Soziologin: Würde mit Papst gerne über Frauenbild der Kirche sprechen
Für Austausch und Diskussion sei bei der ersten Tagung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften kaum Zeit gewesen, sagt Jutta Allmendinger. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung blickt im Interview auf das Treffen zurück. Sie hoffe auf weitere Gesprächsmöglichkeiten – auch mit dem Papst.
Frage: Frau Allmendinger, nicht nur die katholische Kirche in Deutschland befindet sich gegenwärtig in einer Krise. War das bei der Konferenz ein Thema, und wurde auch über Reformbestrebungen gesprochen?
Allmendinger: Das hatte ich eigentlich erwartet. Aber Ursachen der Krise der katholischen Kirche und die hohen Austrittszahlen in den westlichen Ländern waren kaum Thema – höchstens die ökonomischen Folgen, etwa dass für bestimmte kirchliche Projekte nicht mehr so viel Geld vorhanden ist.
Ich hatte gedacht, dass wir da als Wissenschaftler und Wissenschaftlerin gefragt sind: Beim Thema Familie etwa hätten wir auch einen guten Ansatz gehabt, unsere Vorstellungen mit Blick auf das Frauenbild der Kirche einzubringen. Allerdings war das im Rahmen der Konferenz nicht vorgesehen.
Frage: Sondern?
Allmendinger: Es war eine genau durchgetaktete Konferenz mit Vorträgen und Diskussionen von jeweils ungefähr 20 Minuten Länge. Leider war die Zeit für Fragen und Austausch sehr kurz. Das fand ich schade, denn nach meinen Erfahrungen kann vor allem in der Debatte Neues entstehen. In Zukunft wäre es daher gut, bei Konferenzen einige Stunden zur Besprechung aktueller Themen zu reservieren. Bedauerlich war auch, dass die berufenen Mitglieder sich erst am Ende der dreitägigen Konferenz vorstellen konnten. Beim nächsten Zusammentreffen würde ich in jedem Fall ansprechen, ob die Vorstellung nicht am Anfang geschehen könnte. Das würde den Austausch anstoßen und erleichtern.
Frage: Worüber haben die Konferenzteilnehmer und -teilnehmerinnen inhaltlich gesprochen?
Allmendinger: Es ging unter anderem um den Stellenwert der Familie in unserer Gesellschaft, die Fertilität, die Stellung von Frauen, die Einordnung von künstlichen Befruchtungen und um das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare. Darüber wurde jedoch in meinen Augen auf einem eher abstrakten philosophischen Niveau gesprochen.
Warum der Vatikan die Wissenschaft ignoriert
Neue Quellen, neue Erkenntnisse: Die Wissenschaft entwickelt sich jeden Tag weiter. In den lehramtlichen Dokumenten der Kirche kommt davon je nach Disziplin allerdings wenig an. Warum? Das hat viel mit einem veralteten Kirchenverständnis zu tun – und hat Folgen für das kirchliche Leben.
Frage: Auch da hatten Sie andere Erwartungen?
Allmendinger: Ja, ich hatte erwartet, dass wir darüber diskutieren, was diese Fragen für den Alltag in den katholischen Gemeinden vor Ort bedeuten. Und was die Kirche hier besser machen kann.
Frage: Haben Sie das angesprochen?
Allmendinger: Soweit es möglich war. Ich habe versucht, das Thema auf eine konkrete Ebene herunterzubrechen: Was bedeuten neue Familienformen oder künstliche Befruchtung für die betroffenen Kinder? Hier zeigen Studien eindeutig, dass Stabilität und Kontinuität von Familien entscheidend sind und nicht die Frage, ob die Eltern homosexuell oder heterosexuell sind.
Frage: Wie waren die Reaktionen?
Allmendinger: Bei mir ist schon der Eindruck entstanden, dass man diese Fragen mit einer gewissen Zögerlichkeit behandelt. Andererseits wurde mir zugehört, meine Beiträge wurden nie unterbrochen. Ich bin ja in die Akademie berufen worden und habe mich nicht selbst bestellt oder beworben. Dass ich ein modernes Frauen- und Familienbild vertrete, war und ist bekannt. Deshalb gehe ich davon aus, dass mein Input erwünscht ist.
