Kanada erwartet konkrete Papst-Aussagen zur Kolonialgeschichte
Auch am vierten Tag der "Buß-Reise" des Papstes in Kanada hält die Forderung nach konkreteren Aussagen des Kirchenoberhauptes zum Unrecht der Residential Schools an. Zu Beginn einer Messe im Wallfahrtsort Sainte-Anne-de-Beaupre forderten Indigene auf einem Transparent, Franziskus solle Aussagen früherer Päpste zur Legitimierung der Kolonialisierung widerrufen.
Die sogenannte "Doktrin der Entdeckung" hatte ihren Ursprung in päpstlichen Urkunden des 15. Jahrhunderts. Europas Kolonialherrschern lieferte sie einen Vorwand, indigene Völker zu enteignen und zu entrechten und floss auch in spätere staatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung ein. Bisher hat Franziskus sich dazu nicht geäußert.
Den dunklen Seiten stellen
Gleichwohl forderte der Papst bei der Messe am Donnerstagvormittag Kanadas Katholiken auf, sich den dunklen Seiten ihrer Geschichte zu stellen und den mühsamen Weg von Versöhnung und Heilung zu beschreiten: "Warum ist das passiert? Wie konnte das passieren?" Dies seien brennende Fragen, denen man sich stellen müsse.
Dabei bezog er sich auf das Hauptthema seiner "Buß-Reise", das Unrechtssystem der meist von Kirchen betriebenen Residential Schools. In diesen waren rund 100 Jahre lang indigene Kinder ihren Familien entrissen, ihrer Kultur entfremdet und der europäischen angepasst worden. Viele Kinder wurden misshandelt, auch missbraucht. Unmarkierte Gräber mit Überresten meist an Krankheiten gestorbener Kinder sorgten für weltweites Entsetzen.
Diese Geschichte ist vor allem indigenen Kanadiern schmerzhaft bekannt, Nachfahren europäischer Einwanderer scheuen sich oft vor einer tieferen Auseinandersetzung. So mahnte der Papst vor rund 7.000 Gläubigen in der Kirche und davor, vor Misserfolgen nicht wegzulaufen, sondern sich ihnen zu stellen. Jeder müsse sich selbst fragen, was er tun könne auf dem Weg zu einer "gerechteren und geschwisterlicheren Gesellschaft". Insbesondere Frauen hätten in der Geschichte viel zu Versöhnung und Heilung beigetragen.
An der Messe mit dem Papst nahm auch Kanadas Regierungschef Justin Trudeau teil. Mitglieder seiner Regierung äußerten dieser Tage ebenfalls, Franziskus müsse konkrete Schritte zur Aufarbeitung benennen. Justizminister David Lametti bestätigte unterdessen, man habe Frankreich gebeten, einen dort lebenden Priester auszuliefern. Dieser war von den frühen 1960er Jahren bis 1993 in Nunavut in Nordkanada tätig. Ihm werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen.
Bericht: Erklärung wird erarbeitet
Derweil erklärte laut Medienberichten eine Sprecherin des Papstreise-Organisationsteams, es werde an einer Erklärung zur "Doktrin der Entdeckung" gearbeitet. Kanadas Bischöfe, der Vatikan und weitere Experten befassten sich mit dem Thema. Zwar hätten diese Urkunden längst keine rechtliche und moralische Autorität mehr. Weil sie aber auch in Gesetze und Rechtsprechung der Kolonialmächte und folgender Regierungen eingeflossen seien, wolle man sich damit befassen.
Wie Medien weiter berichten, stellten Mitglieder der päpstlichen Delegation klar, dass der Vatikan keine eigene Aufarbeitung der Geschichte der Residential Schools plane. Man sei aber offen für neue Erkenntnisse.
Quebecs Erzbischof, Kardinal Gerald Lacroix, stellte in Aussicht, dass "erwartete Ergebnisse nicht über Nacht eintreten können". Sie erforderten "eine gehörige Portion Geduld und aufrichtige Gesten der Akzeptanz". Jeder Schritt der Versöhnung erfordere Verzicht, Demut, Verständnis und Offenheit für Leben und Kultur der anderen. (KNA)