Wie dieser Priester Beruf und Familienleben unter einen Hut bekommt
Hartmut Constien steht in seinem Garten. Der Pfarrer der Regensburger Gemeinden St. Michael und Heiliger Geist schaut auf die kleine grüne Insel, die sich da hinter seinem Pfarrhaus-Bungalow aus den 1970er Jahren erstreckt. "Kirche und Pfarrhaus wurden gemeinsam mit dem ganzen Viertel hier gebaut", erzählt er. Hinter dem Zaun lassen sich die großen Wohnblöcke erahnen, die den Stadtteil Reinhausen der oberpfälzischen Stadt prägen. Doch es ist nicht nur die beneidenswerte Naturoase, die der stämmige Endvierziger mit Römerkragen hier sein Eigen nennt. Es ist auch der Fußball und das Trampolin auf dem Rasen, das Kettcar auf der Terrasse und die Fußballschuhe für Kinder in rot und grün in dem kleinen Regal neben der Terrassentür. Hartmut Constien ist nicht wie andere Pfarrer: Er ist katholischer Priester, Ehemann und Familienvater.
Dass die Dinge bei Constien so sind wie sie sind, hat mit seiner Lebensgeschichte zu tun. Denn vor zehn Jahren war Constien zwar auch schon Pfarrer, allerdings in der evangelischen Kirche. In diesen zehn Jahren hat sich viel geändert. Da war die Konversion, der Umzug vom südlichen Hessen in die Oberpfalz, das erneute Studium und ein Neustart als Pfarrer.
Um seine Geschichte zu erzählen, führt Constien in sein Büro, ein typisches Pfarrerbüro mit großem Schreibtisch und Bücherregal. An der Wand finden sich Bilder mit Persönlichkeiten, die den Besitzer geprägt haben. Neben dem Holzkreuz mit schlichtem Bronzekorpus hängt links ein Porträt von Benedikt XVI., rechts eines von John Henry Newman. Darunter Heiligenbilder von Jesus, Maria und Josef. Sowohl der emeritierte Papst wie der heiliggesprochene Konvertit spielen in Constiens Geschichte eine besondere Rolle.
Interesse für die Liturgie
"Ich habe mich schon immer für liturgische Formen interessiert", erzählt Constien. Denn neben dem doch eher schlichten Durchschnittsgottesdienst gibt es in der evangelischen Kirche noch einige weitere Liturgien, bis hin zum lutherischen Hochamt. Seit dem Studium liest Constien Bücher von den Lutheranern Wilhelm Löhe und Hermann Sasse sowie der Theologie der hochkirchlichen Bewegung. Da liegt natürlich der Blick zu den Katholiken nahe. Gleichzeitig hat auch Constiens Frau Verbindungen zum Katholizismus: Die Organistin wird von einem Katholiken unterrichtet und spielt auch bei der "Konkurrenz". Es gärt also schon in den Constiens, als dem heutigen Priester das erste Jesus-Buch von Benedikt XVI. in die Hände fällt. Das habe ihm die Augen geöffnet, sagt er: "Da offenbarte mir, einem doch bibeltheologisch gut gebildeten evangelischen Pfarrer, ein katholischer Papst diesen Christus nochmal ganz neu. Das hat mich tief bewegt." Constien beschäftigt sich tiefgehender mit dem Katholischen – und stellt fest: "Was die da sagen, habe ich eigentlich schon immer so geglaubt."
Das führt zu einem inneren Konflikt: "Ich hatte das Gefühl, dass ich in der evangelischen Kirche falsch bin. Es war nie falsch, was ich tat. Aber ich war im falschen Laden." Mit Folgen in der Liturgie für seine südhessische Gemeinde: "Das war zum Teil anstößig katholisierend, was ich da gemacht habe“, schmunzelt er heute. Bis heute schätzt er die Sinnlichkeit des Katholischen. "Von edler Schlichtheit habe ich erstmal genug."
