Seit 30 Jahren dürfen Mädchen offiziell Messdienerinnen sein
"Papst Johannes Paul II. war auf Deutschlandbesuch, und wir pilgerten alle zu Fuß zum Butzweiler Hof in Köln. Voller Begeisterung und mit neuen geistlichen Liedern auf den Lippen", erinnert sich Claudia Nothelle. Noch am selben Wochenende versahen die damals 16-Jährige und eine Freundin in ihrer Heimatgemeinde Sankt Martinus im Kölner Stadtteil Esch zum ersten Mal den Dienst als Ministrantinnen - auch wenn dies offiziell noch gar nicht gestattet war. "Wir hatten es endlich geschafft: Wir gehörten auch dazu."
Das war im November 1980, liegt nun also schon 42 Jahre zurück. Erst 30 Jahre datiert hingegen die offizielle Bestätigung aus dem Vatikan. Am 11. Juli 1992 verkündete der Papst - der nämliche Johannes Paul II. - dass der Kanon 230 des Kirchenrechtes, der den Zugang zum Ministrantenamt regelt, tatsächlich so zu interpretieren sei, dass auch Mädchen den Dienst vollziehen dürften.
Zu diesem Zeitpunkt waren Mädchen im Altardienst in Europa und Nordamerika jedoch schon keine Seltenheit mehr. Bereits in den 70er und 80er Jahren - noch im Aufbruchsgeist des Konzils - gab es in den Diözesen, wo die Bischöfe es gestatteten, die ersten weiblichen Messdiener. Und das obwohl der Vatikan aktiv, aber erfolglos versuchte, das zu unterbinden. Ein wichtiger Öffnungsschritt war die Neufassung des Kanon 230 im Jahr 1983: "Alle Laien" - eben nicht nur die männlichen - sollten demnach die Aufgabe wahrnehmen können.
Jugendliche wie Nothelle hatten sich aktiv für dieses Recht eingesetzt. Schon lange zuvor hatte sie sich in der Kirchengemeinde engagiert, im Chor gesungen und Schaukästen gestaltet. Die Kirche war für sie damals "fast wie ein zweites Zuhause" in dem man auch gleichgesinnte Freunde traf - nur beim Ministrantendienst war es eben nicht gleich: "Dann standen die einen mitten im Altarraum, die anderen saßen wie meine Schwestern und ich in der Bank."
Beim Messedienen ging es vor allem um Partizipation, nach dem Motto "Dabei sein ist alles", so die Journalistin: "Auf den Altarstufen zu knien, das Allerheiligste zu inszensieren oder auch Karfreitag mit den Klappern durch den Ort zu fahren: All das hat mir und uns den Glauben noch einmal auf eine ganz andere Art nahe gebracht und viel dazu beigetragen, dass die katholische Kirche bis heute meine Heimat ist. Liturgie, das wusste ich damals schon, ist eben nicht nur etwas für Jungen."
Zu den prominenten Vertreterinnen dieser Generation gehörte auch die ehemalige Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Noch lange vor ihrer Parteikarriere war die 1970 in Rheinland-Pfalz geborene Politikerin fest in der katholischen Kirche und Jugendarbeit verwurzelt. Auch der Titel ihrer 2012 erschienenen Biografie "Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist" deutet auf diese starke Verbindung hin. Mit 9 Jahren wurde sie Messdienerin. Die Zeit in ihrer katholischen Gemeinde betonte sie später mehrfach als Wurzel ihres parteipolitischen Engagements.
Auch für die ehemalige RBB-Chefredakteurin Nothelle wurde die Arbeit als Messdienerin in der Folge zu einem der wichtigsten Orte für ihr Engagement - ob vor Ort in der Gemeinde, auf Bistumsebene, auf Wochenenden im Haus Altenberg oder in Rom bei der internationalen Ministrantenwallfahrt. Gerade letzteres ist ihr in diesem Zusammenhang im Gedächtnis geblieben: "Dort hat der Papst dann auch die Mütter und Schwestern der Messdiener aus Deutschland begrüßt, wir haben uns darüber amüsiert und weiter gemacht - ein 'gerade jetzt' hat uns angetrieben."
Was jedoch immer noch fehlte, war die endgültige rechtliche Sicherheit. Seitdem diese 1992 schließlich gewährleistet ist, sind Messdienerinnen aus der Kirche nicht mehr wegzudenken. Tatsächlich gibt es nach Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz inzwischen mehr Ministrantinnen als Ministranten. Rein theoretisch könnte ein Bischof darauf bestehen, dass nur Jungen am Altar dienen. Das würde wohl aber unweigerlich zu einem Zusammenbruch des örtlichen Messdienertums führen - abgesehen vom öffentlichen Gegenwind, der bei einer solchen Entscheidung zu erwarten wäre.
Das weiß auch Nothelle. Die Professorin für Fernsehjournalismus an der Universität Magdeburg-Stendal setzt sich weiterhin für Gleichberechtigung in der katholischen Kirche ein, seit November 2021 als Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Damit trägt sie zum Fortgang des Reformdialogs der katholischen Kirche in Deutschland, dem Synodalen Weg, bei. "Unsere Generation wuchs auf mit dem Gedanken der Gleichberechtigung: Uns sollten keine Türen verschlossen bleiben. Das sollte auch für die Kirchentür gelten. Und genau weil uns die Kirche wichtig war, und immer noch ist, haben wir darum gekämpft."