", heißt es etwa in einer frühen Gemeindeordnung (Mt 18,15-17).

Papst Franziskus tauft ein Kind in der Sixtinischen Kapelle am 10. Januar 2016.
Bild: ©KNA

Das Zeichen für die Umkehr war eigentlich die Taufe.

Das Zeichen für die Umkehr im Leben war zu dieser Zeit die Taufe – denn sie stand für die Zuwendung des Menschen zu Gott und dem Bekenntnis zu seiner Gemeinschaft. Dabei galt die mit der Taufe verbundene Sündenvergebung zunächst als einmaliger Akt. Wer nach der Taufe weiter sündigte, hatte sich selbst abseits der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen stellt, also selbst exkommuniziert. Doch mit wachsender Größe der Gemeinden stieg das Bewusstsein für eine "zweite Chance". Das wurde vor allem in Verfolgungszeiten virulent, wenn Christen ihre Religion aus Angst um ihre Sicherheit verleugneten, nach Ende der Verfolgungen aber wieder Mitglied der Gemeinde sein wollten. Der Weg zur Wiederaufnahme in die Gemeinschaft war steinig: Die Sünder mussten ihre Taten vor der Gemeinde bekennen, beim Gottesdienst auf bestimmten Plätzen sitzen und die Feier nach dem Wortgottesdienst verlassen, waren also vom Mahl ausgeschlossen. Sie mussten sich speziell kleiden, durften sich nicht waschen und keinen Sex haben – und das für längere Zeit. In der Regel betete die Gemeinde in Anlehnung an das Fasten Jesu in der Wüste (Mt 4,2) 40 Tage für sie. Danach konnten sie durch eine feierliche Liturgie wieder in die Gemeinde aufgenommen werden. Dieses Bußzeremoniell galt aber nur für bestimmte Verfehlungen: Mord, Ehebruch und Abfall vom Glauben – also von außen klar erkennbare, auch öffentlich sichtbare Taten. Der ganze Prozess der Wiedereingliederung nannte sich damals "große Kirchenbuße" und war auch eine Reaktion auf die damalige Realität. Wer als Christ sündigte, dessen Taten färbten auf das Ansehen der ganzen Gemeinschaft ab, er brachte die Gemeinde in Verruf. Die Buße war eine öffentliche Angelegenheit.

"Große Kirchenbuße" war kein Spaß

Die "große Kirchenbuße" war kein Spaß – und deshalb wollten sie die Menschen so lange wie möglich vor sich herschieben. Zudem war sie nur einmal im Leben möglich, schließlich war die eigentliche Loslösung von den Sünden die Taufe, die Beichte also schon ein Entgegenkommen. All diese Umstände führten dazu, dass die Buße nach hinten geschoben wurde: Bald hatte sie sich zu einem Vorbereitungssakrament für den Tod entwickelt.

Das änderte sich fundamental ab dem 6. Jahrhundert: Das Weströmische Reich zerfiel und einige der mit ihm entstandenen christlichen Infrastrukturen auch, viele Menschen kehrten zu ihren paganen Traditionen zurück. Das spornte Mönche aus Irland und Schottland an, die Menschen im ehemaligen Reich erneut zu missionieren. Einer von ihnen war etwa der heilige Bonifatius. Die Mönche brachten nicht nur ihren Glauben, sondern auch ihre Traditionen mit auf das Festland. Dazu gehörte auch eine besondere Bußform: Die Mönche hatten einmal pro Woche, am Samstag, Gelegenheit, ihrem Abt, also dem geistlichen "Vater", in einem vertraulichen Gespräch zu sagen, ob und wie sie gegen die Ordensregel verstoßen hatten. Das entsprach noch nicht der Beichte, wie wir sie heute kennen, sondern eher einer Art Seelsorgegespräch. Ratschläge für eine bessere Lebensführung standen im Mittelpunkt. Nach und nach kamen zu diesen Anlässen auch die Menschen der Umgebung in die Klöster und nahmen daran teil. Bald waren dann nicht mehr nur der Abt, sondern auch andere Mönche und Nonnen sowie andere im Glauben Erfahrene aus der Mitte der Gemeinschaft Ansprechpartner für solche Gespräche. Es entstand die sogenannte Laienbeichte, von deren vergebender Wirkung nicht zuletzt Thomas von Aquin überzeugt war. Er sah es als Verpflichtung eines jeden an, einem Sterbenden die Beichte abzunehmen.

Ein Priester gewährt die Absolution im Beichtstuhl
Bild: ©Fotolia.com/Piotr Slizewski

Das Beichtgeheimnis ist bis heute ein wichtiger Bestandteil der Beichte.

Bei diesem Format ging es nicht mehr darum, vor der Gemeinschaft kapitale und Aufsehen erregende Fehltritte zu bekennen, sondern es gab einen geschützten Raum, in dem es unter dem Beichtgeheimnis um alltägliche, innere, auch vermeintlich kleinere Sünden ging. Das kam nicht bei jedem gut an: Es gab Bischöfe, die die neue "Ohrenbeichte" als Verwässerung auffassten. Auf dem dritten Konzil von Toledo 589 wurde beschlossen, dass diese "schändliche, abscheuliche und übermütige Neuheit" ausgerottet und die Buße nach der früheren kanonischen Form" wieder eingeführt werden sollte.