Der nächste Schritt ist deshalb für viele keine Überraschung mehr: Das Ehepaar Constien beschließt zu konvertieren. Doch das geht bei einem protestantischen Prediger nicht so einfach, dafür braucht es einen Bischof, der ihn ausdrücklich aufnimmt. Constien wendet sich an das Bistum seines damaligen Wohnorts, das Bistum Limburg. Dort ist man 2014 allerdings noch völlig mit dem Skandal um Tebartz-van Elst beschäftigt, man vermittelt ihn also weiter bis nach Regensburg. Dort hat man schon Erfahrung mit Fällen wie seinem: In den 1970er Jahren und kurz nach dem Jahr 2000 gab es dort einige Pfarrerübertritte. Constien trifft sich also mit Bischof Rudolf Voderholzer, der ihn gern aufnimmt. Dann stellt sich noch die Frage, wie es beruflich weitergehen soll. Nicht sofort, aber recht bald steht fest: Constien darf und kann katholischer Priester werden.
Primizspruch nach John Henry Newman
Zunächst beginnt er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Institut Papst Benedikt XVI.", kann also sein Interesse zum Beruf machen. Er studiert katholische Theologie, kann sich dort aber einige Kurse aus der evangelischen Theologie anrechnen lassen und hält so nach drei Jahren sein Diplom in der Hand. Nach einem Jahr Pastoralkurs wird er zuerst Diakon und dann Priester. Als Primizspruch wählt er das Motto von John Henry Newman, der von der anglikanischen Kirche zur katholischen konvertierte, Priester sowie später Kardinal wurde und seit 2019 als Heiliger verehrt wird. "Cor ad cor loquitur", lautet es, "Das Herz spricht zum Herzen". Bei der Heiligsprechung Newmans war er dabei.
Seit einem Jahr hat Constien nun seine erste Pfarrstelle inne – und sieht sich in der Nachfolge Newmans durchaus als Brückenbauer zwischen den Konfessionen: "Ich kann manches evangelische besser einschätzen als es viele Katholiken können", sagt er. Folglich sitzt er in der Ökumenekommission des Bistums Regensburg. Sein Blick auf den Stand der Ökumene ist allerdings wenig enthusiastisch: "Beide Kirchen sind momentan sehr mit sich selbst beschäftigt. Da gibt es auf beiden Seiten wenig Bereitschaft, tiefer in den Dialog einzusteigen." Dabei betont er aber: "Die sichtbare Einheit der Kirche ist ein Auftrag Jesu, um diese Frage kommen wir nicht herum!"
Es geht zu einem Standard-Termin im Leben eines Pfarrers: Heute ist Seniorennachmittag. In der Werktagskapelle trudeln nach und nach insgesamt elf ältere Damen ein. Den Gottesdienst zelebriert Constien konzentriert wie feierlich. Nach der etwa halbstündigen Messe geht es in den angrenzenden Pfarrsaal, wo Pfarrsekretärin Susanne Spreitzer schon Kaffee und Kuchen aufgetischt hat, es gibt Erdbeerkuchen.
"Eigentlich macht die Familie keinen Unterschied"
Die Stimmung ist sehr gelöst und Constien quatscht ausgiebig mit den Damen in den besten Jahren, setzt sich mal hier, mal dort hin. Fragt man die Besucherinnen über ihren Pfarrer, hört man viel Positives. Er predige gut, erzählt eine Frau zwischen zwei Schlucken Kaffee, zudem habe seine Frau zuletzt ein schönes Chorprojekt auf die Beine gestellt. "Eigentlich macht die Familie keinen Unterschied", sagt Lukas Läpple. Der 23-jährige BWL-Student arbeitet nebenberuflich als Mesner in der Pfarrei. Ihm fällt nur ein: "Manchmal sind die Hälfte der Messdiener hinter dem Altar seine Kinder."
