Keine Kirche ohne Priester? Keine Kirche ohne Gläubige!
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Auf der zweiten Plenarversammlung des Synodalen Wegs im Oktober 2021 haben die Synodalen dem Forum "Priesterliche Existenz heute" einen Auftrag erteilt, der es in sich hatte: Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sollten sich mit der Berechtigung der Existenz des Priesteramtes auseinandersetzen. Seitdem haben sich immer wieder deutsche Bischöfe zu Wort gemeldet, um die Diskussion zu beschwichtigen, die auch im Ausland aufmerksam wahrgenommen wird. Kardinal Reinhard Marx, Bischof Stefan Oster und andere werden nicht müde, auf die Notwendigkeit des priesterlichen Dienstes hinzuweisen. Jüngst meldete sich auch Erzbischof Ludwig Schick zu Wort und vertrat die These: "Ohne Priester keine Kirche Jesu Christi."
Aber ist es so einfach? Augenscheinlich nicht, denn im ersten Jahrhundert des Christentums gab es überhaupt kein Priesteramt. Der Verfasser des Ersten Timotheusbriefs hebt sogar hervor, dass nur Jesus Christus Mittler zwischen Gott und den Menschen ist und damit die klassische Aufgabe eines antiken Priesters übernimmt. Außerdem gab es in der Kirchengeschichte in aller Welt immer wieder Zeiten, in denen der Glaube nur durch das Zeugnis von katholischen Laien überlebt hat – wie etwa in Korea, Vietnam oder anderen asiatischen Ländern. Auch heute bestehen katholische Gemeinden in entlegenen Regionen oft fort, weil sie von Laien mit Leben erfüllt werden. Kann man einer Ordensfrau, die in Amazonien Kinder tauft, oder einer Gemeindereferentin, die in einem deutschen Diaspora-Bistum eine Gemeinde leitet, absprechen, dass sie für eine Kirche steht, die im Auftrag Jesu Christi handelt, nur weil kein Priester anwesend ist? Nein, die katholische Kirche vor Ort verwirklicht sich auch ohne die Hilfe eines Klerikers – dazu bedarf es lediglich der Taufgnade, die alle Gläubigen bei der Aufnahme in die Kirche empfangen haben.
Selbstverständlich können katholische Gläubige dankbar für den Dienst eines jeden Priesters sein, besonders angesichts des großen Priestermangels. Die priesterliche Berufung ist es, die Sehnsucht nach Gott wachzuhalten und durch die Spendung der Sakramente den Gläubigen Zeichen der besonderen Nähe Gottes zu schenken. Das ist wunderbar und gehört zur DNA des Katholizismus. Doch die in den vergangenen Jahrhunderten vorherrschende Fixierung auf den Kleriker als heiligen Mann par excellence hat verdeckt, dass die wichtigste Berufung in der Kirche, diejenige zum Christen durch die Taufe ist. Eine Kirche ohne Priester entspricht vielleicht nicht dem katholischen Idealzustand – vor allem, weil die Eucharistiefeier fehlt. Doch auch jedem Bischof sollte klar sein, dass sich die Kirche erst ohne Gläubige in der Gefahr des Aussterbens befindet. Die Debatte über die Berechtigung von Priestern täte gut daran, diese nicht noch weiter zu überhöhen – weil sie damit auch an den Zielen des Synodalen Wegs vorbeigeht.
Der Autor
Roland Müller ist Redakteur bei katholisch.deHinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.