Ohrenbeichte setzt sich durch

Die Ohrenbeichte setzte sich dennoch durch, im Gegensatz zur bisherigen Praxis war sie privater und nicht nur auf Einmaligkeit ausgelegt, sondern beliebig wiederholbar. Das Vierte Laterankonzil legte 1215 sogar fest, dass jeder Christ mindestens einmal im Jahr zur Beichte gehen muss – das gilt bis heute. Dazu wird das Beichtgeheimnis festgeschrieben, dessen Bruch für den Priester die Suspension bedeutete. Heute ist dieser Bruch mit der Exkommunizierung verbunden. Zu dieser Zeit entstanden Kataloge, die festlegten, welche Sünden wie schwer waren und welche Zeichen der Reue zu leisten waren. Sehr beliebt waren Wallfahrten, was dem Pilgerwesen einen Aufschwung bescherte.

Die Wahrnehmung der Beichte änderte sich dann im Laufe des Mittelalters, mehr und mehr wurde es als angemessen angesehen, sündenfrei die Kommunion zu empfangen. Das heißt, dass vor der Eucharistie gebeichtet werden musste – und das so genau wie möglich. Aus dem seelsorglichen Gespräch der iroschottischen Mönche wurde eine Art kleines Sündentribunal. Spuren davon sind bis heute sichtbar: Denn der Beichtstuhl entstand aus dem Richterstuhl des Priesters, neben den sich die Gläubigen setzen. Nach dem Konzil von Trient verschwand die Laienbeichte, die Macht wurde auf den Priester konzentriert.

Ein Beichtstuhl im Fuldaer Dom.
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht/

Der Aufbau eines Beichtstuhl ist einem Richterstuhl nachempfunden.

Durch diese Entwicklungen fühlten sich die Gläubigen einem hohen Druck ausgesetzt: Hatte man vielleicht eine kleine Sünde vergessen aufzuzählen und war trotz Beichte des Kommunionempfangs unwürdig? Der vom Lehramt ausgegebene Druck fiel auf andere Sakramente zurück: Denn aus Angst, etwas falsch zu machen, gingen die Menschen immer seltener zur Eucharistie. Da sie einmal im Jahr zur Beichte gehen mussten, gingen sie auch oft nur einmal im Jahr zur Kommunion, erfüllten also nur die kirchlichen Minimalanforderungen. Gleichzeitig entwickelte sich die Eucharistiefeier mehr und mehr weg von einer Feier der gesamten Gemeinde hin zu einer Liturgie der Geistlichen, der die Gemeinschaft lediglich beiwohnte und in der Regel nicht die Eucharistie empfing.

Beichtsturm im 20. Jahrhundert

Papst Pius X. rief die Gläubigen dann Anfang des 20. Jahrhunderts dazu auf, häufiger die Eucharistie zu empfangen. Es entstand ein wahrer Beichtsturm. Der Liturgiewissenschaftler Hand Bernhard Meyer bezeichnet diesen als "Verarmung des Bußwesens", weil "nicht nur die Kapitalsünden, sondern auch alle leichteren Verfehlungen, ja selbst kleine Fehler und Unvollkommenheiten" gebeichtet wurden. Dabei sei vergessen worden, "dass solche Dinge durchaus hinreichend auch außerhalb der sakramentalen Beichte bewältigt werden können".

Diesen Gedanken gab es auch in der Liturgischen Bewegung in Deutschland und im Frankreich der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Mehr und mehr wurden gemeinschaftliche Bußformen gepflegt, etwa im Advent oder in der Fastenzeit: Auf eine Liturgie mit Gebeten und einem gemeinsamen Schuldbekenntnis folgte die Einzelbeichte.

Dossier: Das Sakrament der Buße

Die Buße ist ein ständiger Vorgang im Leben des Christen. Das Bußsakrament - die Beichte - schenkt dem getauften Christen, der seine Schuld bereut und sie vor dem Priester bekennt, die Vergebung seiner Sünden.

Diese Form hatte auch Einfluss auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65). In dessen Nachgang wurden Modelle für Bußgottesdienste ausgearbeitet, in denen es im Rahmen einer liturgischen Feier mit Gebeten, Lesungen und Liedern um die Themen Schuld, Buße und Versöhnung ging. Allerdings werden diese Feiern deutlich von der sakramentalen Einzelbeichte unterschieden, ein Einzelgespräch kann also nicht durch einen Gottesdienst ersetzt werden. Doch es gibt auch die Möglichkeit zur sakramentalen Generalbeichte, die erlaubte die päpstliche Gnadenbehörde 2020 etwa in Corona-Krisengebieten.

Heute führt die Beichte unter den Sakramenten ein Schattendasein, ein Buchtitel nennt sie gar "das ungeliebte Sakrament". Nicht zuletzt durch zahlreiche mit der Beichte verbundene Missbrauchsfälle hat der Beichtstuhl – immer noch in der Richter-Bittsteller-Anordnung – weiter an Rückhalt eingebüßt. Der Umgang mit Fehltritten steht in der Geschichte des Christentums nicht zum ersten Mal zur Disposition.

Von Christoph Paul Hartmann