Soziologe Pickel: Kirche muss sich demokratischen Strukturen öffnen
Der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel sieht die Kirchen in Deutschland zunehmend in der Pflicht, mit anderen Religionsgemeinschaften zusammenzuarbeiten. Sie müssten sich darauf einstellen, "dass die Quasi-Monopole der Volkskirchen langsam zu Ende gehen", sagte der Religionswissenschaftler im Interview der "Welt" (Mittwoch). "Bald könnte man eine Religionsgemeinschaft unter vielen anderen sein." Dies setze etwa für den Gemeindepriester vor Ort eine Expertenrolle in religiösen Fragen voraus, "nicht nur für die eigene Konfession".
Zudem mahnte Pickel eine Öffnung insbesondere der katholischen Kirche zu "demokratisch-pluralistischen Strukturen" an, um in der Gesellschaft weiter bestehen zu können. So müsste die Kirche etwa ihre freiwilligen Mitarbeiter stärker einbinden. Bei Kirchen bestünden "stärker als bei fast allen anderen Institutionen Gelegenheitsstrukturen für Menschen, die sich sozial betätigen wollen", sagte der Soziologe.
Unter engagierten Christen "fundamentale Unterschiede"
Laut Pickel ist der Missbrauchsskandal ein zentraler Grund für die zunehmende Abkehr von der Kirche. Ein weiteres wichtiges Spannungsfeld sieht er in den unterschiedlichen Vorstellungen liberaler und konservativer Gläubiger: "Wird auf Reformen gesetzt, wenden sich Reformgegner ab, werden Reformen blockiert, wenden sich Reformbefürworter ab." Es gebe unter engagierten Christen "fundamentale Unterschiede sowohl beim Religionsverständnis als auch bei dem, was politisch daraus abgeleitet wird".
Diese Gegenpole würden auch in Bezug auf den Reformdialog der katholischen Kirche in Deutschland, den Synodalen Weg, deutlich, erklärte Pickel. Hier gebe es neben den Befürwortern auch eine aktive Gruppe, die eine "sogenannte Anbiederung an den Zeitgeist" ablehne. "Diese Gruppe ist kleiner als die der aktiven Befürworter, aber sie ist gut organisiert und weiß sich Gehör zu verschaffen." (KNA)