Direkt neben Pfarrkirche und Pfarrsaal liegt das niedrige, um einen Innenhof gebaute Haus der Familie Constien. Drei Söhne hat der Pfarrer: Zehn, zwölf und 14 Jahre alt – und zwei davon sind große Fußballfans. Das sieht man den Kinderzimmern auch an. Einer der Jungen hat über seinem Bett Paninibildchen in der Form der Logos von Werder Bremen und des SSV Jahn Regensburg geklebt, wie ein Brückenschlag von der Herkunft des Vaters aus Bremen in die Gegenwart. Hartmut Constien ist hier der Papa und Ehemann, der warmherzig von der Fußball-Leidenschaft seiner Kinder erzählt. Aber er bleibt doch immer auch der Priester.
"Ich kann nur schwer den Zölibat verteidigen, weil ich ihn nicht lebe", sagt er. "Aber einfach ist das mit dem Familienleben und meinem Beruf nicht. Wenn meine Frau das alles nicht voll mittragen und auch viel auffangen würde, ginge das nicht." Constien kann seine Kinder selten zum Fußballtraining fahren, auch am Wochenende hat er wenig Zeit. Wie auch Arzt oder Fernfahrer ist Pfarrer kein besonders familienfreundlicher Beruf. Das gilt übrigens auch für die Protestanten: "Die Scheidungsrate in Pfarrhäusern ist beachtlich", sagt Constien. Es habe Versuche gegeben, den Pfarrdienst zu entzerren, doch das sei auf Kosten der Pastoral gegangen. Ein überzeugendes Konzept für ein familienfreundliches Pfarrhaus gebe es noch nicht. Das sieht er auch an seinem Leben: Im Ernstfall müsse alles seine Frau machen, da ist wenig Platz für eine moderne Beziehung mit gleichberechtigten Verantwortlichkeiten. Im Ernstfall funke immer der Beruf dazwischen: "Wenn ich abends mit meinen Jungs Karten spiele, aber es ruft jemand an mit einer sterbenden Oma zu Hause, muss ich da hin", sagt er. Sein freier Tag ist wie bei vielen Amtsbrüdern der Montag: Da ist seine Frau arbeiten und die Kinder in der Schule. "Das ist schön für mich, weil ich mich erholen kann. Meiner Familie bringe ich da allerdings nichts."
Nicht nur ein Job
Es geht durch den Flur des Pfarrhauses – auch hier ein Benedikt-Bild – und das ausladende Wohnzimmer in den Garten. Beim Thema Zölibat wird Constien nachdenklich. " Es ist eben nicht nur ein Job. Die Leute erwarten von uns, sie durch ihr Glaubensleben zu begleiten und die Sakramente zu spenden – und das erwarten sie zu Recht." Natürlich könne man auch viel auf andere geistliche Berufe aufteilen, doch da gebe es ebenso einen Personalmangel wie bei den Priestern.
Natürlich habe das Familienleben auch Vorteile, sagt Constien. Er könne die Situation von Familien aus eigener Anschauung nachvollziehen und seine Gemeinde erlebe ihn nicht nur als Pfarrer, sondern auch als Ehemann und Vater. Am Ende hielten sich Vor- und Nachteile des Pfarrerseins mit Familie in etwa die Waage, wenn auch die Bedrohungen für das Familienleben nicht zu unterschätzen seien.
Hartmut Constien führt durch die Kirche, über deren Altar eine mehr als lebensgroße Bronzeplastik von einer großen Schar Menschen umrahmtes Kreuz zeigt, nach draußen. Nach allem, was er erlebt hat, was ist sein Fazit als ehemals evangelischer Pastor, nun verheirateter katholischer Priester? Constien muss nicht lange überlegen: "Es ist ein erfüllender Beruf, der es mir ermöglicht, Menschen auf dem Weg zu Christus zu begleiten und ihnen die Schönheit des Glaubens zugänglich zu machen." Er verabschiedet sich mit einem Lächeln.