Frage: Sie hatten ja auch die Gelegenheit, den Papst zu sehen. Wie war diese Begegnung?
Allmendinger: Den Papst empfand ich als sehr offen und neugierig – ich freue mich deshalb auf einen weiteren Austausch mit ihm.
Frage: Worüber würden Sie gerne mit ihm sprechen?
Allmendinger: Natürlich würde ich mich mit ihm gerne über das konservative Frauenbild der Kirche unterhalten und wie das zeitgemäßer aussehen könnte. Auch über Unrecht, also über die Missbrauchsfälle in der Kirche und den Umgang damit, würde ich mit ihm gerne sprechen. Die Kirche muss Antworten geben – darauf, wie sie Vertrauen zurückgewinnt und das riesige Problem mit den Austrittszahlen in den Griff bekommt.
„Diesen gesellschaftsprägenden Auftrag als Ort der Begegnung müsste die Kirche ernster nehmen. Sie hat die große Chance, Raum zu geben, damit Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen zusammenkommen.“
Frage: Was sollte die Kirche Ihrer Meinung nach tun?
Allmendinger: Sie kann auf jeden Fall die Potenziale der Mitglieder der Päpstlichen Akademie stärker nutzen und sie für konkrete Beratungen anfragen. Ich bin selbst nicht katholisch, sondern in der evangelischen Kirche groß geworden. Der Konfirmandenunterricht hat mir, die ich aus einem sehr behüteten Elternhaus kam, sehr gut getan. Ich bin dort mit sehr unterschiedlichen Menschen in Kontakt getreten, das war bereichernd für mich.
Diesen gesellschaftsprägenden Auftrag als Ort der Begegnung müsste die Kirche ernster nehmen. Sie hat die große Chance, Raum zu geben, damit Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen zusammenkommen. So könnte die Kirche einen Beitrag dazu leisten, dass Vertrauen innerhalb der Gesellschaft, der Kitt für unseren Zusammenhalt, wächst.
Frage: Dieses Anliegen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und vor allem in der Pandemie aufgetretenen Spaltungen entgegenzuwirken, hat sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf die Fahnen geschrieben. Was sagen Sie zu seinem Vorschlag nach einem sozialen Pflichtdienst?
Allmendinger: Ich halte ihn für gute Idee, wenn er nicht nur die jungen Menschen betrifft. Die gesamte Bevölkerung sollte sich dabei angesprochen fühlen; dann könnte ein solches Programm den Austausch zwischen den Menschen, gegenseitige Anerkennung und letztlich Vielfalt fördern.
Frage: Als Wissenschaftlerin beraten Sie auch immer wieder die Bundesregierung etwa in Fragen zur Familienpolitik. Sehen Sie die Ampelregierung in dieser Frage auf einem guten Weg?
Allmendinger: Für mich sind die geplanten Reformen zu zaghaft. Viele Schritte mit Blick auf die Gleichberechtigung folgen ökonomischen Zwängen. Wir sind eines der Länder mit dem höchsten Durchschnittsalter, jedes Jahr verlieren wir rund eine Million Beschäftigte, die in den Ruhestand gehen, und nur 450.000 junge Menschen steigen jährlich in den Arbeitsmarkt ein.
Zudem sehe ich nach wie vor keine Familienpolitik aus einem Guss: Wir leisten uns weiterhin das Ehegattensplitting, das den Reiz vor allem für viele Frauen erhöht, in Teilzeit zu arbeiten, einem Midijob oder gar einem nicht-versicherungspflichtigen Minijob nachzugehen. Angesichts der vielen Herausforderungen – Pandemie, Krieg, Klima, Lebensmittelversorgung – wird es aber besonders wichtig sein, sich bei allen Maßnahmen zu fragen, wie groß der Gender Impact ist, also in welchem Maße Frauen davon betroffen sind und sie entsprechend zu unterstützen.